NS-Euthanasie:In Gedenken an Heinrich Emmerling und viele andere

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Kurz vor seinem Tod 1943 kam Heinrich Emmerling in das Hungerhaus für Männer der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Dort starb er im Alter von nur 30 Jahren. (Foto: Archiv von Tiedemann)

Er studierte Geografie - doch die Nazis wiesen den jungen Mann in die Anstalt Eglfing-Haar ein. Dort starb er 1943, mit 30 Jahren und 42 Kilo. Nun erinnern Starnberger Kommunalpolitiker an die NS-Opfer.

Von Linus Freymark, Starnberg

Ein paar Jahre vor seinem Tod schrieb Heinrich Emmerling einen Brief. Das war 1936, Nazi-Deutschland polierte mit den Olympischen Spielen in Berlin sein internationales Image auf, nur um drei Jahre später den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen. Längst hatten die neuen Machthaber damit begonnen, ihre Gegner und all jene, die nicht ins nationalsozialistische Weltbild passen, zu verfolgen und zu terrorisieren. 1935, ein Jahr vor dem Brief, hatte der Geografiestudent Emmerling in einer Vorlesung in München seinen Atlas auf den Tisch geworfen und "Alles ist falsch!" gerufen.

Daraufhin wiesen ihn die Nazis zunächst in die Universitätsnervenklinik ein, kurz darauf wurde Emmerling in die "Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar" verlegt. Dort schrieb er 1936: "Es ist quälend, sich in einem Mittelding von Gefängnis, Konzentrationslager, Arbeitsdienst und Irrenanstalt = Heilanstalt auf nicht vorauszusehende Dauer zu befinden." Es würde noch sieben Jahre dauern, bis Emmerling in Eglfing-Haar qualvoll zu Tode kommen sollte.

Um an Menschen wie Heinrich Emmerling zu erinnern, haben Starnberger Kommunalpolitiker an der Initiative "Die Rückkehr der Namen" teilgenommen. Bei der von zahlreichen Unternehmen und Politikern wie Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) initiierten Gedenkveranstaltung übernimmt jeweils eine Person eine Patenschaft für ein Opfer der NS-Euthanasie und befasst sich intensiv mit dessen Lebensgeschichte. Ziel ist es, in der kollektiven Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes einzelne Schicksale präsenter zu machen.

So soll das Leid der Verfolgten und Ermordeten nachvollziehbarer werden. Denn die Zahl der Opfer ist zwar wichtig, um die Dimensionen der Gräueltaten zu verdeutlichen, doch die Schicksale hinter den Zahlen lassen sich damit kaum illustrieren. Allerdings sind sich viele Historiker darüber einig, dass genau diese individuellen Lebensgeschichten wichtig sind, um das Gedenken an die Opfer der NS-Herrschaft lebendig zu halten. Denn bald schon werden keine Zeitzeugen mehr von ihren Erfahrungen berichten können.

Verena Machnik gedenkt Heinrich Emmerling, der von den Nazis nach Eglfing-Haar verschleppt wurde. (Foto: Florian Hönicke)
Martina Neubauer von den Starnberger Grünen erinnert an Benno Krieger. (Foto: Peter Klinder)

Mit der jüngsten Gedenkveranstaltung scheint das gelungen zu sein. "Es wurde erneut aus der Gesellschaft heraus das wichtige Zeichen gesetzt, dass 'Nie wieder' keine leere Floskel ist", fasst die Starnberger Kreissprecherin der Grünen, Verena Machnik, die Gedenkveranstaltung zusammen. Sie hat die Patenschaft für Heinrich Emmerling übernommen und sich intensiv mit seiner Lebens- und Leidensgeschichte auseinandergesetzt. Heinrich, den seine Familie nur Heiner nannte, war ein exzellenter Schüler, der nach seinem Abschluss in Mittelfranken zum Geografiestudium nach München kam. Dann: die Sache mit dem Atlas, die Einweisung in Klinik und Heilanstalt, der Brief.

1943, nach acht Jahren in Eglfing-Haar, war Emmerling durch Unterversorgung und Misshandlung derart abgemagert, dass er im Februar in das "Hungerhaus" der Anstalt kam. Dort wurden besonders kranke und schwache Insassen festgehalten. Am 11. Juni 1943 starb Emmerling dort, mit 30 Jahren und 42 Kilo, wie die Anstaltsleitung vermerkte. "Makaber präzise", nennt Machnik diese Dokumentation.

Tod nach "gezielter Vernachlässigung"

Auch die Starnbergerin Martina Neubauer, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im oberbayerischen Bezirkstag, hat an einen Menschen erinnert, der in Eglfing-Haar zu Tode kam. Benno Krieger wollte Pfarrer werden. Dann wurde er psychisch krank, die Nazis verschleppten ihn in die Anstalt. Von dort schrieb Krieger an seine Eltern: "Ich will heraus. Keinen Tag bei Leuten bleiben, die es mit Menschen nicht genau nehmen und nur meine Gesundheit ruinieren wollen." Am 1. Juli 1943 starb Krieger in Eglfing-Haar an Tuberkulose. Die Krankheit sei die Folge "einer gezielten Vernachlässigung" gewesen, sagt Neubauer.

Auch die SPD-Landtagsabgeordnete Christiane Feichtmeier aus Tutzing hat an eines der vielen NS-Opfer erinnert: Edith Emma Rehfeldt, 1911 in Leipzig geboren, war Verkäuferin, bevor sie von den Nazis verschleppt wurde. Am 25. November 1941 wurde sie in Kaunas (Litauen) ermordet. Und so hat die Starnberger Delegation dazu beigetragen, dass Heinrich Emmerling, Benno Krieger, Edith Emma Rehfeldt und all die anderen nicht vergessen werden.

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