Tanzwerkstatt Europa:Beziehungskisten mit Liebe, Pflanzen und Rollstuhl 

Lesezeit: 2 min

Jin Lee und Uwe Brauns tanzen in "Relationshifts" Liebe ohne Klischees. (Foto: Christoph Gredler)

Drei auf unterschiedliche Weise bereichernde Produktionen beenden die Tanzwerkstatt Europa.

Von Sabine Leucht

Wem gehört der Tanz? Eine stets virulente Frage für die Tanzwerkstatt Europa, die seit 1991 Workshops für alle Leistungsklassen und Körpertypen anbietet. Nur aufs Performance-Programm zu schauen, ist immer ein bisschen so, wie im Restaurant nur den Nachtisch zu essen. Und doch geben die letzten drei Nachtische der diesjährigen Festival-Ausgabe ihre eigenen Antworten auf diese Frage.

In Ceren Orans "Relationshifts" gehört der Tanz fast klassisch der Liebe. In einem Würfel von nur vier Metern Kantenlänge spielt ein Paar alle Phasen einer Beziehung durch. Vom vorsichtigen Einander-Beäugen bis zu dem Moment, an dem eine(r) unwiderruflich den Raum verlässt. Dann geht es mit vertauschten Rollen von vorne los.

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Bis zu vier knapp einstündigen Loops kann der Zaungast beiwohnen. Mit Kämpfen, Versöhnungsversuchen, dem Gewinn größerer Vertrautheit und der Lust am Spiel, wenn die Lust aufeinander am Abklingen ist. Und immer hofft und fliegt man mit den beiden, stürzt ab und fängt sich wieder. Und ihre Ermüdung, ihr die Bühne rutschig machender Schweiß und der kleiner werdende Überschwang am Beginn (ist es ihrer oder unserer?) lassen jede Wiederholung ein bisschen anders werden und wirken. Der Münchner Choreografin gelingt das Kunststück, kein einziges Liebes- und Paar-Klischee aufzurufen. Ihre Mittel sind komplexe Moves, Verausgabung und Perspektivenwechsel - dazu stehen die wundervollen Tänzer Jin Lee und Uwe Brauns gerne auch mal Kopf. Und doch ist jeder einzelne Beziehungs-Shift emotional komplett verständlich.

Mit "Dance is not for us" schickt der libanesische Tänzer und Choreograf Omar Rajeh eine Antwort schon voraus, um ihr dann tanzend zu widersprechen. Sein Solo mit Pflanzen und einer an der Metaebene kratzenden scheinbaren écriture automatique kreist das "Us" ein, um das es im Titel gehen könnte. Das "Us" im bürgerkriegsgebeutelten Beirut, das sich entscheidet, auf die Straße zu gehen. Und das "Us", das sich im Theaterraum eingefunden hat, um eine Stunde Leben zu teilen.

Es wird eine intensive Stunde, in der eine enorme physische Präsenz und ein unaufhörlich mahlender Gedankenstrom einander überlagern. Irgendwann beginnt dazu ein Rhythmus zu pochen, der wie Rajehs kraftvoll-entspannte Bewegungen immer mehr drängt. Irgendwas ist da in seiner Mitte explodiert und befreit sich nun flatternd, pulsierend und auf jede (binnenkörperliche) Hierarchie pfeifend. Tanz als Anmaßung und Entscheidung gegen die politische Ohnmacht, die in ihm spürbar bleibt, aber nicht mehr niederdrückt? Ein Abend, den die Zuschauer mit neuem Mut und duftenden Basilikumtöpfchen verlassen.

Bei "Harmonia" fordern sich Tanzende, ganz im Gegensatz zum Titel, bis zur Schmerzgrenze. (Foto: Jörg Landsberg)

Bei "Harmonia", einer Arbeit der ungarischen Choreografin Adrienn Hód mit der Bremer Kompanie "Unusual Symptoms", nimmt man weniger den Eindruck von Harmonie mit als den, dass sich hier Menschen mit ungleichen körperlichen Voraussetzungen aber auch gar nichts schenken. Die mit dem Rudolf Lábán-Preis ausgezeichnete Mixed-abled-Produktion kam mit reduziertem Cast nach München. So blieb beim langen Extremstretching-Warmup immer jemand alleine.

Generell aber steht das Partnerschaftliche im Zentrum, wobei sich auch Performer, denen die Kraft in den Beinen oder ein Meter Stockmaß fehlt, bis zur Schmerzgrenze fordern. Das sorgt für die größte Irritation an dem Abend, der in ein quirliges Battle mündet. Mut, Muskeln, Spitzen- und Table-Tanz ringen um Aufmerksamkeit und spreaden Spaß. Und man lernt, was für eine geile Fitness- und Rennmaschine so ein Sport-Rollstuhl ist, wenn ihn ein Könner zerlegt, stemmt und fährt. Wem also gehört der Tanz? Allen, die sich ein Herz fassen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLiteratur und KI
:"Ein Mensch hat einen ganz anderen Blick auf die Welt als eine Maschine"

Wie Künstliche Intelligenz das Schreiben verändert - im Guten wie im Schlechten: Ein Gespräch mit der Münchner Autorin Monika Pfundmeier, die sich für die Rechte von Schriftstellern einsetzt.

Von Antje Weber

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: