Wo soll man anfangen? Links, an der Schule vorbei, die so dringend mehr Platz braucht? Oder rechts, den Hügel vom Rathaus hinunter und vorbei an der Wirtschaft Müllers Lust? Der Regen hat zum Glück gerade aufgehört. Ein paar Wolken hängen über Pähl, aber einem Spaziergang durch den Ort steht das Wetter nicht im Weg. Simon Sörgel entscheidet sich fürs Rechtsabbiegen, runter zur Gaststätte. Dort hat er im Sommer seine Hochzeit gefeiert, "fantastisch" war das. Seitdem ist das Lokal einer seiner Lieblingsorte in Pähl. Wenn es abends mal länger wird im Rathaus, kommt er nach der Arbeit auf einen Espresso vorbei. "Alles sacken lassen, Kopf frei kriegen - das hilft wirklich", sagt Sörgel.
Legt man Sörgels derzeitiges Arbeitspensum zugrunde, kommt man zu dem Schluss: Der Mann trinkt gerade ziemlich viel Espresso. Am 8. Oktober ist Sörgel, 35, von den Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinde Pähl zum Bürgermeister gewählt worden. Und weil alles wie so oft zuletzt mal wieder Schlag auf Schlag ging im Pfaffenwinkel, hat der neue Rathauschef neben Einarbeitung, Bürgergesprächen und Gemeinderatssitzungen bis zum Jahresende auch noch seine halbe Stelle als Sozialpädagoge an der Backe. Ja, sagt Sörgel, das sei schon stressig. "Aber das ist okay", erklärt er. "Es macht ja auch unglaublich viel Spaß." An manchen Tagen fängt er morgens um 7 Uhr an und kommt abends erst um 22 Uhr aus dem Rathaus. Verständlich, dass es da einen späten Espresso braucht.
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Aber der Kaffee in Müllers Lust scheint stark zu sein. Denn Sörgel hat in den ersten Wochen seiner Amtszeit schon einiges auf die Beine gestellt. In Pähl steht der Bau einer Tagespflege an; wie die genau aussehen soll, wird im Ort heiß diskutiert. Sörgel hat daher eine Bürgerversammlung anberaumt, in der die Menschen ihre Wünsche und Bedenken loswerden können. "Das war mir sehr wichtig", sagt er. Denn wie fast überall ruft so ein großes Bauprojekt nicht nur Begeisterungsstürme hervor. Um die Akzeptanz dafür so hoch wie möglich zu halten, müsse man darüber sprechen, findet Sörgel; auch wenn er weiß, dass am Ende kaum alle zufrieden sein werden. "Es wird nicht immer möglich sein, es allen recht zu machen", sagt er. "Die Leitlinie muss sein: Was ist zum Wohle der Meisten?" Und, die zweite Leitlinie: Sind die Einschnitte für die Betroffenen verschmerzbar?
Auch beim zweiten großen Thema in Pähl hat Sörgel schon etwas bewegt: der Erweiterung der Schule. Er hat die Situation ja quasi jeden Tag vor der Nase. Die Schule ist direkt neben dem Rathaus, und sie ist viel zu klein. Die Frage ist: Wie sinnvoll ist eine Erweiterung am jetzigen Standort? Geht das überhaupt? Auch Sörgel und seine Mitarbeiter im Rathaus brauchen perspektivisch eher mehr als weniger Platz. Um das zu klären, hat der neue Bürgermeister eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. "Völlig ergebnisoffen" sei das Ganze, erklärt Sörgel. Je nachdem, was dabei herauskommt, müsse man sich etwas überlegen. Zum Jahreswechsel könnte die Studie im Idealfall abgeschlossen sein. Das wäre ziemlich schnell. Dennoch dämpft Sörgel die Erwartungen, dass er jetzt alles, was in letzter Zeit so liegengeblieben ist, in seinen zweieinhalb Jahren Amtszeit umsetzen kann.
