Zittern im Zoo:Im Winter ist der Tierpark besonders schön

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Gut akklimatisiert: Erdmännchen im Zoo. (Foto: Robert Haas)

Entspannte Tiere, freie Wege und viel Ruhe: Die Nebensaison in Hellabrunn entwickelt sich zum kalten Geheimtipp. Gerade für gestresste Städter.

Von Philipp Crone

Galoppierende Giraffen sind im Winter so eine Sache. Die einen freuen sich sehr darüber, dazu zählen mindestens alle Besucher, vielleicht sogar die begleitenden Haustiere. Andere sind allerdings deutlich kompetenter, was die staksigen Tiere angeht, und machen sich da eher Sorgen. Denn obwohl von Löwe bis Lama fast alle Arten mit Freigehege an Minusgrade gewöhnt sind, wie Tierpark-Chef Rasem Baban erklärt, gibt es schon große Unterschiede. Der Polarfuchs zum Beispiel ist wenig überraschend im eingeschneiten Gehege ziemlich guter Dinge und dauernd unterwegs, da muss sich niemand Sorgen machen.

Dürfen nicht über Eisplatten galoppieren: die Giraffen. (Foto: Robert Haas)

Während auf besagte Giraffen dann doch geachtet werden sollte, denn für die ist aus rein physikalischen Gründen eine Eisplatte und ein etwaiges Ausrutschen wohl am folgenreichsten. Deshalb werden die afrikanischen Tiere auch im Zweifel nur in die kleine Außenanlage beim Giraffenhaus entlassen für ein wenig frische Luft. "Dort können wir sicherstellen, dass wir keine Eisplatte übersehen", sagt Baban.

Der Tierpark-Chef sagt ansonsten selbstverständlich nur Lobendes über den Winter im Zoo. Was zum einen nicht sehr verwundert, weil ja auch im Winter der Tierpark geöffnet hat und Baban als oberster Werbetrommler immer elegant über dessen Vorzüge referieren kann. Aber in diesem Fall sprechen auch noch Zahlen für sich.

Der Zeitraum von November bis Februar, noch vor Jahren die "Saure-Gurken-Zeit", also ohne nennenswerte Besucher, hat sich gewandelt. "Wir hatten an einem ganz kalten Samstag im Januar 2019 auch schon mal 10 000 Besucher da." Das sind Zahlen, die sonst nur zur Primetime an sommerlichen Ferienwochenenden erreicht werden. "Viele Menschen stellen fest, dass der Zoo auch zu dieser Jahreszeit einen großen Reiz hat", sagt Baban. Welche Reize sind das? Und warum fallen sie den Besuchern erst zuletzt vermehrt auf? Wer sich genau im Tierpark umsieht, kann eindeutig zu dem Ergebnis kommen: Im Winter ist es dort besonders schön.

Das geht schon beim Haupteingang los an einem sonnigen, klirrendkalten Samstag im Dezember: Alle Kassen offen, nicht der Hauch einer Warteschlange. Der Besucher kann bereits auf der Brücke mit dem angenehmen Gefühl auf den Tierpark zugehen, dass er normalerweise an dieser Stelle schon längst nicht mehr gehen, sondern genervt zwischen anderen stehen würde. Biegt er rechts ab, stehen ihm im Streichelzoo Dutzende westafrikanische Zwerg- und Damaraziegen zum Streicheln zur Verfügung, die sich exklusiv verwöhnen lassen.

Und beim Maushaus ist es dank spiegelnder Weihnachtskugeln sogar möglich, auf einem Foto sowohl Tiere als auch den entsprechenden Klein-Influencer aufs Bild zu bringen. Der Zoo ist in Sachen Social Media eben längst nicht mehr auf dem Auer Mühlbach dahergeschwommen. Den zum Beispiel kann man derzeit wunderbar rauschen hören. Überhaupt ist die Akustik der große Trumpf des Winterzoos.

Schneeeulen sind perfekt an den Winter angepasst. (Foto: Robert Haas)
Luft hinter einem Häuschen heraus: ein Roter Panda. (Foto: Robert Haas)
In seinem Element: ein Sibirischer Tiger. (Foto: Robert Haas)

"Im Sommer gehen bei den vielen Bäumen die meisten Geräusche im Blätterrauschen unter", sagt Baban, aber auch im Kinderkreischen und Elternratschen oder Pärchenquatschen. "Wenn man zur Zeit in die Volière geht, hört man die Vögel wie sonst nie", sagt Baban. Nichts dringt von außen ein, drinnen pfeift und zwitschert es, dass es "fast surreal ist", selbst für den auf der Anlage wohnenden Zoo-Direktor. Der Ober-Steinbock, der im Sommer oft zwischen Felsen Sichtschutz sucht, thront im Winter auf seinem Hügel, als sei er der König der Tiere und nicht sein Nachbar mit der Mähne.

