Ammersee:Im Glanz der schönen Dinge

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Sie hat den Durchblick: Sylvia Kellner aus Utting ist Vergolderin und Restauratorin. Alte Bilderrahmen lässt sie in ihrer Werkstätte wieder in neuem Glanz erstrahlen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sylvia Kellner ist Vergolderin und Restauratorin. In ihrer Werkstatt in Utting bringt sie Rahmen, Gemälde und Skulpturen wieder zum Strahlen - ein Handwerk, das nur mehr wenige beherrschen.

Von Sabine Bader, Utting

Vorsicht, nicht pusten! Das Material, mit dem Sylvia Kellner zu tun hat, ist nämlich im wahrsten Sinne des Wortes "leicht flüchtig". Denn die diffizilen, hauchdünnen und wertvollen Blättchen auf ihrem Arbeitstisch sind aus purem Gold. Die 56-Jährige ist Vergolderin. Und in ihrer Werkstatt muss jeder Handgriff sitzen.

Wer Kellner in ihrem Privathaus in Utting am Ammersee einen Besuch abstattet, betritt eine kleine und fein säuberlich sortierte Werkstatt: Aufgereiht an der Wand lehnen Bilder und Ölgemälde neben ausladenden Goldrahmen. In einem großen Schubfach unter dem Arbeitstisch bewahrt sie diffizile Arbeitsgeräte wie die sogenannten Poliersteine auf. Mit ihnen heißt es sorgsam umgehen, denn sie sind - wie viele andere ihrer Werkzeuge - nicht nur teuer, sondern auch rar. Gerade ist Kellner damit beschäftigt, eine Kreidezeichnung vorsichtig vom Untergrund abzulösen und neu zu rahmen. Auf der anderen Seite des Arbeitstisches steht eine geschnitzte Madonna mit Jesuskind, die es zu restaurieren gilt.

Genau genommen heißt der von ihr erlernte Beruf "Vergolder- und Fassmalermeisterin". Die Vorsilbe "Fass" hat übrigens nichts mit einem Weinfass zu tun, das es zu bemalen gilt, sondern die Silbe kommt von der Fassung, die der Handwerker für ein Kunstobjekt fertigt. Durch das Bearbeiten von geschnitzten Heiligenfiguren mit einer sogenannten Polierweißfassung hat man beispielsweise in historischen Kirchen wie der Münchner Asamkirche Porzellan imitiert. Ein Vergolder und Fassmaler muss laut Kellner wissen, welche Farben, Bindemittel und Pigmente in welcher Zeitepoche benutzt wurden. "Man kann nicht mit modernen Farben auf ein historisches Objekt gehen", sagt sie. Zu den Bindemitteln zählt auch der sogenannte Hautleim, der aus Rinderhäuten gewonnen wird: Er dient als Klebemittel zum Vergolden.

Für Restaurierungsarbeiten verwendet Sylvia Kellner ihre Ölfarben. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Auf eine Palette trägt sie dann die Farben auf. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Hier restauriert Sylvia Kellner eine Madonna mit Jesuskind ... (Foto: Franz Xaver Fuchs)
... und hier löst sie eine Kreidezeichnung vorsichtig von ihrem Untergrund ab, ehe sie diese neu rahmt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

In ihrer Werkstatt vergoldet und restauriert sie nicht nur historische Rahmen, sondern stellt auch selbst neue her, die sie dann - je nach Kundenwunsch - vergoldet, versilbert, mit einer anderen Metallauflage versieht oder auch farblich gestaltet. Die 56-Jährige repariert auch Skulpturen und Möbel, frischt Öl- und Wandgemälde auf. Ist das Kunstwerk besonders wertvoll, streift sie sich zum Bearbeiten weiche, weiße Handschuhe über, um die Gegenstände extrem zu schonen. Auch im Außenbereich ist Kellner gelegentlich im Einsatz: So vergoldet sie geschmiedete Fenstergitter, Gartentore und Grabkreuze, die sie mit Inschriften versieht. Nicht zu vergessen sind zudem die weithin glänzenden Kirchturmkugeln und -kreuze.

Blattgold wird im Seidenpapierheftchen mit einem Durchmesser von acht mal acht Zentimetern verkauft. In kleinen Gefäßen gibt es zudem Goldstaub. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Echtes Blattgold kann man übrigens nicht mit den Händen greifen, weil man es sofort zwischen den Fingern zerreiben und es einfach verschwinden würde, denn es ist hauchdünn. Blattgold hat nur 8µ Stärke. Das heißt, es ist ein Achttausendstel Millimeter stark. Geliefert wird das Material im Seidenpapierheftchen mit einem Durchmesser von acht mal acht Zentimetern. Jedes der kleinen Goldblättchen hat 24 Karat und kostet 2,50 Euro. Diese Qualität benötigt das Edelmetall laut Kellner, damit die Goldauflage bestandsfest ist und nicht oxidiert. Bei einer guten Blattvergoldung im Außenbereich garantieren Fachleute, dass diese 25 bis 30 Jahre glänzend und makellos aussieht. "Das Edelmetall hält wahnsinnig viel aus. Selbst Hagel und Schnee können ihm nichts anhaben", sagt sie. Mit Schleifpapier allerdings lässt sich die Goldauflage sofort zerstören.