Die Kinderbetreuung insgesamt steht auf Sörgels Agenda, ebenso der Verkehr. Viele Bürger würden sich mehr Tempo 30 im Ort wünschen, sagt Sörgel. Da muss er jetzt schauen, was geht. So einfach ist das ja nicht, die rechtlichen Hürden sind noch immer hoch, erst recht auf Ortsdurchfahrten. Dazu kommen die Alltagsangelegenheiten, Bauanträge, Vereinssitzungen. Ganz schön viel für einen, der nebenbei noch halbtags arbeitet. "Das gehört dazu: Ich muss Prioritäten setzen", sagt Sörgel. Zumindest bis zum neuen Jahr kann es sein, dass man ein wenig länger auf einen Termin mit dem Bürgermeister warten muss. "Aber ich denke, das ist verschmerzbar und okay."
Tagespflege, Schule, Kita - vor einem halben Jahr hat man das alles schon einmal gehört. Damals war Marius Bleek durch den Regen von Pähl gestapft, hat sich die nassen Haare aus der Stirn gewischt und erzählt, was er vorhat in dem Ort, mit dem er bis dahin nichts am Hut hatte. Bleek, 29, Bundespolizist am Münchner Hauptbahnhof, wohnt in Germering. Aber als er hörte, dass es in Pähl zwar große Unzufriedenheit mit dem damaligen Amtsinhaber, aber keinen Gegenkandidaten gab, hatte er sich kurzerhand zur Wahl gestellt und am 7. Mai völlig überraschend gegen den bisherigen Platzhirsch Werner Grünbauer gewonnen.
Doch genauso überraschend erklärte Bleek dann kurz vor seinem offiziellen Amtsantritt Ende Juni, dass er lieber doch nicht Bürgermeister werden will. Er sehe sich "durch nicht vorhersehbare Umstände dazu gezwungen", das Amt nun doch nicht anzutreten, schrieb er in einem Brief an die Einwohner der Gemeinde. Dann war Bleek weg, und ein neuer Bürgermeister musste her.
Und jetzt ist Simon Sörgel da.
Es gibt einfachere Ausgangssituationen für angehende Bürgermeister. Erst wird der Amtsinhaber aus dem Nichts abgewählt, und dann schmeißt der Nachfolger hin, bevor er überhaupt angefangen hat. Belastet einen das? Nicht wirklich, sagt Sörgel. Klar, es sei zuletzt nicht alles nach Plan gelaufen in Pähl. Aber bislang seien alle Kontakte mit Bürgern "sehr positiv, sehr lösungsorientiert" gewesen. Überhaupt hat er den Eindruck, dass die Leute vor allem Ruhe haben wollen.
Die Vergangenheit ist abgehakt, sagt Sörgel. "Aber die Zukunft können wir gestalten."
Und keine Streitereien mehr. Das hat nicht immer ganz geklappt: Werner Grünbauer, Sörgels Vorgänger im Rathaussessel, hat vielerorts polarisiert. Je nachdem, wen man fragt, gilt Grünbauer entweder als der Mann, der den Haushalt wieder auf Linie gebracht hat oder als "Machtmensch", der vor allem auf sich selbst geschaut hat. Das hat mancherorts Gräben aufgerissen. Aber, sagt Sörgel, das vergangene halbe Jahr habe den ein oder anderen schon zum Nachdenken gebracht. Die Vergangenheit? "Abgehakt", sagt Sörgel. "Aber die Zukunft können wir gestalten."
Was Sörgel in seiner Rolle als Versöhner entgegenkommen dürfte: Er hat seine Wurzeln im Ort, er wuchs im Ortsteil Aidenried auf. Im Alter von zehn Jahren ist er weggezogen, mit Anfang 30 zurückgekommen. Er kennt viele Leute, und die Leute kennen ihn. "Hier ist einfach meine Heimat", sagt Sörgel. Er ist gekommen, um zu bleiben; sowohl im Ort als auch im Rathaus. Bei der Kommunalwahl 2026 plant er definitiv wieder anzutreten, und sechs Jahre später eigentlich auch gleich noch einmal.
Ob das etwas wird? So ganz genau weiß man das ja nicht in Pähl. Aber für Simon Sörgel steht fest: Bürgermeisterdramen hatten sie hier nun genug. Und sollte es noch stressiger werden, als gedacht, wird er eben ein paar Espressi mehr trinken.