Typisch deutsch:Die Münchner sind Plappermaul-Champions

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Münchner sind gut darin, ihre Geschichten zu erzählen, findet unser Kolumnist - ob über Partys oder auch intimere Details. (Foto: Johannes Simon)

Im Kollegenkreis erzählen einem die Stadtbewohner schon nach kurzer Zeit ungefragt von Bettgeschichten oder Krankheiten. Muss das wirklich sein?

Kolumne von Olaleye Akintola

Der Höhepunkt der inkongruenten Offenbarung ist die populäre Nacktkultur in Bayern. Das FKK-Baden im Englischen Garten und die unbehelligte splitternackte Zusammenkunft in Münchens Sauna-Landschaften. Die Bewohner dieser Stadt brauchen keine soziale Medien, um sich zu entblättern.

Münchner sind gut darin, ihre Geschichten selbst zu erzählen. Man muss nicht der Lieblingsmensch eines Bayern sein, um in dessen Privatleben hineinzuschnuppern. Schon nach ein oder zwei Treffen erzählen nicht wenige ungefragt, welche Krankheiten sie oder ihre Familienmitglieder plagen. Sie verraten, was zur Beendigung einer Beziehung mit einem Partner geführt hat. Sie plaudern so viel aus, bis hin zu jüngeren Abenteuern in diversen Betten.

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Es gibt immer den einen, der nach der Party früh morgens aufsteht und wirkt wie nach einem Wellness-Wochenende. Aber wie lautet nur das Geheimnis dazu? Eine Annäherung.

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Eine frühere Kollegin berichtete mir einst, dass ihre Mutter einmal versucht habe, ihr den Freund wegzuschnappen. Ein anderer hat mir unumwunden erzählt, wie sehr er seinen Vater hasst. Auch ein Kollege sagte einmal, der Arzt habe gesagt, seine Schwester würde mit 35 Jahren sterben.

Ich frage mich in solchen Momenten, ob diese Offenheit nützt? Und wenn ja, wem?

Ich stamme aus einer offeneren Kultur in Nigeria, aber wir glauben daran, dass man zwischen öffentlichem und privatem Leben Grenzen ziehen muss. Viel über sein Privatleben preiszugeben, wird als Schwäche gesehen. Als würde man dem Feind helfen, sein Arsenal für den Kampf aufzurüsten. Wir waschen unsere schmutzige Wäsche hinter verschlossenen Türen.

Diesen Grundsätzen folgend spreche ich im Job oder Studium kaum über persönliche Dinge. Vielleicht spielt hier auch die Angst mit, verurteilt zu werden. Ich befinde mich allerdings in einem Kreis von Menschen, die sehr viel über Privates sprechen, es ist völlig unausweichlich. Ein Kommilitone an der Uni fragte mich einmal: Olaleye, wieso weiß ich nichts über dich? Welch unangenehme Situation. Haben die Bayern eigentlich den Anus des Huhns gegessen, wie wir in Nigeria sagen, wenn das Mundwerk unkontrolliert sprudelt?

Ich tue mich nach wie vor schwer, ein redseliger Mensch zu sein, wenn ich mein Gegenüber nicht sehr gut kenne. Doch ich kann jene verstehen, denen das leicht fällt. Im Hopfenland Bayern neigen eben viele zum Redeschwall, auch ohne mit Bier zugedröhnt zu sein. Belastende Dinge zu erzählen, muss für sie wie eine Art mentale Therapie sein, um Gedanken loszulassen, die den Geist einschränken. Ich höre gerne zu und frage gerne nach. Solange ich dabei nicht nackt in einer Sauna sitzen muss.

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Von Korbinian Eisenberger

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 05.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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