Flößerei:Als München Europas größter Binnenhafen war

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Heute gibt es nur noch die Passagierfloßfahrten zwischen Wolfratshausen und Thalkirchen. Vor 150 Jahren aber hatte die Flößerei überragende Bedeutung für die Entwicklung der Stadt. Helga Lauterbachs Buch trägt Geschichte und Geschichten zusammen.

Von Jürgen Wolfram

München schmückt sich gern mit Superlativen. Die schönsten Biergärten, der erfolgreichste Fußballclub, die älteste Volkshochschule. Nur ein Spitzenplatz scheint in Vergessenheit geraten zu sein: Vor 150 Jahren und noch eine ganze Weile danach ist München Europas größter Binnenhafen gewesen. Eine Art Duisburg-Ruhrort, nur dass nicht Schiffe die dominierenden Transportmittel waren, sondern Flöße. Im Rekordjahr 1864 erreichten 11 145 dieser Baumkähne die Stadt, beladen mit allen erdenklichen Gütern. Bier und Käse, Schleifsteine und Schafwolle, Kreide und Lodenballen. Vor allem aber Holz, jede Menge Holz, verwendet unter anderem zum Bau der Frauenkirche.

An den Umschlagplätzen, der Unteren Lände, der Oberen Lände und von 1899 an an der Zentrallände in Thalkirchen herrschte ein Treiben, das man sich nicht turbulent genug ausmalen kann. Der Glanz des traditionsreichen Handwerks, seine überragende Bedeutung für die Entwicklung der Stadt verblasste erst mit dem Aufkommen von Eisenbahn und Lkw. Übrig geblieben sind die Passagierfloßfahrten zwischen Wolfratshausen und Thalkirchen, ein spritziges Vergnügen. Wegen Corona herrscht seit 2020 allerdings Zwangspause. Wann an den Flussgestaden wieder ein "Leinen los" ertönt, ist offen.

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Die Erinnerung an die "Beherrscher der Wasserstraßen", die Flößer auf Isar, Loisach und Donau lebendig zu halten, hat sich Helga Lauterbach zur Aufgabe gemacht. Seit 30 Jahren schreibt die in Sendling verankerte Münchnerin Beiträge über die Flößerei in all ihren faszinierenden Facetten. Jetzt hat sie ein umfassendes, teils auf älteren Texten basierendes, doch um viele Kapitel erweitertes Werk zum Sujet ihres Lebens vorgelegt: "Floßmeister und Flößerbräuche". Ein Kompendium aus Geschichte und Geschichten, illustriert mit historischem Bildmaterial, wie es in dieser Fülle noch keine Ausstellung gezeigt hat. Die Autorin, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied des Flößer-Kulturvereins München-Thalkirchen, spricht im Vorwort selbst von ihrem "Flößerweg". Dieser mündet in eine Dokumentation, die vom Umfang her an höhere Pegelstände erinnert.

Nur Inhaber des "Verführungsrechts" hatten eine Transportbefugnis

Die stolze Zunft der Flößer, sie hat ihre eigenen Riten und Gesetze. Im Vertrauen auf ihren Schutzpatron St. Nikolaus und den Brückenheiligen St. Nepomuk steuern seit Hunderten von Jahren kräftige Kerle ihre Gefährte aus Fichtenstämmen durch Stromschnellen, vorbei an Felsen und Pfeilern. Doch schon immer galt: Augen auf bei der Berufswahl und erst recht bei der Berufsausübung. Sonst erginge es einem womöglich wie vor langer Zeit dem Floßmeister Josef Pichlmayr. Der rammte, mit 17 Pilgern an Bord, einen Damm. Alle Passagiere kamen in den reißenden Fluten der Isar ums Leben. Pichlmayr erhielt zeitweise Berufsverbot und wurde dazu verdonnert, auf eigene Kosten Kirchfahrten zu veranstalten, unter anderem nach Altötting. Der Mann nahm's als Ansporn, lenkte später Flöße mit sicherer Hand bis nach Wien.

Strenge Regeln begleiteten die Flößer durch ihr Berufsleben. Sie sollten sich "des Fluchens und Gotteslästerns enthalten" und "Handwerksstreitigkeiten" nicht durch "einfaches Davonlaufen" zu schlichten versuchen. Dass manches Gebot bei den üblichen Trinkwettkämpfen der Zunft in Münchner Gasthäusern vorübergehend ins Wasser fiel, ist stark zu vermuten. So mancher Kraftprotz aus dem Isarwinkel dürfte deshalb nur knapp dem Verlust des "Verführungsrechts" entgangen sein. Das war nicht etwa eine Lizenz zur Brautschau, sondern die amtliche Transportbefugnis.

Wer heute in der Gegend um den Campingplatz Thalkirchen oder in der Kleingartenanlage hinterm Asamschlößl, am Westermühlbach vor dem Sendlinger Tor oder an der Steinsdorfstraße spazieren geht, der hätte sich noch Ende des 19. Jahrhunderts unweigerlich nasse Füße geholt. Denn dort erstreckten sich die Hafenbecken der Länden. Die waren eine höchst lukrative Einnahmequelle der Stadt. Kommunale Ländmeister - Anton Konz hieß der erste - kassierten Lager- und Magazingebühren, "Länd- und Hängegeld". Nebenbei machten sie eifrig von ihrer "Bierzäpflersgerechtigkeit" Gebrauch, einer Schankerlaubnis. An trinkfesten Gästen soll es ihnen selten gefehlt haben.

Zur Zeit des Ersten Weltkriegs, als an Loisach und Isar wegen der militärischen Mobilisierung Männermangel spürbar wurde, übernahm als eine der ersten Flößerinnen Anna Taubenberger das Ruder. Zuvor galt es, Zweifel der Obrigkeit an der "Sittlichkeit" solcher Einsätze mit "Frauenzimmern" auszuräumen. Erst durch die Einführung des Frauenwahlrechts verstummten solche Vorbehalte. Zu jener Zeit standen an den Ufern noch "Holzbettler", verarmte Menschen, denen großherzige Flößer Holzprügel zum Heizen zuwarfen.

2014 hat die Unesco die Flößerei als Immaterielles Kulturerbe anerkannt

Die Historie der Flößerei ist zugleich eine Geschichte der Wallfahrt, eindrucksvoll symbolisiert durch die Kirche St. Maria Thalkirchen. Das Gotteshaus beherbergt bis heute wertvolle Erinnerungsstücke des stolzen Handwerks, wie kunstvoll verzierte Zunftstangen, eine Prozessionsstandarte und die Flößerfahne. An der Abzweigung des Floßkanals in Hinterbrühl grüßt seit 1939 die überlebensgroße Bronze-Flößerfigur des Bildhauers Fritz Koelle. Und im Jahr 2014 wurde die Flößerei durch die Unesco als Immaterielles Kulturerbe anerkannt. Mehr Wellenschlag für eine Saga der Superlative geht kaum. Wer sie ignoriert, soll bei der Schussfahrt auf der 360 Meter langen Floßrutsche in Mühltal auf einem der 18 Tonnen schweren Holzkolosse vorne sitzen und baden gehen.

Helga Lauterbach: "Floßmeister und Flößerbräuche", Verlag Schnell + Steiner, Regensburg, 192 Seiten

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