Der ursprüngliche Fahrplan zum Bau des Starnberger B2-Tunnels ist gehörig durcheinander geraten, der vor Jahren angepeilte Fertigstellungstermin 2026 ist schon lange obsolet. Zwar konnte der im Sommer erfolgte Neubau der Eisenbahnbrücke über die Hauptverkehrsader der Kreisstadt mustergültig abgeschlossen werden, auch das befürchtete Verkehrschaos blieb aus.
Doch in den Folgejahren dürfte es nach aktuellem Stand zu erheblichen Verzögerungen kommen: Die Regierung von Oberbayern hat noch immer nicht die erforderliche Genehmigung zum Planänderungsverfahren erteilt. Und damit nicht genug verlässt mit Herwig Ludwig zum Jahresende überraschend der federführende Tunnelbau-Spezialist des Staatlichen Bauamts Weilheim die Behörde. Welche Folgen dieser personelle Wechsel haben könnte, ist kaum absehbar. Sicher ist nur: Selbst unter günstigsten Umständen wird der Tunnel kaum vor 2033 fertiggestellt sein. Und viele fragen sich angesichts ungewisser Zukunftsaussichten: Wird er überhaupt jemals gebaut?
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Unter "Stellenanzeigen.de" und auf der Homepage des Staatlichen Bauamts findet sich im Internet eine bemerkenswerte Annonce: Gesucht wird ein "Projektleiter (m/w/d) Tunnel Starnberg". Zum nächstmöglichen Zeitpunkt, so heißt es in der Ausschreibung, soll die neue Fachkraft die Leitung des Großprojekts "Tunnel Starnberg" übernehmen.
Zu den Aufgaben zählen unter anderem die "Wahrnehmung der Verantwortung für die Bauherrenaufgaben unter der Zielsetzung von Terminen, Schnittstellenkoordination, Kosten und Qualität", die "Koordination aller beim Projekt anfallenden Arbeiten" sowie die Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen. Zudem soll der neue Mann oder die neue Frau "zentraler Ansprechpartner für interne wie externe Projektbeteiligte" und bei "Abstimmung mit Behörden, Privaten sowie Fachbeteiligten" dabei sein. Langjährige Berufserfahrung im Bereich maschineller Tunnelbau sowie innerstädtischem Bauen ist zwingend Voraussetzung. Ob das Vorhaben von Erfolg gekrönt ist, bleibt abzuwarten, denn Tunnelbau-Experten sind rar: "Aufgrund des aktuellen Fachkräftemangels und der derzeitigen Situation mit einer Vielzahl an Tunnelbauprojekten in der direkten Umgebung", teilt ein Pressesprecher des Bauamts mit, "ist die Lage auf dem Bewerbermarkt in diesem recht speziellen Bereich äußerst angespannt".
Warum Ludwig seinen Posten verlässt, darüber lässt sich bestenfalls spekulieren. Auf Anfrage erklärte er, er werde sich vom nächsten Jahr an um den Ausbau und die Sanierung des Münchner U-Bahn-Netzes kümmern. "Ich mag lieber bauen als zuschauen", sagte er. Aus Münchner Sicht eine gute Wahl: Ludwig, seit 2017 Mitarbeiter des Staatlichen Bauamts, gilt als versierter Fachmann, der bei öffentlichen Auftritten stets eloquent Rede und Antwort stand und sich nur selten aus der Ruhe bringen ließ.
Corona, Krieg, Klima, Inflation: Die Zeichen stehen alles andere als günstig
Der Bau des Starnberger Tunnels ist seit Jahrzehnten umstritten. Nach endlosen Debatten, Protesten und politischen Verwerfungen hatte sich der Stadtrat im Februar 2017 mit knapper Mehrheit für den Bau des planfestgestellten Entlastungsprojektes durchgerungen. Seither änderte sich jedoch einiges, nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine.
