Kritik:Den Ball ins Netz tanzen

Lesezeit: 1 min

"Im Ich das Wir freizulegen", fordert der Trainer (Max Koltai, links) von seiner Mannschaft. Die reagiert zurückweichend. (Foto: Lioba Schoeneck)

Mit der Fußball-Parabel "Wir im Finale" bringt die Theaterakademie August Everding eine intelligente Metapher zur Lage der Nation auf die Bühne.

Von Barbara Hordych

Eine der schönsten Szenen in diesem "Bewegungsprojekt" ist der Tango, den Max Koltai als Elfmeterschütze mit der gegnerischen Torhüterin auf die Bühne bringt. Ob dabei der "Ball" (der hier als kleines Skateboard figuriert) letztendlich im Netz landet, bleibt ungewiss. Fest steht indes, dass Marc Beckers Fußball-Parabel "Wir im Finale", entstanden 2006, bis zum Ende ohne einen einzigen Ball auskommt.

Dafür übersetzt die Choreografin Katja Wachter das Fußballthema in Ensemble- und Solostücke, in denen sich der zweite Jahrgang Schauspiel der August-Everding-Akademie mal mit zögerlicher Sanftheit, mal mit Brutalität in Mannschaftsstärke präsentiert, untermalt von elektronischen Beats, die Manuel Seium komponiert hat. Das Konzept macht Sinn, genau präzisierte Abläufe gibt es im Fußball wie im Tanz, so schwärmt ein Reporter vom Spieler Kanulli, der mit Übersteiger und Rhythmuswechsel "in seinen weißen Ballettschuhen tanzt wie der junge Nurejew".

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Acht Schauspieler - Soraya Bouabsa, Pauline Großmann, Kevin Knobloch, Max Koltai, Çağla Șahin, David Stancu, Emma Stratmann und Anouk Warter - in mit schwarzen Fransen besetzten roten Fußballtrikots verleihen dem collagierten Stimmengewirr im Stadion Ausdruck. Die Inszenierung folgt dabei in Echtzeit der Dramaturgie eines Fußballspiels, Vorbericht, Live-Reportage und Halbzeitpause mit inbegriffen. Hinreißend allein das Video aus den Kabinen, in dem die Spieler amputierte Satz-Banalitäten in die Mikros stammeln.

Eine intelligente Metapher zur Lage der Nation, in der Spieler wie Fans verzweifelt nach Rettung Ausschau halten ("Wer hat unsere Tugenden geklaut. Welche Sau war das?!"). Kampfgeist ist gefragt, denn "Frieden ist ja nur ein künstliches Konstrukt". Einem übermächtigen Gegner könne man nur begegnen, indem man "im Ich das Wir freilegt", predigt der Trainer seiner verunsicherten Mannschaft. Doch die tippelt mitsamt Spielerbank lieber ein paar Zentimeter zur Seite.

Wir im Finale, Mi., 15. bis Sa., 18. Februar, 19.30 Uhr, Theaterakademie August Everding

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur
:Das laute Schweigen der Frauen

Gewalt gegen Frauen hatte in der NS-Zeit viele Gesichter. Welche Überlebensstrategien fanden die Frauen? Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Ulrike Draesner, die in ihrem Roman "Die Verwandelten" das Ungesagte hörbar macht.

Von Antje Weber

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: