Bürgermeisterwahl:Der Optimist

Lesezeit: 5 min

Mit fast zwei Drittel der Stimmen setzte sich Ludwig Horn (CSU) am Sonntag gegen Amtsinhaberin Marlene Greinwald (FW) durch. (Foto: Nila Thiel)

Ludwig Horn (CSU) will am Sonntag zum neuen Tutzinger Rathauschef gewählt werden. Doch kann der 27-Jährige auch Bürgermeister? Auf Wahlkampftour zwischen Kinosesseln und Brotzeitplatten.

Von Ann-Marlen Hoolt und Viktoria Spinrad, Tutzing

Nach anderthalb Stunden wird es laut im Stüberl. Es geht um die Kreuzung am Eck. "Was san da die Wünsche?", fragt Ludwig Horn in die Runde. Die folgen prompt: weniger verdeckende Büsche, mehr Hinweisschilder, weniger Raser. Ein Mann lehnt sich nach vorn: "Die Bürgermeisterin meinte, sie nimmt das in die Hand. Und was ist passiert? Nichts." Horn steht auf, macht große Schritte hinaus auf die Straße und inspiziert das Corpus Delicti. Zurück im Stüberl macht er sich eine Notiz in seinen Block. "Woaß doch kei Sau ned, dass da rechts vor links ist", poltert eine Frau.

Tutzing, 105-Einwohner-Ortsteil Monatshausen, Feuerwehrstüberl. 17 Menschen sitzen auf knarzenden Holzstühlen und diskutieren. Funkmast, Finanzen, Verkehr. Dazwischen steht Ludwig Horn, 27, im Trachtenjanker. Der Bürgermeisterkandidat wirbt, hört zu, notiert Stichpunkte. Christsozialer Nachwuchs auf Wahlkampftour. Einer, der weiß, wie man die Menschen bei Laune hält. Am Seitentisch stehen zwei Brotzeitplatten für später bereit.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Er weiß ja, dass jede Stimme zählt am nächsten Sonntag, wenn 7841 Tutzinger zur Wahl des neuen Rathauschefs aufgerufen sind. Schon vor sechs Jahren entschieden nur einige Hundert Stimmen gegen den damaligen CSU-Kandidaten Florian Schotter, am Ende gewann Marlene Greinwald (FW). Es folgten Corona, Hauptstraßenlärm und Inflation. Die Nerven der Tutzinger? Angekratzt.

Zumindest, bis Horn in dem Ortsteil eintrifft. Er ist gleichermaßen ein Ventil für den allgemeinen Frust, aber auch ein Versprechen für frischen Wind: mehr Transparenz, mehr Silicon Valley, der Rathauschef als "Kraftwerk der Kreativität". Das sind seine Schlagworte. Wer ist dieser Mann, der am Sonntag zweitjüngster Bürgermeister Bayerns werden will? Und wie realistisch sind seine Ideen?

Die Horn'schen Wurzeln liegen in Tutzing fußläufig beieinander. Hier das Kino und die Filmtaverne, die seine Großeltern aufbauten. Dort das "Hotel Möwe", das seine Mutter eröffnete. Eine Familie aus Selbständigen. Mit zwölf Jahren wurde er Feuerwehrler, mit Reanimierungen kennt er sich aus. Auch mit solchen politischer Art. Als die AfD zunehmend Druck auf die Union machte, trat er in die CSU ein. Und das, obwohl Politik bei ihm zu Hause kein großes Thema war. Das Interesse, sagt er, war einfach da.

Ludwig Horn fordert Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) heraus - hier im Oktober bei einer SZ-Podiumsdebatte im Roncallihaus. (Foto: Arlet Ulfers)
Horn will vom 31. Januar an die Richtung in Tutzing vorgeben - so wie hier beim Wahlkampf im Feuerwehrhaus von Monatshausen. (Foto: Nila Thiel)
Auf Augenhöhe mit den Menschen sein: So stellt Horn sich das vor als Tutzinger Bürgermeister. (Foto: Nila Thiel)

Spaziert man mit ihm durch den Ort, grüßt er fast jeden. Als Ortsgewächs und langjähriger Vorsitzender der Landjugend hat er viele Freunde. Auf geht's, jetzt pack ma alle nochmal an - so kennen ihn seine Spezln, so zog er ein Weinfest am See auf. Gegner musste er sich bislang keine machen; das ist ein Vorteil in einer Kommune, in dem allein eine abgekanzelte Firsthöhe so manchen Bauherrn schnell verstimmen kann. Unliebsame Entscheidungen? Für ihn eine Kommunikationsfrage: Man müsse Verständnis schaffen, Abwägungen "ganz klar darstellen", sagt er.