Kleine Goldplättchen werden aufgenommen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Mit dem Fehhaarpinsel wird das Goldplättchen "angeschossen". (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das Vergolden selbst geht dann schnell. Das muss es auch, denn die Zeit ist ein entscheidender Faktor: Man macht den extrabreiten Fehhaarpinsel, der aus den Schweifhaaren des sibirischen Eichhörnchens gefertigt wird, statisch, indem man mit ihm kurz durch das eigene Haar fährt, und nimmt dann das Goldplättchen auf. Als Untergrund wurde auf den zu vergoldenden Gegenstand zuvor gelbe und rote Tonerde aufgetragen, die man mit einem Wasser-Alkohol-Gemisch benetzt. Dann wird das Goldplättchen aufgelegt. Im Fachjargon nennt man den Vorgang "anschießen", weil alles schnell gehen muss.

Sobald das Material fast trocken ist, wird die Goldauflage mit dem Polierstein, dem Halbedelstein Achat, poliert. Aufgrund der allgemeinen Preissteigerung und der Inflation, so sagt Kellner, habe sie in diesem Jahr ihren Stundensatz allerdings erhöhen müssen. Falls mit dem Auftraggeber kein Fixpreis vereinbart ist, kostet eine Arbeitsstunde bei ihr 65 Euro. Abgerechnet, so versichert sie, wird bei ihr minutengenau.

Mit einem Polierstein verleiht Sylvia Kellner einem Putto samtigen Glanz. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dass dies der Beruf ihrer Wahl ist, hat Sylvia Kellner schon sehr früh gewusst. Bereits im Alter von zehn Jahren interessierte sie sich für alte Möbel. "Mein Vater hat all meine Ideen mit mir mitgesponnen", erzählt sie. "Wir sind auf Flohmärkte gegangen, haben alte Nachtkästchen und Stühle gekauft und diese gemeinsam geschliffen, gewachst und wieder aufbereitet." Ihr Ziel war es immer, aus beschädigten Gegenständen wieder echte Schmuckstücke zu machen. Auch alte Kutschen restaurierte sie mit ihrem Vater.

Kellner ist in München geboren. Im Alter von zehn Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Greifenberg. Das Mädchen lernte das Landleben schnell kennen und lieben. "Es gibt keinen schöneren Ort für mich zum Leben als den Ammersee", sagt sie und gibt auch gerne zu, nie wirklich weg gewesen zu sein. Nach dem Abitur absolvierte sie ihre Lehre in Windach. "Ich hatte einen großartiger Lehrherrn", sagt sie. Relativ zügig danach folgte die Meisterausbildung. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet sie nun selbständig. Vor 18 Jahren haben sie und ihr Mann, ein Radiosprecher, in Utting ein Haus gebaut, in dem sich heute auch ihre Werkstatt befindet. Wohnküche und Werkstatt sind nur durch eine Tür voneinander getrennt. Um etwas Distanz zwischen Arbeits- und Privatbereich zu wahren, streift sie stets ihren weißen Arbeitskittel über, wenn sie die Werkstatt betritt.

Die 56-Jährige unterrichtet Lehrlinge in Sondertechniken

Neben der täglichen Werkstattarbeit unterrichtet Sylvia Kellner auch Lehrlinge in allen drei Lehrjahren im Vergolderberuf in Sondertechniken. Dazu zählen unter anderem aufwendige Gravuren, Schriftmalerei, Radierung und Hinterglasvergoldung. Derzeit gibt es im dritten Lehrjahr deutschlandweit nur vier Lehrlinge. Im zweiten Lehrjahr sind es sieben, im ersten sechs Auszubildende - eine sehr überschaubare Anzahl. Dabei ist der Beruf des Vergolder- und Fassmalers immaterielles Unesco-Weltkulturerbe, erzählt Kellner, die auch Vorsitzende des Gesellen-Prüfungsausschusses ist. Als solche erstellt sie theoretische und praktische Prüfungen und nimmt diese auch ab. In Deutschland gibt es nur eine einzige Berufs- und Meisterschule für Vergolder, die ist in München. Die Werkstätten der Handwerkskammer Schwaben in Augsburg dürfen die Vergolder-Lehrlinge für ihre Kurse in Sondertechniken nutzen.

"Wir sind ein aussterbender Beruf", stellt Kellner resigniert fest. Denn nur noch wenige Leute geben ihr Geld für die Restaurierung historischer Kunstwerke aus. Und so darf sie heuer gerade mal vier Lehrlinge prüfen. Das sagt schon alles. Und trotzdem zieht ihr Handwerk sie noch heute in seinen Bann. "Ich brenne für meinen Beruf", sagt sie.

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