Abitur in der Pandemie:Zwischen Lockdown und Lockerung

Lesezeit: 3 min

Zu Margarete Blunck kommen seit der Pandemie auch Schüler, die vorher noch nicht ihre Hilfe in Anspruch genommen haben. (Foto: Nila Thiel)

Homeschooling, Kontakte reduzieren, kaum Ausgleich - und das alles in einer Zeit, in der man nichts dringlicher möchte als die Welt zu entdecken. Zwei Pädagoginnen über den Abijahrgang während Corona.

Von Linus Freymark, Starnberg

Am vergangenen Wochenende haben sie alle zusammen gefeiert. Sie haben die Turnhalle hergerichtet, es gab Programm, "das war wirklich toll", sagt Margarete Blunck. Die Erziehungsmediatorin kümmert sich am Gymnasium Gilching zusammen mit einem Kollegen um die Schulsozialarbeit, und vielleicht hat sie den diesjährigen Abiturball auch deshalb so genossen, weil hinter ihr und den Schülerinnen und Schülern eine besondere Oberstufenzeit liegt. Zwei Jahre zwischen Lockdown und Lockerung, Homeschooling und Unterricht in der Schule. Der Abiturjahrgang 2022 ist der erste, der beinahe die gesamte Oberstufe unter Pandemiebedingungen absolviert hat.

Schon im Frühjahr 2020, die Pandemie war erst einige Wochen alt, haben sich die ersten Schüler bei Blunck gemeldet und gesagt: "Ich kriege das nicht hin." Zuhause lernen, kaum Ablenkung, kein Kontakt zu Lehrern und Gleichaltrigen. "Die Motivation von außen hat gefehlt", erklärt Blunck. Obendrein gab es ja so gut wie nichts außer der Schule: kein Fußball, kein Tanzen, kaum Kontakt zu Freunden. Auch wegen dieses fehlenden Ausgleichs sollten Schulen und Freizeiteinrichtungen im nächsten sich bereits anbahnenden Corona-Winter so lange wie möglich offen bleiben, findet Blunck. "Den Jugendlichen fehlt so viel dadurch."

Hinzu kamen gerade für die älteren Jahrgänge oft Spannungen mit den Eltern. Schließlich will man mit 15, 16 oder 17 Jahren hinaus in die Welt, anstatt mit nervenden Müttern und Vätern am Esstisch zu sitzen. Viele hätten ihre Probleme mit sich selbst ausgemacht anstatt mit jemandem darüber zu reden, meint Blunck. Viele Schüler hätten sich aber auch bei ihr gemeldet, darunter einige, die davor noch nicht den Kontakt zu ihr gesucht haben. "Ich hatte die ganze Zeit gut zu tun", sagt Blunck. Gerade unter den Abiturienten sei die Diskrepanz zwischen selbst gemachtem Druck und fehlender Motivation besonders groß gewesen. Und dann noch die viele Zeit vor dem Bildschirm. "Alles hat sich am Laptop abgespielt", erklärt Blunck. "Aber dort wird eine Welt vorgegaukelt, die nicht real ist." Das könne, gerade bei Jugendlichen in der Findungsphase, zu Problemen führen.

Eine Beobachtung, die auch Christina Eckelmann gemacht hat. Die Schulpsychologin am Gymnasium Starnberg hat seit der Pandemie vermehrt Essstörungen festgestellt. Natürlich spielen dafür auch Veranlagungen in der Persönlichkeit eine Rolle, aber die viele Zeit im Internet verstärke diese. Wenn man nur noch perfekte Körper auf Instagram sehe und der Vergleich zu "normalen" Gleichaltrigen fehle, könne dies falsche Erwartungen an sich selbst fördern, meint Eckelmann. Betroffen seien vor allem Mädchen, die eine ambitionierte Persönlichkeit haben. "Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper gibt Struktur und Kontrolle", erklärt Eckelmann. Genau das habe vielen Jugendlichen durch die Corona-Einschränkungen gefehlt. In Maßen sei die Beschäftigung mit dem eigenen Körper durchaus positiv, sagt Eckelmann. "Aber bei manchen wird es irgendwann zu viel."

Schulpsychologin Christine Eckelmann vom Gymnasium Starnberg. (Foto: Nila Thiel)

Für die Abiturienten zusätzlich herausfordernd: die teilweisen Leistungserleichterungen während der Oberstufe. Fristen wurden verlängert, den Schülern wurde mehr Freiraum bei der Einbringung der Noten gewährt. Aber: In den Abiturprüfungen gab es diese Erleichterungen dann nicht mehr. "Bei einigen hat das zu einer Diskrepanz im Leistungsbild gesorgt", erklärt Eckelmann.

Besonders schwer hätten es dabei die Schüler gehabt, die zum Lernen die Interaktion mit anderen Menschen brauchen, meint Margarete Blunck. "Es gibt verschiedene Lerntypen", sagt sie. Manche müssten die Inhalte mit anderen besprechen oder bräuchten den Lehrer, der vorne etwas erklärt und bei Fragen direkt ansprechbar ist. Das alleinige Aufschreiben des Stoffes reiche nicht bei jedem. "Es gibt Menschen, die keinen Bezug zu ihrer Schrift haben", erklärt Blunck.

Wie aber ging es den Abiturienten außerhalb der Schule? Wie haben sie die vergangenen zwei Jahre erlebt? Blunck und Eckelmann haben beide die gleiche Beobachtung gemacht: Gerade die älteren Schüler hätten immer wieder das Gefühl geäußert, ihnen würde ihre Jugend weggenommen. "Dieses Bewusstsein gab es in der Unter- und Mittelstufe nicht", sagt Eckelmann.

Margarete Blunck hat in diesen Fällen versucht, den Jugendlichen auch die positiven Seiten der aktuellen Situation in Erinnerung zu rufen. Ja, hat sie ihnen gesagt, gerade ist es schwierig. Aber was war für euch positiv? Da habe es eigentlich immer etwas gegeben.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: