Testflüge im Fünfseenland:"Ich bin aus dem Bett geflogen. Das war ein solcher Krach"

Lesezeit: 2 Min.

Das Amphibienflugzeug "Seastar" von Dornier unternimmt im März 2020 seinen Jungfernflug und dreht Runden über Herrsching am Ammersee. (Foto: Dornier Seawings)

Die Seastar kann von Land und von Wasser aus starten und landen. Derzeit unternimmt das neue Flugzeug von Dornier am Sonderflughafen Oberpfaffenhofen Testflüge - und macht viel Lärm.

Von Kim Fischer, Gilching/Weßling

Gerade in der Urlaubszeit genießen viele Menschen die Möglichkeit, ein wenig länger zu schlafen und am Morgen ihre Ruhe zu haben. Für Gabriele Schwaiger aus Gilching war das jüngst unmöglich, als donnerstags und freitags jeweils um 8 Uhr morgens ein lautes Kleinflugzeug in der Nähe ihres Hauses vorbeiflog. "Ich bin aus dem Bett geflogen. Das war ein solcher Krach und das eine Stunde lang", erzählt sie aufgebracht.

Bei der Maschine handelt es sich um die neue "Seastar" des Oberpfaffenhofener Flugzeugbauers Dornier - und die Gilchingerin sei nicht die einzige Anwohnerin gewesen, die sich gemeldet habe, erklärt Ingenieur Simon Schell. Die Testflüge dauerten zwar noch an. Doch die Sorge vieler Anwohner, dass es jetzt regelmäßig lärmen könnte, sei unbegründet. Denn die Tests wie die über Gilching auf niedriger Höhe mit vielen Starts und Landungen seien abgeschlossen. Es folgten Flüge in größerer Höhe, die regional weiter ausgedehnt seien. Die machten weniger Lärm.

Grund der lauten Flüge seien Kalibrierungen gewesen - die Instrumente werden dabei gewissermaßen überprüft. Die benötigten Messungen passierten durch eine geeichte Referenzbodenstation am Sonderflughafen in Oberpfaffenhofen, weswegen das Flugzeug dort vor drei Wochen öfter starten und landen musste. Die Tageszeit der Flüge am frühen Morgen, die für besonders viel Ärger sorgten, seien aber nicht vermeidbar gewesen. Eine ruhige Wetterlage sei von großer Bedeutung, weswegen die Tagesrandzeiten, also zum Beispiel um 8 Uhr morgens, ideal sind.

Den ersten Prototypen des zweimotorigen Amphibienflugzeugs hatte Claudius Dornier jr. bereits in den 1980er-Jahren entworfen. 2013 schloss sich das Unternehmen mit zwei chinesischen Staatsfirmen unter dem Namen Dornier Seawings zu einem Joint Venture zusammen und entwickelte den Prototyp des Gefährts weiter. Die Seastar habe im vergangenen Jahr ihren Jungfernflug absolviert und verfüge über eine vorläufige Verkehrszulassung, zu der auch eine Lärmzulassung gehöre, erklärt Simon Schell. Alle Vorgaben wie die zulässigen Flugzeiten und -höhen seien eingehalten worden.

"Das ist ein sehr besonderes Flugzeug. Das baut außer uns niemand", sagt Schell. Die Besonderheit bei diesem Bautyp sei zum einen, dass die Maschine sowohl von Land als auch von Wasser aus starten und auch auf beidem wieder landen könne. Das sei besonders wichtig in Ländern mit vielen Inseln wie zum Beispiel Griechenland, Schweden oder Indonesien. Ganz wichtig sei dabei der Umweltaspekt, erklärt der Ingenieur. Auf vielen Inseln gebe es noch nicht viel Infrastruktur. Um Platz für Landebahnen zu schaffen, müssten beispielsweise Wälder gerodet werden. Das sei mit einem Amphibienflugzeug nicht mehr nötig. Die einzigen Alternativen seien lediglich Schiffe, die oft langsam sind, und Hubschrauber, deren Lande- und Starttechnik nicht energieeffizient sei. "Die Einsatzgebiete sind vielfältig. Das Flugzeug kann für die Seenotrettung, Touristenanbindung, Cargoflüge, Forschungsflüge und vieles mehr eingesetzt werden", sagt Schell. Ein weiterer Vorteil sei das verwendete Faserverbundmaterial, das nicht roste und den Wartungsaufwand verringere.

Die Lautstärke liege an der Bauweise, erklärt Ingenieur Schell. Die Triebwerke lägen nicht wie bei anderen Flugzeugen nebeneinander sondern hintereinander. Das erleichtere dem Piloten, das Flugzeug zu lenken, wenn ein Triebwerk ausfallen sollte, da kein Drehmoment entstehe, das ausgeglichen werden müsste.

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Die technischen Finessen können Gabriele Schwaiger nicht trösten: "Dass Flugzeuge mit einer derartigen Lärmentwicklung überhaupt noch gebaut werden dürfen, verwundert ohnehin", hat sie an Dornier geschrieben. "Wir wurden mit Beschwerden bombardiert", bestätigt Rudolf Ulrich, Vorsitzender des Vereins gegen Fluglärm aus Gilching. Dieser hatte zuletzt angeprangert, dass gerade in der Urlaubszeit viele Maschinen vom Sonderflughafen Oberpfaffenhofen aus Ferienziele ansteuerten - die Malediven, Mallorca oder Malaga. "In letzter Zeit kommen die Flugzeuge im Zehnminutentakt. Das ist wie ein Meer aus Lärm. Und dann sind es einfach die besonderen Einzelereignisse, welche die Anwohner auf die Barrikaden bringen."

© SZ vom 07.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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