SZ-Talentiade 2019:Das weiße Ballett

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Taktik zählt: Cara Sambeth (links) und Marie Hamann (rechts), erfolgreicher Hockey-Nachwuchs vom ESV München. (Foto: Robert Haas)

Vor anderthalb Jahren gewannen die Hockey-Mädchen des ESV München die deutsche Meisterschaft - als erstes bayerisches Team seit 1972. Nun wollen sie es in ihrer letzten Jugendsaison noch mal wissen

Von Fabian Huber, Nymphenburg

Als Cara Sambeth vier Jahre alt ist, ihr Bruder drei, da suchen die Eltern einen Teamsport für die beiden Geschwister, der draußen stattfindet - und explizit nicht Fußball heißt. Cara Sambeth, heute 17, landet also wie ihre gesamte sechsköpfige Familie in der Hockeyabteilung des ESV München. Und muss ihre gleichaltrige Teamkameradin Marie Hamann diesen Sport beschreiben, dann antwortet sie: "Hockey wird durch taktische Fähigkeiten entschieden und nicht unbedingt durch körperliche. Das kann nicht jeder spielen." Bissiger Nachschub: "So wie Fußball."

Das mit dem Kicken und dem Hockey, das ist so eine Sache, eine ambivalente Beziehung irgendwie. Die U-18-Mädchen des ESV reiben sich am großen Mannschaftssport-Bruder, aber so ganz ohne Fußballvergleich kommt ihre Geschichte dann doch nicht aus.

Ein Wochenende im Oktober 2017. Die Mädchen hatten eine grandiose Saison gespielt und waren über die nationale Zwischenrunde zur Deutschen Meisterschaft in Wiesbaden gestürmt. Im Halbfinale tanzen sie gekonnt durch die Abwehrreihen der Konkurrenz aus Mannheim und schießen sich mit 7:2 ins Finale, in komplett weißen Leibchen. "Wie das weiße Ballett", murmelt ein Zuschauer damals. Eine Anspielung auf das dominante Real Madrid der 50er-Jahre.

Im Finale dann, diesmal ganz in Blau, der eiskalte Herbstregen peitschte über den Platz, kommt es gegen die Klipper THC aus der Hockey-Hochburg Hamburg zum Showdown. 1:1 nach siebzig Minuten. Penaltyschießen. Dramatischer Sieg. "Wir sind da eigentlich hingefahren mit einem "Egal-wie-es-ausgeht-Gefühl", sagt Marie Hamann. Der überraschende Ausgang: die erste Deutsche Meisterschaft einer bayerischen Mädchenmannschaft seit 1972, die dritte erst überhaupt. Die sechsstündige Heimfahrt treten die Spielerinnen ohne Eltern im gemieteten Reisebus an. Eine Fast-Food-Kette lässt auf der Durchfahrt Burger und Pommes springen, zu Hause in Nymphenburg wartet ein Empfangskomitee von fast 200 Leuten. Die Mädchen werden in der Folge noch einmal Fünfter in den Hallenmeisterschaften, dann wird die Mannschaft auseinandergerissen. So ist das üblich im Jugendsport, wenn die Hälfte eine Altersklasse nach oben rückt. Die Jahrgänge 2001 und 2002 zählen regelmäßig zu den besten acht Teams in Deutschland. Fast alle spielten in der Bayern-Auswahl, drei Mädchen gar in der Nationalmannschaft, auch Sambeth.

Nun stehen die Mädchen am Anfang ihrer letzten gemeinsamen Jugendsaison - und an einem Scheideweg ihres Lebens: Schon bald vielleicht eine neue Stadt zum Studieren, Damen- statt Mädchen-Hockey. Ob schon Wehmut aufkommt? "Voll", sagt Marie Hamann. "Man hat so viele Stunden auf und neben dem Platz verbracht, da geht schon was verloren."

Die Meistermannschaft von einst ist noch weitgehend intakt. Zwei Mädchen wechselten zum Stadtkonkurrenten Münchner SC - weil die Damenmannschaft dort Bundesliga spielt, im Gegensatz zum ESV (vierte Liga). Carla, die Penaltyheldin von damals, heißt jetzt Carl und fängt im Tor der ESV-Herren.

"Das sind schon mit unsere besten Jahrgänge", sagt Dirk Wagner, 42. Er ist ein Trainer, der die Sprache seines Teams spricht. Der gebürtige Berliner ("Treeening" statt "Training") salzt seine Sätze mit "geil", "mega" oder "cool". So eine Meisterschaft, sagt er, habe auch immer mit Glück zu tun. Deshalb sei das Ziel für dieses Jahr erst einmal das Finale der Zwischenrunde.

"Wir wollen diese Saison auf jeden Fall richtig geil beenden", formuliert es Cara Sambeth. Die Aufbauspielerin hat noch ein Jahr im Nachwuchs, möchte unbedingt zur U-18-EM. Bei der Frage, ob man sie denn in ein paar Jahren auch im Fernsehen in der Damennationalmannschaft werde spielen sehen, kichern die beiden Mädchen, die ihre Haare sportlich zurückgebunden haben. Marie Hamann interveniert: "Ich glaube, ich kann für sie sprechen, wenn ich sage: Das ist auf jeden Fall realistisch." Sie selbst steckt gerade mitten in den Abiturprüfungen, es ist ihr letztes Jahr in der A-Jugend. Was danach kommt? "Mal schauen."

"Ich versuche, denen immer zu vermitteln: macht weiter. Zur Not in der zweiten Mannschaft. Aber hört bitte nicht auf", sagt ihr Trainer Dirk Wagner und schiebt dann noch einen Satz hinterher, den Hamann gottlob, wir sprechen nämlich wieder über Fußball, nicht gehört hat: "Marie ist eine Vollblutstürmerin, der Gerd Müller des deutschen Hockeys. Wenn sie im Strafraum den Ball kriegt, weiß sie, was sie machen muss." Beim Halbfinale des "weißen Balletts" gegen Mannheim habe sie die ersten vier Tore geschossen. Hamann selbst hat es mit keiner Silbe erwähnt.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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