Jazzkonzert:Cole Porter in Bielefeld

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Ulrich Tukur und die "Rhythmus Boys" brechen in die deutsche Schlager-Spießigkeit der 1950er Jahre ein.

Von Dirk Wagner

"Depression hin oder her, Hauptsache gute Laune" ist das Motto der "ältesten Boygroup der Welt", wie Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys sich selbst bezeichnen. Dem Alter entsprechend präsentiert sich "Europas einzige Tanzkapelle, die noch besser ausschaut, wie sie spielt", im Prinzregententheater in "finanzamtbraunen Sakkos und seniorengelben Hosen". Damit rekonstruiert das 1995 gegründete Quartett eine deutsche Eierlikör-durchtränkte Spießigkeit, in welche es nun die aus den USA importierte Jazzmusik pflanzt. Augenblicklich wähnt man sich in den 1920er- und 1950er-Jahren, als eine miefige deutsche Schlagermusik mit Jazz und Rock'n'Roll überführt wurde.

Gleichwohl das Quartett großartig zusammenspielt, gelingt es den Musikern, so zu klingen, als müssten sie sich wie ein alterndes Tanzorchester in jener Zeit solche neuen Spielarten der Musik erst aneignen. So habe er sich ein Solo vom Gitarristen Jimi Hendrix im Fernsehen abgeguckt, erzählt Ulrich Mayer und spielt sodann eher bemüht als virtuos die über den Kopf gehobene Gitarre. Wenn aber der Kontrabassist Günter Märtens schlaksig über die Bühne tänzelt, skizziert jede seiner fein ausgearbeiteten Bewegungen eindeutig Mick Jagger. Tukur brilliert derweil als Pianist und Sänger.

Als Moderator spinnt er zudem mehr Seemannsgarn als Käpt'n Blaubär, wenn er zum Beispiel von seinen Begegnungen mit dem Komponisten Cole Porter in Bielefeld schwärmt. Gewitzt klaut er auch mal dem Songtitel "Puttin' on the Ritz" ein "t" und übersetzt den neuen Titel "Putin on the Ritz" sodann mit "Vladimir auf der Kimme". Kaum aber, dass sich Tukur also verbal zwischen die Pobacken begibt, findet er dort freilich noch einen anderen Ausdruck für Putin. So viel Stellungnahme muss sein. Dann widmet er sich wieder der Musik, auf die Kalle Mews am Schlagzeug ebenso clownesk wie rhythmisch versiert einwirkt. Wer nach solchem Konzert keine gute Laune hat, hat wahrscheinlich gar keine Launen.

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