Direktkandidat im Starnberger Wahlkreis:Alltag nach Berliner Protokoll

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Der 48-jährige CSU-Bundestagsabgeordnete Michael Kießling erteilt Steuererhöhungen eine klare Absage, will Unternehmen entlasten und Fettnäpfchen möglichst meiden.

Von Astrid Becker, Starnberg

Treffpunkt ist der Münchner Yachtclub in Starnberg. Das erste, was Michael Kießling, hier macht, ist eine weit ausholende Geste, die gefühlt den ganzen Starnberger See umfasst: "Ist es nicht schön hier bei uns?", fragt der 48-jährige und ein wenig klingt das schon so, als ob er gleich zu einer Rede anheben könnte, die die Pracht der Landschaft in unmittelbarem Zusammenhang mit der Existenz der bayerischen Volkspartei CSU stellt. Doch Kießling spart sich derlei Anmaßungen. Vielmehr wirkt der CSU-Bundestagsabgeordnete so, als wäre er froh, mal wieder in seinem Wahlkreis unterwegs sein zu dürfen.

Schon am frühen Morgen habe er mal wieder auf dem Bahnsteig Werbung in eigener Sache gemacht: Kießling, der 2017 zum ersten Mal mit mehr als 40 Prozent der Stimmen in den Bundestag gewählt wurde, will wieder nach Berlin, in die große deutsche Hauptstadt, von der er bislang weniger gesehen hat, als er es gern hätte. Zu viele Sitzungen, zu viele Termine, die ganze Woche hindurch. Am Wochenende sei er mal rausgefahren nach Potsdam, erzählt er. Aber solche Gelegenheiten ergäben sich nur selten. Das Wochenende nutzt er für Termine in der Heimat. Das heißt: Pendeln zwischen Landsberg, wo er seit zwei Jahren lebt, "nur zehn Minuten entfernt von meinem dortigen Büro" und seinem 40 Quadratmeter großen Einzimmerappartement in Berlin-Mitte gehört dazu: "Das ist manchmal anstrengend, aber dafür abwechslungsreich."

Tatsächlich folgt eine normale Woche für Kießling ganz streng dem politischen Terminkalender der Bundesregierung. Der Montag zum Beispiel ist der Anreisetag, bei dem dann neben Terminen in Kießlings Berliner Büro am Abend ein Treffen der CSU-Landesgruppe ansteht. 46 Abgeordnete umfasst sie - im Gegensatz zu den 200 der CDU. "Bei so einer überschaubaren Menge lernt man sich schon besser kennen", sagt Kießling. Markus Söder schaue regelmäßig vorbei, Kießling schätzt ihn, beschreibt ihn als recht umgänglich. Auf die K-Frage angesprochen, antwortet er daher auch recht erwartbar: Aus bayerischer Sicht habe man sich schon anderes vorstellen können. Als Armin Laschet, meint er wohl. Sagt es aber nicht. Auch nicht, wenn er auf die schlechten Umfragewerte seiner Partei angesprochen wird. Da antwortet er kurz und knapp: "Wir kämpfen, bis zum Schluss, und wir haben gute Chancen." Über den Unionskanzlerkandidaten, der sogar von eigenen Parteifreunden für den Sinkflug verantwortlich gemacht wird, spricht er auch dann nicht. Er habe ihn persönlich noch nicht näher kennenlernen können, sagt er nur.

Ausweichend ist das. Und diplomatisch. Eine Eigenschaft, die zeigt, dass Kießling in den vergangenen vier Jahren im Bundestag so einiges dazugelernt haben dürfte. "In Berlin gilt ein anderes, ein spezielles Protokoll", sagt er, der mit 15 Jahren in die Junge Union eingetreten ist. So locker und humorvoll er es einst als Bürgermeister von Denklingen (2014 bis 2017) angegangen sei, nein, das gehe in Berlin nicht. Bei einer seiner ersten Reden im Familienausschuss, dem er anfangs nach seiner Wahl angehörte, sei er schon mal ordentlich ins Fettnäpfchen getreten, erzählt er. Eine Abgeordnete der Linken habe vor ihm gesprochen, und das Rednerpult zu niedrig für ihn, den knapp zwei Meter großen Mann, zurückgelassen: "Da habe ich gesagt: "Ich muss erst einmal ein bisschen das Niveau anheben." Ein Witz sollte es sein, der allerdings auf wenig Begeisterung stieß und ihm Zwischenrufe der Linken einbrachte: "Daran musste ich mich erst gewöhnen."

