Weihnachtsgeschenke:Der Wahnsinn in Paketen

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Weit mehr als 1000 Kartons pro Tag werden derzeit rund um Starnberg ausgeliefert. Was sagt ein Zusteller, dem keine zwei Minuten pro Paket bleiben?

Von Christoph Koopmann, Berg

Wahnsinn, das ist ein Wort, das Heiko Friedrich im Moment sehr häufig benutzt. Wahnsinn, wie viel die Leute im Internet bestellen. Wahnsinn, was in den Paketen alles drin ist. Und Wahnsinn, was er und seine Kollegen leisten müssen. Friedrich ist Zusteller bei der Deutschen Post, die in den Tagen und Wochen vor Weihnachten ihr Hauptgeschäft hat. Weit mehr als 1000 Pakete müssen Friedrich und seine Kollegen derzeit täglich in und um Starnberg ausliefern, oft sind es doppelt so viele wie an durchschnittlichen Tagen im Rest des Jahres. Ein Dutzend Elektro-Kleintransporter schwärmt jeden Morgen am Post-Zentrum in Starnberg aus, um den Menschen ihre Geschenke zu bringen.

Da soll nichts schiefgehen, auch wenn mancher Empfänger derzeit skeptisch sein dürfte - erst Anfang der Woche war bekannt geworden, dass ein Pöckinger mehr als 600 vor Haustüren abgelegte Pakete und Briefe einfach mitgenommen haben soll. Heiko Friedrich sieht dabei keine Schuld bei der Post. Auf seiner Tour stellt er die Pakete nicht einfach vor der Tür ab, wenn der Adressat nicht öffnet. Das dürfe er nur, wenn der Kunde es schriftlich erlaubt habe, erklärt er.

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Friedrich und ein Kollege fahren an diesem Tag kurz vor Heiligabend "Verstärker-Touren" mit extra fürs Weihnachtsgeschäft angemieteten Transportern, zusätzlich zu den regulären Fahrten der anderen Zusteller. "Sonst wäre die Menge an Paketen gar nicht zu schaffen", sagt Friedrich. Um ein Uhr Mittags an diesem Tag ist er wahrscheinlich schon mehr Kilometer gelaufen und hat mehr Kilogramm geschleppt als die meisten anderen an einem ganzen Tag. "Langsam merk ich das im Rücken", sagt er. Dabei ist er erst 36 Jahre alt. 260 auszuliefernde Pakete hat der Scanner am Morgen angezeigt, als Friedrich vom Hof fuhr. "So viele hatte ich noch nie", sagt er. Im Sommer seien es höchstens 100, auch in den vergangenen Tagen waren es weit weniger als an diesem. 260 Pakete, das bedeutet: dreieinhalb Stunden sortieren und einladen, danach sieben Stunden ausliefern - keine zwei Minuten pro Paket. Hallo, Post, Paket für Sie, einmal unterschreiben, bitte, danke, einen schönen Tag Ihnen. Immer wieder. Friedrich ist routiniert, aber freundlich.

Seit 13 Jahren arbeitet er bei der Post, angefangen hat er mit der Ausbildung zur "Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen", erst in seiner Heimat bei Osnabrück, seit 2012 arbeitet er am Ostufer des Starnberger Sees. Hier ist er als Verbundzusteller unterwegs, er liefert also Briefe, Päckchen und Pakete.

82335 Berg, Zustellbezirke 71 bis 78, das ist Friedrichs Revier. Hier kennt er praktisch jeden - die vielen Reichen genauso wie die eher wenigen Armen, die Alten wie die Jungen. Wenn Ehepartner sich scheiden lassen, Menschen sterben oder weggehen, bekommt Friedrich das mit. Und er erfährt mitunter, was die Berger sich so alles liefern lassen. "Der Postbote weiß alles", sagt Friedrich und lacht. Aber enge Beziehungen zu den Leuten gebe es kaum. Dafür fehlt ihm die Zeit. Bei manchen reicht sie immerhin für Small Talk. Denn was im Wagen ist, soll auch ausgeliefert werden. Es wird nicht einfacher, wenn immer mehr Menschen bei Internethändler bestellen, die Lieferfristen innerhalb von ein oder zwei Tagen versprechen.

Solche Prioritätssendungen hat Friedrich haufenweise im Wagen. Um acht Uhr am Morgen hat er begonnen, ihn zu beladen. Was als letztes geliefert werden soll, kommt nach hinten. "Die Starnberger Straße ist ja Wahnsinn heute, da bin ich lang unterwegs", ruft er zwischendurch. Die Adressen kann Friedrich nach sieben Jahren in Berg alle aus dem Kopf verorten, die ideale Route für den Tag kriegt er schnell zusammen. Das Beladen gleicht dennoch einem riesigen Tetris-Spiel. Es sind Pakete aller Formen und Größen dabei. Darin sind, wenn man den Aufdrucken glauben kann, Weinflaschen, Schuhe oder Räucheraale aus Bad Zwischenahn.

Manche Empfänger bedanken sich bei Friedrich für die Schlepperei mit Trinkgeld oder mit Tee. (Foto: Nila Thiel)

Jedes einzelne Paket muss vorm Einladen gescannt werden, der Scanner bringt dann die Sendungsnummern in die richtige Reihenfolge. "Das hilft, damit ich kein Paket vergesse", sagt er. Aber das Erfassungssystem bedeutet auch: beinahe totale Überwachung. Wenn er ein Paket als "eingeladen" registriert, dann kann man das in der Online-Sendungsverfolgung sehen. "Es setzt einen schon unter Druck, wenn die Kunden praktisch jeden Schritt verfolgen können", sagt Friedrich.

Viele Kunden schätzen, was Friedrich in diesen Tagen für sie tut. Zum Beispiel die Dame, die Friedrich zum Dank zwei Packungen Tee gibt und ihm "Fröhliche Weihnachten!" hinterherruft. Oder der Senior, der, nachdem er seine Weihnachtspakete längst bekommen hat, im Bademantel noch einmal zum Transporter läuft, um Friedrich wortlos ein paar Euro Trinkgeld in die Hand zu drücken.

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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