Der wiederum steht gerne an einer der Fensterscheiben und schaut sich die ausgesuchten Winterexemplare von Zoo-Besuchern ganz genau an. Nach ein paar Hundert Metern, wenn die Hände eingefroren sind, fragt sich der Besucher allerdings spätestens: Löwe, Afrika, kalte Temperaturen - friert der nicht? Baban sagt: "Zum einen sind unsere Tiere Nachkommen von Zoo-Tieren, die sind also an europäische Temperaturschwankungen akklimatisiert."

Zudem kann jedes Tier, das einen Außenbereich sein eigen nennt, auch jederzeit nach drinnen. Außer vielleicht die Elefanten, bei denen die Wärter allerdings genau hinsehen und auf die Uhr schauen, dass die zwar Sonne und frische Luft, aber keine Erkältung bekommen und sich rechtzeitig drinnen wieder abduschen können. Erkältungen gibt es selbstverständlich auch bei Tieren, zuletzt hat es Willi erwischt.

Vor Erkältungen nicht gefeit: die Schimpansen. (Foto: Robert Haas)

Der Schimpansen-Senior sitzt deshalb bei der Fütterung auch mit umschlungenen Armen auf seinem Baumstamm und lässt sich nur durch sehr zielgenau von den Pflegern im ersten Stock geworfenen Kiwis zu Bewegungen hinreißen. Aber die sind dann affenartig geschmeidig und präzise. Kurz nach rechts beugen, mit einer Fuß-Hand festhalten, Mund auf, Kiwi verdrückt. Vitamine helfen Primaten ebenso wie Medikamente, da unterscheiden sich Sapiens und seine Hominidae-Kollegen nicht. Weiter geht es, Richtung Polarwelt, zu den derzeit angesagten Kollegen.

Noch ein kurzer Stopp beim Ober-Hominiden in Hellabrunn. Die dunkle Jahreszeit nutzt der Zoo für Bauarbeiten auf den Wegen, oder, wie derzeit wieder, um die Spielplätze zu restaurieren und zu modernisieren. "Und wir können in diesen Monaten die Außengehege besser pflegen und erneuern, da die Tiere seltener draußen sind", sagt Baban.

Selbstverständlich hat aber auch der Tierpark als eine von der Stadt als Hauptanteilseignerin geführte AG die Energiespar-Vorgaben umgesetzt. Verwaltungsgebäude sind heruntergekühlt, Pullover übergezogen. "Zum Glück haben wir schon 2020 angefangen zu planen, wie wir vom Gas unabhängig werden können", sagt der Zoo-Chef. Mitte kommenden Jahres wird der Tierpark an die Geothermie Süd der Stadt angeschlossen, gerade die energieintensiven Gebäude im Osten wie etwa Dschungelwelt oder die Welt der Affen sind dann unabhängig von fossiler Energie.

Zoo-Chef Rasem Baban im Münchner Tierpark Hellabrunn. (Foto: Robert Haas)

Womit Winter-Werbefachmann Baban allerdings nicht dienen kann, sind süße Jungtiere. Und die machen natürlich doch immer einen großen Reiz aus. Andererseits sind die anwesenden nicht mehr so jungen Tiere in Ruhe angesichts einer gewissen Zutraulichkeit den sommerlichen Baby-News annähernd ebenbürtig.

Bei den Bauprojekten geht es voran, etwa bei der Dschungelwelt, die nach dem Auszug der Löwen nun komplett entkernt und saniert wird. Neue Tierarten werden 2024 einziehen, die man dann auch noch näher erleben kann, weil der ehemalige Löwen-Außenbereich neu gestaltet wird. Wie es die Polarwelt-Bewohner schon kennen, etwa Fuchs und Hase, die durch eine Besucherbrücke getrennt sind. Die Eisbären ruhen, Mähnenrobben und Füchse drehen ihre Runden. Es ist still, gedämpft. Fast entsteht das Gefühl, der Besucher wäre mit den Tieren allein. "Für die Besucher wird der Naturbezug immer wichtiger", stellt Baban fest.

Im Freien, bis er festzufrieren droht: der Flamingo. (Foto: Robert Haas)

Eine Mischung aus Natur, Park, Isar und Tieren, das ist ein Großstadt-Zoo heute. Und nicht mehr nur Panda-Baby und knurrende Raubtiere. Da ist es kein Wunder, dass die Münchnerinnen und Münchner gerade im Winter mit viel Heimzeit gerne bei Flamingo und Giraffe vorbeischauen. Seit Heiligabend ist auch wieder das dann sanierte Schildkrötenhaus geöffnet. Und man kann ja jederzeit mal einkehren, etwa bei den Elefanten, Gorillas oder Nashörnern, oder natürlich auch im Restaurant, bei Pommes, Glühwein oder Suppe.

Vielleicht hat es ja auch seinen Reiz, die Kältebeständigkeit der Tiere zu erleben. Denn selbst die Flamingos mit ihren eiszapfendünnen Beinen sind im Winter meist draußen - zumindest so lange, bis sie festzufrieren drohen.

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