Verschmutzte Weltmeere:Lobbyist der Ozeane

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Alexis Katechakis sorgt sich um die bedrohte Natur. Denn schon Mitte dieses Jahrhunderts wird in den Ozeanen der Müll mehr Masse einnehmen als alle Fische zusammen. (Foto: imago/Nature Picture Library)

Alexis Katechakis berät Unternehmen und Organisationen in Nachhaltigkeitsfragen. Nun ist der Meeresbiologe in den ehrenamtlichen Vorstand der UN-Dekade zum Schutz der Ozeane berufen worden.

Von Armin Greune, Inning

Das Wort "Umwelt" findet er irreführend. Alexis Katechakis verwendet lieber den Begriff "Mitwelt". Während Umwelt suggeriere, dass der Mensch als Regisseur im Mittelpunkt der Schöpfung steht, beinhalte Mitwelt, dass der Mensch in ein Netz wechselseitiger Abhängigkeiten eingebunden ist. "Wir sind ein Teil des Ganzen und können deshalb nicht auf Dauer gegen uns selbst arbeiten", sagt der 52-Jährige.

Der promovierte Meeresbiologe aus Wörthsee hat in Weihenstephan ein Zusatzstudium in "Sustainable Resources Management" abgeschlossen. Ein relativ neuer, englischsprachiger Masterstudiengang, der sich dem nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen widmet: Boden, Wasser, Luft und biologische Vielfalt. Nach Jahren in Diensten von Forschung und Wirtschaft hat Katechakis 2016 als einer von zwei Gesellschaftern die Firma Fors-Earth mitbegründet. Mitte Januar ist er als einziger Vertreter eines Beratungsunternehmens in den vierköpfigen Vorstand des deutschen Komitees der Ozeandekade (ODK) 2021 bis 2030 berufen worden.

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Das Komitee umfasst 15 Personen aus Forschung, Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen, Verwaltung und Politik; nach drei Jahren steht jetzt zum ersten Mal turnusmäßig ein Wechsel an. Zu den acht Botschaftern, die den Schutz der Ozeane in die Öffentlichkeit tragen sollen, zählen Monika Griefahn (Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland, SPD-Politikerin und Zukunftsforscherin), der Polarforscher Arved Fuchs und der Profisegler Boris Herrmann. Auch die in Weßling aufgewachsene Meeres-Rechtsanwältin Anna von Rebay ist als ODK-Diplomatin aktiv. Unter den 80 Partnern im Netzwerk des Komitees ist zudem die Firma Eomap vertreten, die in Seefeld Satellitendaten unter anderem für Umwelt- und Meeresforschung verarbeitet.

Auch Katechakis eigene Firma hat im nördlichen Landkreis Starnberg Quartier bezogen. Die Büros in der Alten Brauerei Stegen bieten zwar keinen Meerblick, aber immerhin die Aussicht auf den Ammersee. Wer sich dort mit dem Chef über das maritime Leben unterhält, sollte Zeit mitbringen. Begeistert erzählt Katechakis etwa von Kaltwasserkorallenriffen und ihrer fast völlig unerforschten Artenvielfalt in der Tiefsee.

Alexis Katechakis hat die marinen Ökosysteme im Blick und will die Augen dafür öffnen. Er will die natürlichen Ressourcen schützen und die Wunderwelt der Tiefsee erhalten. (Foto: Georgine Treybal)

Der 52-Jährige zeigt ein Bild der Hoff-Krabbe: eine bizarre Gestalt, die erst 2010 an heißen Quellen am Ozeangrund aufgespürt wurde. Die ausgeprägte Brustbehaarung brachte ihr den Namen ein. Damit spielen die Forscher augenzwinkernd auf Baywatch-Darsteller David Hasselhoff an, der frontal mit einem ähnlich starken Bewuchs aufwarten konnte. Die Hoff-Krabbe nutzt den ihren freilich, um dort Bakterien anzubauen, die sie dann als Nahrung abweidet.

Bei aller Faszination über die Wunder des Meeres überwiegen im Gespräch mit Katechakis allerdings die bestürzenden Fakten bei Weitem. 90 Prozent aller Handelsgüter werden weltweit auf dem Seeweg transportiert, mit Schiffen, die meist das besonders schadstoffreiche Schweröl verbrennen. Mitte dieses Jahrhunderts wird in den Ozeanen der Müll mehr Masse einnehmen als alle Fische zusammen. Was wir an der Oberfläche an zahllosen quadratkilometergroßen Plastikinseln sehen, ist nur die Spitze des Abfallbergs und macht gerade ein Prozent des gesamten Mülls aus, den die Menschheit in die See kippt. Was damit im Laufe der Zeit in den tieferen Zonen geschieht, weiß niemand genau.

Ein Mann sammelt verwertbares Material am verschmutzten Korle-Gono-Strand in Ghana. (Foto: Christian Thompson/picture alliance)

Auch für den Klimaschutz spielen die Meere eine entscheidende Rolle: Sie speichern 90 Prozent der planetaren Wärme. Ohne diese Wirkung würde sich die Atmosphäre über den Kontinenten um 30 Grad mehr aufheizen und in fast allen Teilen der Erde lebensfeindliche Bedingungen herrschen, erklärt Katechakis: "Wenn man jetzt selbst noch in zwei Kilometer Meerestiefe eine Erwärmung um 0,1 Grad feststellen kann, ist das keine Kleinigkeit, sondern alarmierend."

