Naturschutz:"Störche sind hartnäckige Tiere"

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Raisting ist mit seinen 27 Horstpaaren das Storch-Mekka Oberbayerns. Das erfreut längst nicht alle. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Raisting hat sich zum Mekka für die klappernden Nistvögel entwickelt. Kein Zufall, sagt der Herrschinger Hobby-Ornithologe Wolfgang Bechtel - und erklärt, was genervte Anwohner unternehmen können.

Interview von Léonardo Kahn, Raisting

Um Weißstörche zu sehen, muss man nicht zwangsläufig ins Elsass fahren. Ein Abstecher in die Gemeinde Raisting genügt. Dort gleiten die majestätischen Vögel mit ihrer gigantischen Flügelspanne durch die Luft. Das ist natürlich wunderschön, aber Störche können auch stören. Im Telefongespräch erklärt Wolfgang Bechtel, 66, Storchbeauftragter des Landesbunds für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV), welche Probleme das mit sich bringt. Der Hobby-Ornithologe aus Herrsching nimmt den Hörer in seinem Wohnzimmer ab, wo seine Katze Gatita gelegentlich das Interview mit ihrem Schnurren und Maunzen untermalt.

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SZ: Herr Bechtel, warum haben sich die Störche ausgerechnet Raisting ausgesucht?

Wolfgang Bechtel: Das müssen Sie am besten den Storch fragen, der vor knapp 20 Jahren aus dem Straßburger Zoo ausgebüxt ist und sich in Raisting am Ammersee niedergelassen hat. Das muss im Jahr 2004 gewesen sein. Damals hatte die Schutzgemeinschaft Ammersee in mehreren Gemeinden Nisthilfen aufgestellt und damit den Startschuss für die Storchzuwanderung gegeben.

Eine weitreichende Entscheidung.

Man muss auch sagen, dass wir Glück hatten, dass das erste Horstpaar die Neuankömmlinge im darauffolgenden Jahr nicht verjagt hat. Das Problem hatten wir heuer in Polling. Da werden dann brutale Revierkämpfe geführt, die mit dem Tod enden können. Raisting ist aber mittlerweile mit 27 Horstpaaren die Storch-Hochburg in Südbayern. Nur in Mittelfranken und Schwaben gibt es bayernweit mehr Störche als hier.

Schmecken die Frösche in Raisting einfach besser?

Nein, das hat damit nichts zu tun. Störche fressen auch gar nicht so viele Frösche, wie es volkstümlich angenommen wird. Auf dem Speiseplan stehen eher Insekten, Regenwürmer und auch Mäuse. Störche sind geschickte Mausjäger, das weiß kaum jemand. Wenn sie im Feld lange auf der gleiche Stelle stehen, warten sie in der Regel vor einem Mausloch, bis eine rauskriecht. Dann schnappen sie zu.

Störche auf der Jagd nach Fröschen, Regenwürmern und Mäusen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Also wurde Raising per Zufallsgenerator zum Storchen-Hotspot?

Eigentlich nicht. Die Gemeinde bietet perfekte Lebensbedingungen für Weißstörche an. Schwarzstörche kommen auch in hügeligen Gegenden gut zurecht. Weißstörche aber brauchen breite, gut überschaubare Grünlandschaften, die regelmäßig gemäht werden. Wenn das Gras zu hoch ist, wird es für die Vögel zu gefährlich, da sich Raubtiere, beispielweise Füchse, darin gut verstecken können. Außerdem hat Raisting wenig Niederschlag und milde Temperaturen, was für das Überleben der Jungtiere wichtig ist. Je näher die Störche am Alpenrand brüten, umso höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Küken erfrieren.

Die Zahl der Brutpaare ist in Bayern seit 1988 um das Zwanzigfache gestiegen. Wie viele Störche können wir noch aufnehmen?

Es stimmt, dass die Storchpopulation hierzulande rasant wächst. Nicht zuletzt durch den Klimawandel, da das Wetter in Bayern trockener und wärmer wird. Sie breiten sich aus, selbst im Landkreis Weilheim-Schongau gibt es mittlerweile fünfzig Horstpaare. Ende Mai wurden in Weilheim die ersten vier Jungen beringt. Dennoch stellen Störche keine Bedrohung für die Artenvielfalt dar, auch nicht für die Amphibien.

Und auch den Anwohnern fallen die Störche nicht zur Last? Hier ist ja durchaus Unmut zu vernehmen.

Von dem, was ich höre, doch, ein bisschen. Ich habe dafür auch Verständnis. Ich weiß nicht, wie glücklich ich wäre, wenn ich in Raisting wohnen würde und sich ein Storchpaar auf meinem Kamin niederlässt. Ihr Kot ist schlecht wasserlöslich, sie lassen Äste und Gewölle, also die ausgewürgten Nahrungsreste, aufs Dach fallen. Und sie machen auch nachts Lärm. Die Vogeleltern klappern laut und die Jungtiere piepen beim Betteln. Man hat ja auch nichts davon, wenn die Störche auf dem eigenen Dach brüten. Man sieht sie ja nicht einmal.

Störche können nervige Dachbewohner sein, weil sie viel Lärm und Schmutz machen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wird das nicht auch zum Problem, wenn man Solarzellen auf dem Dach anbringen möchte?

Durchaus, für die Störche und die Menschen. Für die Storchenküken kann es durch die Sonnenreflexion zu heiß werden. Vögel können nicht schwitzen sondern nur hecheln, um die eigene Körpertemperatur zu senken. Durch den Kotstrahl der Tiere müssten die Solarzellen auch regelmäßig gereinigt werden, was viel Aufwand bedeutet.

Und was tut man, wenn ein Storch auf dem Kamin nistet? Schubst man die Äste einfach runter?

Das können Sie meinetwegen gerne versuchen. Störche sind hartnäckige Tiere, sie werden mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit neue Äste hochtragen. Setzen Sie sich am besten sofort mit der Regierung von Oberbayern in Verbindung, wenn Sie ein Storchennest beseitigen möchten. Wenn Sie dafür einen guten Grund haben, wird das mittlerweile bewilligt - der Weißstorch ist in Bayern keine bedrohte Tierart mehr. Vor vier Jahren wurde in Raisting zum Beispiel ein Horstpaar von einem Gasheizungskamin entfernt. Eine mehrköpfige Familie kann auch nicht einen gesamten Sommer lang kalt duschen, das weiß auch die Behörde. Dennoch bleibt der Storch eine geschützte Vogelart - daher ist dem Vogelschutz jeder tolerierte Brutplatz willkommen.

Wolfgang Bechtel organisiert gemeinsam mit seiner LBV-Kollegin Christine Fritsche am Samstag, 17. Juni, um 15 Uhr einen Storchenspaziergang durch Raisting. Es ist keine Anmeldung erforderlich, die Veranstaltung ist kostenlos. Treff ist an der Bahnstation Raisting. Es wird empfohlen, Ferngläser mitzubringen.

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