Nationalsozialismus:Nazis im Dichterviertel

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Die Ina-Seidel-Straße in Stockdorf soll umbenannt werden, weil die Namensgeberin im Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle gespielt hat. (Foto: Nila Thiel)

Gauting will die nach Schriftstellerin Ina Seidel und Mundartdichter Max Dingler benannten Straßen umbenennen. Starnberg hatte dies im Fall seiner Ehrenbürgerin Seidel vor Jahren abgelehnt.

Von Sabine Bader, Michael Berzl, Gauting/Starnberg

Die beiden Schriftsteller Max Dingler (1883-1961) und Ina Seidel (1885-1974) haben eines gemeinsam: Sie haben im Nationalsozialismus eine unrühmliche Rolle gespielt, haben sich mit der Nazi-Ideologie identifiziert und zu Hitlers willfährigen Anhängern gezählt. Darum will die Gemeinde Gauting die beiden Straßen, die im Stockdorfer Dichterviertel nach ihnen benannt sind, umbenennen. Allerdings werden zunächst die Anwohner gefragt, die davon betroffen wären.

Gauting ist nicht die einzige Kommune in der man derzeit zumindest über die Umbenennung einer Ina-Seidel-Straßen nachdenkt. In der Stadt Töging im Landkreis Altötting und in Landshut wird schon seit geraumer Zeit darüber debattiert. Fast ohne Diskussion hat sich der Gautinger Gemeinderat am Dienstag einstimmig für eine Umbenennung ausgesprochen. Einige Ratsmitglieder waren zuvor in Briefen dazu aufgefordert worden.

Auch die SPD-Gemeinderätin und Referentin für Ortsgeschichte, Carola Wenzel, hatte ein solches Schreiben erhalten und die Angelegenheit daraufhin im Gemeinderat zur Sprache gebracht. Bereits 2013 hatte das Gremium schon einmal über die Umbenennung der Max-Dingler-Straße nachgedacht. Weil sich damals aber viele Anwohner dagegen ausgesprochen hatten, war es dazu nicht gekommen.

Wenzel hofft, das es diesmal anders laufen wird. "Wir können doch nicht jedes Jahr mit einem Gedenkzug an die Opfer des Todesmarschs erinnern und dann geht man an Straßen vorbei, die die Namen solcher Leute tragen", sagt sie im Gespräch mit der SZ. "Es geht um unsere Glaubwürdigkeit", sagte in dem Zusammenhang SPD-Sprecher Eberhard Brucker. Als "untragbar" bezeichnete er die jetzige Straßenbenennungen. Denn beide Namensgeber seien "überzeugte, aktive und weithin bekannte Nationalsozialisten" gewesen.

Nach dem Beschluss des Gemeinderats soll die Max-Dingler-Straße durch Oskar-Maria-Graf-Straße und die Ina-Seidel-Straße durch Marieluise-Fleißer-Straße ersetzt werden. Vor der Umbenennung ist ein Anhörungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben. CSU-Gemeinderätin Eva-Maria Klinger aus Stockdorf hat darauf hingewiesen, dass durch eine Namensänderung den Anwohnern einiges zugemutet werde.

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(Foto: dpa)

Strittige Namensgeber: Ina Seidel und...

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(Foto: Stadtarchiv Schaffenhausen)

...Max Dingler.

Was Ina Seidel angeht, hat das benachbarte Starnberg seine eigenen Erfahrungen gemacht. Schließlich gibt es hier seit 62 Jahren nicht nur einen Ina-Seidel-Weg, die Stadt hat der Dichterin 1970 auch die Ehrenbürgerwürde verliehen. Die SZ hatte 2013 beides kritisch hinterfragt und eine Debatte ausgelöst, ob die Schriftstellerin neben so bedeutenden Persönlichkeiten wie Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker und Jürgen Habermas Ehrenbürgerin bleiben sollte. Michael Strauss, Enkel des Starnberger Ehrenbürgers Hermann Uhde-Bernays, war fest davon überzeugt, dass sein Großvater die eigene Ehrenbürgerwürde aus Protest zurückgegeben hätte, wenn er zum Zeitpunkt von Seidels Ernennung noch am Leben gewesen wäre. "Auch würde er sich im Grabe umdrehen", wenn er wüsste, dass die nach ihm benannte Straße auf den Ina-Seidel-Weg trifft, schrieb Strauss seinerzeit an die SZ.

Eine anderes Schreiben ging im Starnberger Rathaus ein. Darin bittet eine Bürgerin "eindringlich, diese peinliche Angelegenheit im Hinblick auf eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft und Umbenennung des Ina-Seidel-Weges im Stadtrat auf die Tagesordnung zu setzen". Der Stadtrat hatte dies im November 2013 zwar getan, es aber abgelehnt, die Straße umzubenennen und sich nicht offiziell von der Dichterin distanziert. Was die Ehrenbürgerwürde Seidels anging, stellte sich der damalige Starnberger Bürgermeister Ferdinand Pfaffinger auf den Standpunkt, diese könne ohnehin nur an lebende Personen verliehen werden und erlösche mit deren Tod.

© SZ vom 01.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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