Prozess um Attacke in Pöcking:Wie eine "Leibeigene" behandelt

Pöcking: alte Bahnhofstr./Starnbergerstrasse:  Autoattentat

Ort des Schreckens: Die Polizei sichert Spuren an dem Auto in Pöcking, gegen das ein 44-Jähriger mit seinem Wagen geprallt war.

(Foto: Nila Thiel)

Andreas G. rast im Mai 2020 mit dem Auto auf fünf Menschen zu, mehrere werden verletzt. Beim Prozess wird ihm vorgeworfen, er habe seine damalige Lebensgefährtin und deren Kind aus Rache töten wollen. In der Beziehung soll er sie zwanghaft kontrolliert haben.

Von Andreas Salch, München/Pöcking

Pferdewirtin Nadja F. (Name geändert) hat gerade eines ihrer Pferde auf die Koppel gebracht und läuft zurück zur Starnberger Straße in Pöcking. Plötzlich sieht sie, wie dort ein silberfarbener VW Golf von einem Garagenparkplatz aus auf eine Personengruppe zurast. Es gab sofort "Geschreie", berichtet die 21-Jährige bei ihrer Zeugenvernehmung am Montag vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II.

Es ist der dritte Verhandlungstag im Prozess gegen den 44-jährigen Andreas G. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe seine damalige Lebensgefährtin Jennifer S. (Name geändert) und deren Kind, die in der Gruppe standen, aus Rache töten wollen. Denn Jennifer S. hatte am Vormittag jenes 26. Mai 2020 einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Den Tod von drei weiteren Personen, die bei Jennifer S. und ihrem Kind standen, habe G. laut Staatsanwaltschaft "zumindest billigend in Kauf" genommen. Die Anklage lautet auf fünffachen versuchten Mord. Pferdewirtin Nadja F. und ein anderer Zeuge, der sich in unmittelbarer Nähe des Tatorts befand, schildern der Richterin am Montag, was sie von der Tat mitbekommen haben.

Andreas G. war zunächst mit mindestens 50 Kilometer pro Stunde auf die Gruppe zugerast, hatte dann aber abrupt gebremst. Sein VW Golf prallte gegen einen geparkten Mercedes Benz. Jennifer S. sowie zwei weitere Personen erlitten leichte bis mittelschwere Verletzungen, ihr Kind einen Schock. Ein Mann hatte sich im letzten Moment durch einen Sprung zur Seite retten können. Ein Bekannter von Nadja F., der zufällig dabei war, wollte sofort von seinem Handy aus die Polizei alarmieren. Da er stottert, gab er es der 21-Jährigen. F's Bekannter und zwei andere Männer rannten zu dem VW Golf, der inzwischen wendete. Sie versuchten, die Türe zu öffnen. Ohne Erfolg.

Amir K., von Beruf Polizist, wohnt nicht weit weg von dem Ort, an dem die Tat geschah. Er brachte gegen 14.40 Uhr seine kleine Tochter nach Hause. Als er an seiner Haustüre stand, habe er hinter sich auf einmal einen "Riesenkrach" gehört, sagt der 38-Jährige bei seiner Zeugenvernehmung. In dem Augenblick, als er sich umdrehte, sei der Fahrer des VW Golf gerade rückwärts gefahren. Er sei sofort Richtung Starnberger Straße "gesprintet", so K. Die Personen aus der Gruppe, auf die der Pkw zugerast war, seien "teilweise auf dem Boden" gelegen oder hätten geschrien.

Amir K. griff mit einem Arm durch das offenstehende Fahrerfenster an dem VW Golf und forderte den 44-Jährigen auf anzuhalten. "Es gab einen ganz kurzen Blickkontakt", erinnert sich Amir K. Er kenne Andreas G. flüchtig. Als er bemerkt habe, dass G. nicht anhält, sondern wieder Gas gibt, habe er seinen Arm schnell zurückgezogen, erklärt der Zeuge. Zwar sei er gestürzt, habe sich aber nicht verletzt. Anders als der Bekannte von Nadja F. und ein anderer Nachbar, die ebenso versucht hatten, Andreas G. an der Flucht zu hindern. Beide verletzten sich leicht.

Eine Freundin von Jennifer S. und Andreas G. sagt vor Gericht aus, dass dieser die 23-Jährige in der gemeinsamen Beziehung wie eine "Leibeigene" behandelt habe. Beide hätten vier Monate bei ihr gewohnt. G. habe ihr zuerst erzählt, Jennifer S. habe keine Wohnung. Also habe sie sie aufgenommen, so die Zeugin. Allerdings sei auch, anders als abgesprochen, Andreas G. eingezogen. Während der vier Monate soll er Jennifer S. zwanghaft kontrolliert haben. Als Jennifer S. ihr erzählte, dass G. sie gegen ihren Willen zum Sex genötigt habe, so die Zeugin, habe sie das bei der Polizei angezeigt. Die Befragung von Jennifer S. durch die Beamten brachte aber kein Ergebnis. Auf ihre Frage, ob sie denn den Mund aufgemacht habe, so die Zeugin, antwortete Jennifer S.: "Nein, weil der Andi da war." Der Prozess wird fortgesetzt.

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