Vielleicht ist es ja auch ein gewisser Instinkt, die Menschen einzufangen, die auch die Basis seiner blitzartigen Politkarriere im Ort ist. Mit 23 Jahren wird er vom eher wenig aussichtsreichen CSU-Listenplatz elf nach vorn in den Gemeinderat gehäufelt und bekommt dabei fast so viele Stimmen wie das christsoziale Orts-Urgestein Elisabeth Dörrenberg. Vier Jahre und einen Wirtschaftsinformatik-Bachelor später bedient auch er die Klaviatur der Kommunalpolitik: Förderrichtlinien, Vermögenshaushalt, Grundlastfähigkeit.

Tutzing - ein Idyll in Mangelverwaltung

Und er kennt auch die leidigen Entwicklungsprobleme seiner Heimatgemeinde, die im Versicherungsbüro des Kaufmanns als Karte an der Wand hängt. Im Osten der See, im Westen die Naturschutzgebiete. Dazwischen: kaum noch eigene Grundstücke, marode Infrastruktur und eine Kasse, so leer, dass Tutzing eine Art Grundsicherung für Kommunen bezieht. Ein Idyll in Mangelverwaltung. Auch er dürfte kaum herumkommen, gemeindliches Tafelsilber zu verkaufen, um Pflichtaufgaben zu finanzieren.

Als Vorsitzender des Vereins "Junge Menschen" organisierte Horn (am Mikrophon) 2017 eine Podiumsdiskussion zwischen den damaligen Kandidaten. Nun kandidiert er selber. (Foto: Manuela Warkocz)

Potenziale sieht er trotzdem, etwa beim Gewerbe. Im Feuerwehrhaus breitet Horn die Arme aus. "Erfolgreiche Firmen brauchen keine Riesenflächen", sagt er. Nur traue es sich keiner, "das anzupacken". Die freie Wirtschaft kennt er aus seiner Arbeit beim IT-Unternehmen Lobster. Der Rathauschef als Gewerbeförderer, der auch mal auf einer Münchner Start-up-Messe für den Standort wirbt: So sieht sich Horn. Was er nicht sagt: Dass es kaum noch freie Flächen gibt. Dass die Gewerbesteuer in den vergangenen sechs Jahren durchaus angezogen hat. Dass ein längst geplantes Gewerbegebiet in Traubing feststeckt wegen vermuteter Altlasten im Boden.

Miteinander reden, gemeinsam gestalten - das ist das Horn'sche Wahlkampfmotto

Ob ein Bürgermeister Horn verfahrene Konflikte lösen, Tutzing zur Pilgerstätte für Start-ups machen könnte? Da sind sich selbst Unterstützer nicht sicher. Dasselbe gilt für das seit Jahrzehnten versprochene, aber nie gebaute Hotel auf dem Seehof-Areal und den stillgelegten Andechser Hof. Dem Neubauplan hat auch er zugestimmt. Dass die Gemeinde aber niemanden zum Bauen zwingen kann, weiß er ebenfalls. Dennoch: "Gespräche darf man nie abbrechen", sagt Horn. Miteinander reden, gemeinsam gestalten - das ist sein Wahlkampfmotto.

Auf Instagram kann man sich durch seinen Bilderwahlkampf scrollen. Horn selbstironisch beim Angeln ("ich bin sehr schlecht"), Horn nachdenklich vor dem Laptop, Horn mit Ilse Aigner. Sogar einen Podcast hat er zuletzt obendrauf gelegt, neben den 20, 30 Wahlkampfterminen quer durch Tutzing; wie viele es waren, weiß er selber nicht so ganz. Gleich mehrere Flyerrunden hat er gedreht, Erstwählerbriefe an die Tutzinger Jugend geschickt. Ein Großwahlkampf, der signalisiert: Da will es einer unbedingt.

Ein Abend im Tutzinger Kurtheater, zweieinhalb Wochen vor der Wahl. Knapp über 50 Menschen sitzen in dem alten Kinosaal. Auf der Bühne steht ein prominenter Wahlkampfhelfer: Klaus Holetschek, Ex-Gesundheitsminister, jetzt Fraktionsvorsitzender der CSU im Landtag. Was seiner Meinung nach einen guten Bürgermeister ausmache, will einer wissen. Holetschek antwortet: "Ein guter Bürgermeister muss die Menschen mögen. Er darf sie nicht als Last empfinden." Als er Ludwig Horn kennengelernt habe, da habe er gedacht: "Der könnte so einer sein."

