Getränkestände, Musik und ein breites Kulturprogramm: Am Freitag dürfte auf dem Kirchplatz sowie dem zum "Schlosstheater" umfunktionierten Schuhladen Linse einiges geboten sein. Christiane Krinner veranstaltet gemeinsam mit Unterstützern ein Bürgerfest, das für Toleranz, Vielfalt und demokratische Grundwerte stehen soll. Zur gleichen Zeit findet in der Schlossberghalle eine Veranstaltung der AfD statt, zu der auch Parteichef Tino Chrupalla erwartet wird. Das Fest ist also auch eine Form des Protests. Denn Krinner, 1959 in Nordrhein-Westfalen geboren und seit mehr als 30 Jahren in Starnberg zuhause und hier im Ortsvorstand der Grünen aktiv, sieht in der Gruppierung eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie.
SZ: Frau Krinner, in knapp drei Wochen steht in Bayern eine Landtagswahl an. Die AfD könnte laut aktuellen Umfragen zweit- oder drittstärkste Kraft werden. Wie blicken Sie auf die bevorstehende Abstimmung?
Christiane Krinner: Ich würde sagen: Mit Sorge, aber nicht mit Angst. Das wäre das falsche Wort. Aber ich habe reale Befürchtungen. Denn da wächst eine Partei, die sich Zerstörung auf die Fahnen geschrieben hat. Das sage nicht ich, sondern das erklärt der bayerische Verfassungsschutz. Teile der AfD wollen das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen unseres Rechtsstaats zerstören und die demokratische Ordnung aushebeln. Das ist eine reale Bedrohung, und da müssen wir als Zivilgesellschaft unbedingt dagegenhalten.
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Hat es die Zivilgesellschaft aus Ihrer Sicht verschlafen, etwas gegen diese politische Entwicklung zu tun?
Vielleicht. Bis vor zehn Jahren hatte ich wie viele andere das Gefühl, dass wir als Gesellschaft auf einem guten Weg sind. Sicher: Es gab den NSU und Pegida ist aufgekommen. Aber der NSU war eine Terrororganisation und die Pegida eine Randerscheinung. Dann kam 2015, Haltungen haben sich verändert. Mittlerweile ist vieles salonfähig geworden, was früher für einen Aufschrei gesorgt hätte. Warum ist das so? Da kommen viele Faktoren zusammen. Menschen meiner Generation hadern zum Beispiel häufig damit, dass sie ihre Lebensleistung nicht gewürdigt sehen.
Vor fünf Jahren erreichte die AfD in Bayern rund zehn Prozent der Stimmen, nun dürften es wohl mindestens 15 Prozent werden. Der Zulauf ist also tatsächlich deutlich.
Ja, leider lassen die Umfragen das vermuten. Es gibt Menschen, die in den vergangenen Jahren den Glauben in unsere Demokratie verloren haben. Sie haben Angst, vor Veränderungen, vor Einschnitten. Ständig Krisen, da kann man sich leicht ausgeliefert fühlen. Und dann kommt eine Partei, die angeblich für alles eine einfache Lösung hat: wir gegen die. Gegen die Regierung, gegen Migration, gegen queere Menschen, gegen Menschen mit Behinderung, die Liste lässt sich endlos fortsetzen. Aber nichts davon löst die Probleme, die wir ja tatsächlich haben. Trotzdem finden die sogenannten Protestwähler da ihre Heimat. Sind die alle rechtsextremistisch? Das glaube ich nicht, etliche sind tatsächlich in erster Linie unzufrieden. Aber sie sollten sich gut überlegen, ob sie die AfD wirklich wollen.
Auch der Anteil der Nichtwähler ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen. Wie stehen Sie dazu?
Nicht nur meckern, sondern sich einbringen! Wählen gehen, das ist der einfache erste Schritt. Ich höre immer wieder "Das bringt doch sowieso nichts". Das bedauere ich, weil es nicht stimmt. Unsere Wahlen sind frei, und die Mehrheit entscheidet über die Regierung. Wir alle haben ein Mitspracherecht, und das sollten wir nutzen. Es läuft bei weitem nicht alles rund bei uns, es gibt viele strukturelle Fehler, keine Frage. Wir brauchen Reformen. Durch die Wahl geben wir einer Partei den Auftrag dazu. Das ist eine mächtige Form der politischen Willensbildung.