Zwar trieb das Tunnelteam des Staatlichen Bauamts das Projekt voran, überall im Stadtgebiet wurde gebohrt zur Erkundung der Wasserströme im Untergrund, das insgesamt 2,18 Kilometer lange Tunnelbauwerk plus Zu- und Ablaufstrecken wurde planmäßig optimiert. Die Kommunikation seitens der Behörde erreichte ein zuvor nie gekanntes Niveau: Regelmäßig gab es Sprechstunden, Meetings und Flyer, Infoveranstaltungen, Newsletter und sogar einen Facebook-Auftritt. Die Petersbrunner Straße wurde zur Bundesstraße 2 hin geöffnet, im Starnberger Süden entstand ein Zwischenlager, ein Wettbewerb kürte die schönsten Tunnelportale. Vorläufiger Schlusspunkt war Ende August die Bahnbrücke.
Doch einiges klappte auch nicht. Der für März geplante Stresstest für die Innenstadt, ein vierwöchiger Probelauf mit geänderter Verkehrsführung, soll nun nächsten April stattfinden. Ansonsten geplant für nächstes Jahr: Die Sondierung von Kampfmitteln aus dem Zweiten Weltkrieg, archäologische Vorerkundungen, Spartenverlegungen und Beweissicherungsverfahren. Wichtigster Baustein aber ist das Planänderungsverfahren: Seit Oktober 2020 steht eine Entscheidung aus, längst hätte ein Ergebnis vorliegen sollen. Doch das Wasserwirtschaftsamt hatte weitere Informationen gefordert, das Verfahren zieht sich.
Weitere Hemmnisse auf dem Weg zum Tunnel: Sobald der Planänderungsbeschluss öffentlich vorliegt, können Betroffene Einwendungen geltend machen, Einspruch einlegen oder Klage einreichen. Eine konkrete Zeitspanne für den Abschluss der juristischen Verfahren - gleichbedeutend mit einem rechtskräftigen Beschluss - zu benennen, wäre unseriös. Doch es könnten Jahre verstreichen. "Wie lange das Planänderungsverfahren und dadurch die Vorbereitungszeit bis Baubeginn noch dauern wird, ist aktuell leider nicht abschätzbar", weiß man auch beim Staatlichen Bauamt. Hinzu kommen Grunderwerb und die Sicherung von Grunddienstbarkeiten. Die Aufträge für Tunnelbohrmaschine und Bohrung müssen europaweit ausgeschrieben werden, was ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen dürfte. Die reine Bauzeit zur Erstellung des Tunnelrohbaus beträgt rund sieben Jahre. Dann wäre es 2033 oder noch später.
Bis dahin aber könnte sich auch der Wind auf politischer Ebene drehen. Die Kostenschätzung aus dem Jahr 2020 mit 320,5 Millionen Euro ist überholt; angesichts von Kostensteigerungen und Inflation muss man wohl mindestens eine halbe Milliarde Euro veranschlagen. Zudem hat sich das Verkehrsaufkommen auf der B2 in Starnberg reduziert. Registrierte man 2019 noch knapp 40 000 Fahrzeuge täglich, waren es - vermutlich durch Corona und Homeoffice - laut Landesbaudirektion Bayern im vergangenen Jahr nur noch durchschnittlich 31 164 Autos.
Letztlich wird es also eine politische Entscheidung sein, ob der Starnberger Tunnel gebaut wird. Zwar ist die Finanzierungsfreigabe durch den Bund erfolgt, mit der Ausführung wurde begonnen: Etwa 16,4 Millionen Euro sind laut Bauamt schon "verbaut". Dabei steht der Tunnel jedoch schon seit Jahren nicht mehr im "vordringlichen", sondern nur noch im "weiteren Bedarf" des Bundesverkehrswegeplans.
Im Weilheimer Bauamt gibt man sich weiterhin optimistisch: Dass das Projekt komplett gestrichen werden soll, sei nicht bekannt, heißt es, "und wurde seitens des Bundes auch nicht geäußert". Auch seien keine besonderen Umstände bekannt, unter denen es "zum vorzeitigen oder endgültigen Aus für das Projekt kommen könnte". Dennoch bleiben Zweifel. Wer im Bundesverkehrsministerium in Berlin in zwei oder sechs Jahren das Sagen hat, ist ebenso ungewiss wie die allgemeine Weltlage und die Haushaltslage im Bund. Und die Starnberger werden auf absehbare Zeit weiterhin mit ihrem Stau leben müssen.