(Foto: N/A)

Ein paar andere Sprüche hingegen seien in Berlin schon erlaubt, etwa, dass irgendetwas so überflüssig sei wie acht Runden im Kreisverkehr. Aber ganz so unlustig wie es sich anhöre, sei es im Bundestag auch wieder nicht. Allein der Kanzlerin bescheinigt er jede Menge trockenen Humors. Erst neulich sei sie gerade vorbeigekommen, als er im Gespräch mit anderen CSU-Abgeordneten gewesen sei. "Na, was hecken die Bayern jetzt wieder aus?", soll sie da mit leicht drohendem Zeigefinger gefragt haben, wie eine Mutter ihre ungezogenen Kinder. Das hat Kießling gefallen, der ohnehin dem Merkel-Fanclub angehört. Was diese Frau alles bei all den Krisen in ihrer Amtszeit geleistet habe, welches gewaltige Arbeitspensum sie bewältigen würde, wie unglaublich intelligent sie sei, derlei Sätze sind es, die eines verraten: Kießling wird die Kanzlerin vermissen, - mal ganz unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht -, wenngleich er nach 16 Jahren einen Wechsel für wichtig hält. Eine "Richtungswahl, mehr denn je" werde es ohnehin, in der sich die Wählerinnen und Wähler zwischen einer "bürgerlichen oder einer linksgerichteten Regierung" entscheiden werden. Deshalb würde sich Kießling auch mehr Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen als rein mit den Spitzenkandidaten in der Öffentlichkeit wünschen. Womit er mitten in seinem eigenen ankommt, das in etwa dem der CDU/CSU entspricht.

Vom Balancehalten zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung spricht er da. Von Wirtschaftswachstum und -stärkung als Basis allen Handelns redet er zudem immer wieder. Wenn die Wirtschaft nicht floriere, könne der Staat seinen Aufgaben nicht gerecht werden, sagt er: "Deshalb müssen wir die Unternehmen entlasten, nicht noch mehr belasten." Und: "Wenn wir alle unseren Wohlstand behalten wollen, dann müssen wir den Unternehmen Spielraum geben." Also Lohnzusatzkosten stabil halten, Steuern auf Gewinne auf 25 Prozent deckeln, Bürokratiekosten senken. Nur so könnten auch Arbeitsplätze und damit auch die Kaufkraft erhalten werden. Da landet Kießling, der auch im Umweltausschuss im Bundestag sitzt, dann auch mitten in der Klimaschutzpolitik, wie sie von CDU und CSU verstanden wird: etwa darin, das Land bis 2045 klimaneutral zu machen, in dem man nicht nur auf Elektromobilität setze, sondern auch auf synthetische Kraftstoffe.

Seine soziale Verantwortung sieht er unter anderem darin, den Bürgern aus seinem Wahlkreis eine Stimme in Berlin zu geben. Zum Beispiel damit, dafür einzutreten, Arbeitnehmern mit kleineren und mittleren Einkommen, nicht auch noch Steuererhöhungen zuzumuten. Das Ehegattensplitting müsse daher auch weiterhin bestehen, "sonst würde das reale Steuererhöhungen für Ehepaare bedeuten", sagt Kießling.

Er, selbst getrennt lebend, wie der Vater zweier erwachsener Töchter sagt, denke aber auch an Alleinerziehende oder an Paare, die ohne Trauschein zusammenleben: "Auch da muss sich was ändern - zum Beispiel bei der Erbschaftssteuer, so wie es jetzt ist, ist es nicht mehr zeitgemäß." Ebenso wenig wie die Rente, die anders aufgestellt gehörte oder auch die Reformen in der Baugesetzgebung, wie etwa Änderungen bei der Grunderwerbssteuer oder aber die Einführung eines Baukindergeldes, mit dem es Familien erleichtert werden könne, sich Wohneigentum anzuschaffen. Ein wenig stolz wirkt er, wenn er darüber spricht: Er ist Mitglied des Bauausschusses im Bundestag und fühlt sich als solcher mitverantwortlich für Gesetze wie dieses. Ein Vorteil sei, dass er das Problem kenne: Er komme ja aus einer Gegend, in der bezahlbarer Wohnraum bisher knapp sei und geschaffen werden müsste. Für die Voraussetzungen dafür wolle er eintreten. Schön sei es ja in seinem Wahlkreis, sagt er, mit all seiner Natur, die dringend erhalten gehörte, mit Waldumbau und so weiter, aber "hier zu leben, muss man sich leisten können." Und dann ist da wieder diese weit ausholende Geste, die den ganzen Starnberger See umfasst.

© SZ vom 10.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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