Sie sind schon länger kommunalpolitisch aktiv, nun das Stadtfest: Was veranlasst Sie eigentlich dazu, sich so stark politisch einzubringen?
Mich treiben zwei Dinge um: der Kampf gegen die Klimakrise und die Wertschätzung unserer Demokratie. Ich bin jetzt Mitte 60 . Meine Generation hat den Großteil des Lebens bereits hinter sich. Aber die politischen Entwicklungen von heute betreffen die Zukunft meines Sohnes und irgendwann der Enkel. Wir Alten haben eine Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen.
Können junge Leute das nicht selbst in die Hand nehmen? Wenn es sie mehr betrifft, sollten sie sich doch auch stärker einbringen, oder?
Eine Gegenfrage: Was sollen die Jungen denn noch alles machen? Man kann nur schwer gleichzeitig das Klima retten, Karriere und Familie aufbauen und die Demokratie schützen. Warum also sollen nicht wir uns einbringen? Viele Menschen in meinem Alter haben viel mehr Zeit als die Jungen. Da ist es doch nicht zu viel verlangt, wenn wir uns dafür einsetzen, die Perspektiven unserer Kinder zu verbessern. Wir haben ihnen ja auch einiges aufgehalst. Die Klimakrise wurde schließlich durch unsere Generation befeuert.
Anstatt eine Kundgebung anzumelden, haben Sie sich für das Stadtfest entschieden, das für Toleranz, Vielfalt und demokratische Grundwerte stehen soll. Warum ein Fest statt lauten Protest?
Sich gegenseitig anzuschreien bringt uns nicht weiter. Als wir gehört haben, dass die AfD eine Veranstaltung abhält, hatte ich gleich die Idee mit dem Bürgerfest und habe viel Unterstützung bekommen. Wie viele Leute kommen werden? Keine Ahnung. Vielleicht 100, vielleicht sogar 500. Aber: Es ist ein Thema in Starnberg. Und es haben sich viele Menschen zusammengefunden, die allesamt der Meinung sind: Unsere Demokratie ist ein hohes Gut. Das müssen wir bewahren. Von manchen hätte ich gar nicht gedacht, dass sie sich so stark positionieren. Das gibt mir Hoffnung.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie könnte zivilgesellschaftliches Engagement perspektivisch aussehen, auch wenn nicht gerade eine AfD-Veranstaltung bevorsteht?
Ich habe immer gute Erfahrungen damit gemacht, irgendwo ehrenamtlich zu arbeiten. Dabei lernen wir unheimlich viel, auch im Umgang miteinander. Es gibt so vieles, was uns Menschen unterscheidet. Religionszugehörigkeit, Leben mit oder ohne Behinderung, die Lebenssituation allgemein. Die Arbeit im Ehrenamt gibt uns die Chance, uns besser zu verstehen. Das erhält die Offenheit, die doch gerade bei politischen Themen extrem wichtig ist.
Miteinander sprechen, einander verstehen: Haben wir diese Fähigkeiten während der Pandemie verloren?
Ja, zum einen das. Und zum anderen haben viele Menschen während Corona das Vertrauen in den Staat verloren. Bürgerliche Freiheiten wurden ad hoc genommen, Auflagen wie die Ausgangssperre konnten viele nicht mehr nachvollziehen. Das wird bis heute nicht aufgearbeitet. Dabei gehört das unbedingt auf die Agenda. Irgendwann hieß es, so, jetzt ist die Pandemie vorbei und das Thema erledigt. Hätte die Politik ihr Handeln von damals im Nachhinein zumindest erklärt, hätte man Analysen gemacht und Fehler benannt. Und dann wäre der Prozentsatz der Unzufriedenen nicht so in die Höhe geschnellt. Da besteht nach wie vor Erklärungsbedarf.
Das "Bunte Volksfest" in Starnberg beginnt am Freitag, 15. September, um 17 Uhr. Es soll im Schlosstheater (dem ehemaligen "Schuh Linse") und auf dem Kirchplatz stattfinden. Draußen geht es bis 21 Uhr, im Inneren des Gebäudes darf bis Mitternacht gefeiert werden.