Die Liebe zum Meer sei ihm quasi in die Wiege gelegt worden. Er ist zwar in Bamberg aufgewachsen, doch sein Vater stammt aus Kreta. Die Familie verbrachte viele Ferien in Griechenland nicht weit vom Strand entfernt. Während des Biologiestudiums in Kiel, Göttingen und München kam der Spaß am Tauchen dazu. Katechakis promovierte über aquatische Ökosysteme an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und war mehrere Jahre am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (Geomar) tätig. Doch dann wechselte er in die Wirtschaft: Er arbeitete zehn Jahre lang als PR-Berater in der Produkt-, Firmen- und Krisenkommunikation; unter anderem als Pressesprecher für einen Pharmakonzern. 2016 machte er sich mit Fors-Earth selbständig, um für Unternehmen, Vereine oder Organisationen Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln.

Nachhaltigkeit
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Alexis Katechakis gehört in den nächsten Jahren zu einem UN-Expertenrat, der Ideen zum Schutz der Ozeane entwickeln soll. Was er dabei genau macht und wie er Automobilkonzerne zu mehr Nachhaltigkeit bewegen will, erklärt er im Interview.

Interview von Armin Greune

In der Freizeit ist Katechakis im Fünfseenland als Jäger, Falkner und Imker unterwegs; er geht in der Umgebung von Seefeld bei Graf Toerring auf die Pirsch, seine Bienenvölker suchen bei Auing und Meiling ihre Tracht. Im Sommer führt er im Rahmen der Bayern-Tour-Natur des Umweltministeriums dreimal jährlich Tagestouren von Herrsching nach Andechs. Im Fokus dieser Exkursionen stehen die natürlichen Ressourcen der Ökosysteme See, Siedlungsraum, Wald und Bach. "Ich will Nachhaltigkeit zum Erleben und Anfassen vermitteln und erreichen, dass die Leute danach mit offeneren Augen durch die Gegend gehen", sagt der Experte, der seit 2017 mit seiner Frau in Auing lebt.

Seine größte Leidenschaft gehört aber den maritimen Biotopen. Katechakis findet es "sehr traurig zu sehen, wie sich die Meere über die Jahrzehnte verändert haben". So erinnert er sich an einen entlegenen Naturstrand auf Mallorca, wo der Sand 14 Jahre später von Plastikpellets durchsetzt war. Oder an die Berge von Müll, die sich inzwischen vor der toskanischen Insel Giglio ansammeln. Ein Schlüsselerlebnis für ihn sei ein Tauchgang vor Sulawesi in Indonesien gewesen, als er einem der majestätischen Mantas sehr nahekam. So konnte er beobachten, wie der Rochen als Nahrungsfiltrierer mit seinem riesigen Maul eine Plastiktüte einsog und dann wieder durch die empfindlichen Kiemen herauswürgte.

Fast genauso wie für tropische Korallenriffe kann sich der Meeresbiologe für die Tiefsee begeistern. "Der Anteil, der davon erforscht ist, entspricht wenigen Stecknadelknöpfen - verteilt über ein Schwimmbecken von olympischen Ausmaßen", sagt Katechakis. Entgegen früherer Annahmen brodelt es in den lichtlosen Tiefen an Leben, jeden Tag werden im Durchschnitt sechs neue Arten gefunden.

Wegen ihres hohen Gehalts an Metallen und Seltenen Erden lohnt sich der Abbau von Manganknollen aus der Tiefsee. (Foto: blickwinkel/imago)
Beim Abbau der Knollen werden Lebensgemeinschaften auf dem Meeresboden oft großflächig zerstört. (Foto: BGR/picture alliance)

Insbesondere der geplante Abbau von Manganknollen auf dem Meeresboden bereitet den Ozeanforschern Sorgen. Beim Einsatz von Baggern, so groß wie Panzer, droht in Tiefen von 3000 bis 6000 Metern die großflächige Verwüstung ganzer unentdeckter Lebensgemeinschaften "Wir haben diese Systeme noch überhaupt nicht verstanden und wissen nicht, wie wichtig sie auch für uns sind", sagt der Meeresbiologe. Er holt eine der wegen ihren Gehalts an Metallen und Seltenen Erden begehrten Manganknollen hervor: Das kinderfaustgroße Gebilde hat mehrere Millionen Jahre zum Wachstum benötigt und ist zehnmal so alt wie die Art Homo sapiens.

"Mir geht es darum, dass wir wieder Respekt für die Meere entwickeln", sagt Katechakis: "Überhitzung, Versauerung, Überfischung, Überdüngung, Verschmutzung: Wir müssen endlich erkennen, welche wertvollen Ökosystemleistungen sie für uns erbringen und dass wir von intakten Ozeanen abhängig sind." Seine Aufgabe im ODK-Vorstand sei es insbesondere, die Ziele "sauberer, produktiver und inspirierender Ozean" zu verfolgen. Bis 2030 soll in dieser Dekade aber auch die Transformation angestoßen werden zu widerstandsfähigen, vorhersehbaren, sicheren und zugänglichen Weltmeeren. Für Katechakis geht es ums Ganze, also auch die Zukunft des Menschen: "Evolutionär gesehen tragen wir das Meer ja noch in uns."

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