Beim Plakattieren war Horn schneller als die Bürgermeisterin... (Foto: Franz Xaver Fuchs)
...und er denkt groß: Quer über Tutzing verteilen sich mehrere Meter breite Banner mit seinem Konterfei, so wir hier an der Lindenallee. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Den Landtags-Fraktionsvorsitzenden der CSU, Klaus Holetschek, hat sich Horn als Wahlhelfer ins Kino seines Onkels geholt. (Foto: Ann-Marlen Hoolt)

Die Menschen mögen, reicht das? In einem Amt, in dem man sich nicht nur mit aufgebrachten Bürgern, sondern auch mit Bürokratie, Förderanträgen und persönlichen Haftungsfragen herumschlägt. In dem man einen heterogenen Gemeinderat aus 20 Leuten und eine strapazierte 100-Personen-Verwaltung zu steuern hat. Könnte Kapitän Horn das Gemeindeboot auch in stürmischer See auf Kurs halten? Selbst in seinem Ortsverband gibt es Menschen, die das bezweifeln: zu jung, zu unerfahren, meinen manche. Horn selber blickt gelassen auf sein Alter. Er könne sich nicht älter machen, als er ist, sagt er. "Aber ich schäme mich auch nicht zu sagen, dass ich 27 bin."

Fakt ist: Intern hat er sich durchgesetzt. Ansonsten überlässt er auch gerne anderen die große Bühne. Im Tutzinger Kino lässt er sich in einen Sessel nieder und lässt Holetschek reden, im Feuerwehrhaus spricht vor allem Gemeinderat Georg Schuster. Horn hat leichte Mühe, sich wieder das Wort zu verschaffen.

Mit richtig großen Würfen hat er sich im Gemeinderat bislang nicht hervorgetan. Online-Terminvergabe, Geschirrmobil, Minigolfplatz - es sind vor allem konkrete Projekte, die er als Vereinsreferent angeschoben hat. Vergleichsweise lang ist die Liste der Ziele auf seiner Website. Ticketrabatt für Parker, Bürgermeisterbriefe, Ortsteilversammlungen. "Viele fühlen sich nicht abgeholt", sagt Horn. Zur Wahrheit gehört aber auch: Vieles von dem, mit dem er wirbt, ist nicht neu. Jungbürgerversammlungen, Ortsentwicklung, kommunale Wärmeplanung, bezahlbares Wohnen - alles am Laufen. Wenn auch vielleicht nicht so, wie Horn sich das vorstellt. "Wenn ein bisserl Wille dahinter ist", sagt er, "geht mehr, als man meint."

Für die Tutzinger CSU wäre ein Wahlerfolg das Ende einer langen Durststrecke. Horn wäre der erste christsoziale Verwaltungschef in Tutzing seit 2008. Manche befürchten sogar, es wäre der Neubeginn alter Klüngeleien. Horn weist das zurück. "Ein Bürgermeister muss integer sein", sagt er. Klar ist, dass seine Fraktion wachsen würde. Für Horn würde voraussichtlich Kulturmanagerin Brigitte Grande nachrücken, dann wären es sieben CSU-Gemeinderäte. Und mit Vize-Bürgermeisterin Elisabeth Dörrenberg wären sogar zwei CSU-Chefs im Rathaus.

Zumindest bis zum Frühjahr 2026. Wenn in Bayern wieder Kommunalwahlen anstehen, will auch Dörrenberg Schluss machen. Bürgermeister Horn würde dann freiwillig zurücktreten, um gleich wieder anzutreten. So verspricht er es, um die seit dem Tod von Bürgermeister Rudolf Krug entkoppelten Wahlen wieder zusammenzuführen. Im Monatshauser Feuerwehrhaus sagt er: "Sollten's unzufrieden sein, können's mich gleich wieder wegwischen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bürgermeisterwahl
:Die Ausmisterin

Als Tutzinger Rathauschefin ist Marlene Greinwald (FW) verschleppte Sanierungen im Ort angegangen. Das könnte ihr nun zum Verhängnis werden. Unterwegs mit einer Frau vor einer Schicksalswahl.

Von Viktoria Spinrad

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: