Prozess um Attacke in Pöcking:Kind hatte geringere Überlebenschancen als Erwachsene

Lesezeit: 2 min

Der Angeklagte hält sich zum Auftakt im Prozess wegen fünffachen Mordversuchs gegen ihn einen Briefumschlag vor das Gesicht. Rechts steht der Vorsitzende Richter Thomas Bott. (Foto: dpa)

Sachverständige rekonstruieren den mutmaßlichen Racheversuch von Thomas G., der mit seinem Auto auf seine damalige Lebensgefährtin, ihre Tochter und drei weitere Menschen zugerast war. Für die Zweijährige sei die Gefahr am höchsten gewesen.

Von Andreas Salch, München/Pöcking

Die fünf Menschen, auf die Andreas G. am 26. Mai 2020 in Pöcking mit seinem VW Golf zunächst zugerast war, hätten laut Gutachten eines Sachverständigen für Biomechanik im Falle einer Kollision - statistisch gesehen - eine Überlebenschance von etwa 97 Prozent gehabt. Allerdings nur deshalb, weil der 44-Jährige kurz vor einem Zusammenprall mit der Personengruppe, abrupt abbremste und dadurch die Geschwindigkeit seines Golfs von etwa 50 auf knapp 20 Kilometer in der Stunde verringert hatte. Wie ein Sachverständiger für Biomechanik des Instituts für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität am Donnerstag in dem Prozess vor dem Schwurgericht am Landgericht München II betonte, würden sich seine Angaben nur auf Erwachsene beziehen.

In der Personengruppe befand sich jedoch auch das Kind der damaligen Lebensgefährtin von Andreas G. Für deren damals erst knapp zwei Jahre alte Tochter sei die Gefahr wesentlich höher gewesen, so der Sachverständige. Die Staatsanwaltschaft wirft G. vor, er habe sich mit der Tat an seiner damaligen Lebensgefährtin rächen wollen, weil sie einen Schwangerschaftsabbruch hatte vornehmen lassen. Den Tod der anderen Menschen soll der Angeklagte bei der Tat billigend in Kauf genommen haben, so die Anklage.

Prozess um Attacke in Pöcking
:Wie eine "Leibeigene" behandelt

Andreas G. rast im Mai 2020 mit dem Auto auf fünf Menschen zu, mehrere werden verletzt. Beim Prozess wird ihm vorgeworfen, er habe seine damalige Lebensgefährtin und deren Kind aus Rache töten wollen. In der Beziehung soll er sie zwanghaft kontrolliert haben.

Von Andreas Salch

Werden Fußgänger von einem Pkw "im niedrigen km/h-Bereich" erfasst, hätten sie oftmals "gute Überlebenschancen", sagte der Sachverständige. Gleichwohl komme es aber auch zu tödlichen Verletzungen. Zum Beispiel dann, wenn der Kopf eines Fußgängers auf eine "harte Struktur" an einem Fahrzeug treffe, etwa auf die A-Säule - also die Verbindung zwischen dem Dach und dem Karosseriebereich unterhalb der Windschutzscheibe. Die anderen Bereiche an der Front eines Pkw, so der Sachverständige, seien heutzutage so gebaut, dass bei einem Aufprall der Kopf eines Menschen "abfedert". Dennoch seien auch "lebensbedrohliche Verletzungen" möglich, weil nicht vorhersehbar sei, wie ein Fußgänger bei einer Kollision mit seinem Kopf aufschlägt.

Bei der Tat von Andreas G. zogen sich dessen damalige Lebensgefährtin sowie zwei weitere Personen leichte bis mittelschwere Verletzungen zu. Ihre kleine Tochter erlitt einen Schock. Ein Mann aus der Gruppe, die am Straßenrand stand, hatte sich mit einem Sprung zur Seite retten können. Nach den Worten des Sachverständigen habe jedoch auch bei der geringen Geschwindigkeit des VW Golf zum Tatzeitpunkt für die vier Erwachsenen und das Kind die Gefahr für schwerste Kopfverletzungen bestanden. Und zwar dann, wenn jemand zu Boden falle oder von einer anderen Person mit zu Boden gerissen werde und anschließend mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlägt.

Ebenso hätten eine oder mehrere Personen aus der Gruppe eingequetscht werden können. Andreas G. war nämlich mit seinen VW Golf gegen einen geparkten Mercedes Benz geprallt. Das Spektrum für Verletzungen reiche hin "bis zu lebensgefährlichen Verletzungen". Steuern lasse sich so etwas nicht, erklärte der Sachverständige. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

© SZ vom 19.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMünchen
:Der einsame Kampf eines Vergewaltigungsopfers

Eine Frau wird missbraucht, der geständige Täter wird zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nach der Tat beginnt ein neuer Leidensweg: Das traumatisierte Opfer verliert die Wohnung und muss mit Behörden und der Krankenkasse streiten.

Von Ana Maria Michel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: