SZ-Serie: Dorf-Dynastien:Hüter einer alten Tradition

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August Linner hegt und pflegt die denkmalgeschützte Mühle an der Würm. Hier steht er am Mahlgang aus dem 19. Jahrhundert. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

August Linner hält die Mühle in Krailling in Schuss und hat der Gemeinde Zugang zu den Überresten eines mittelalterlichen Hofmarkschlosses gewährt. Wie ein Mann einem Ort ein Stück Geschichte bewahrt.

Von Carolin Fries, Krailling

Die Mühle und der Name Linner, das ist in Krailling ein Zweiklang. Kein lauter, der wie ein Glockenschlag daherkommt. Die Linnermühle erfüllt den Ort eher mit einem beständig-harmonischen Klingen, das durch die Straßen zieht. Bei den alteingesessenen Kraillingern klingt er freilich ein wenig voller. Wer indes neu in die Würmgemeinde zieht, der hört zunächst einmal wohl gar nichts. Und es wird dauern, bis sich Neuzugängen dieser Teil der Ortsgeschichte eröffnet. Denn die Mühle liegt zwar zentral in der Ortsmitte, ist jedoch ein wenig versteckt hinter der Bücherei am Wasser. Zudem ist August Linner ein eher zurückhaltender Mann.

Fast jeden Tag ist er hier, die Mühle liegt nur wenige Schritte von seinem Wohnhaus entfernt. Bis 1975 war sie in Betrieb. Bauern oder Landgüter und Klöster aus der Region brachten ihr Korn und holten es wieder ab - oder aber Bäckereien kauften es ab. Linners Vorfahren hatten die Mühle 1875 vom Baron von Hirsch übernommen, außerdem das daneben liegende Sägewerk. Die Familie war aus Wolnzach in der Hallertau nach Krailling gezogen, nach wenigen Jahren ließen sie die ursprünglich kleinere Mühle in der jetzigen Größe überbauen. Bis heute ist das Gebäude in Besitz der Familie Linner. Ein Brand hätte es 1901 fast zerstört, doch es konnte gerettet werden.

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1906 gründete Simon Linner, der Großvater von August Linner, schließlich eine Firma, die seinen Namen trug. Später übernahm sein Sohn August die Mühle und dessen Cousin Walter das Sägewerk. Auch August Linner junior erlernte noch den Beruf des Müllers. Doch als er 25 Jahre alt war, wechselte er in das Sägewerk. Der Betrieb der Mühle lohnte sich nicht mehr, erzählt der heute 73-Jährige.

Dennoch ist die Mühle "ein Teil von mir", wie er sagt. August Linner ist es wichtig, dass Gebäude und Technik in Schuss bleiben, auch wenn längst kein Getreide- oder Roggenkorn mehr in Zwei-Zentner-Säcken angeliefert wird wie einst. Aber: "Sie ist voll funktionstüchtig", sagt Linner über die Mühle und erklärt die Mechanik. So musste das Getreide nicht erst mühsam die Treppen hinauf geschleppt werden, die Mühle schaffte es durch einfache Maschinerie selbst hinauf. Die Transmissionsriemen und Elevatoren in Holzkästen sind ebenso gut erhalten wie die Walzenstühle aus den Jahren 1904 bis 1950. Linner wirft die Apparate dennoch nicht mehr an. Er müsste stundenlang alles wieder reinigen, sagt er. "Eine Mühle läuft entweder ständig oder gar nicht."

Blick in die Vergangenheit: das Anwesen um 1950. (Foto: privat)
Damals wie heute idyllisch gelegen: die Linner-Mühle an der Würm in Krailling (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Firmengründer Simon Linner (links vorne) mit Familienmitgliedern. (Foto: privat)

Mit der Mühle und dem Sägewerk war die Familie Linner eine der bedeutendsten der Gemeinde. "Mehl war eines der wichtigsten Nahrungsmittel", erklärt Kraillings Gemeindearchivarin Friederike Tschochner. Und das Sägewerk war ein bedeutender Arbeitgeber in Zeiten der Industrialisierung. Die Linners waren bei der Freiwilligen Feuerwehr und im Gemeinderat und nahmen so Einfluss auf die Entwicklung des Ortes. Und sie weckten mit ihren Liegenschaften immer wieder Begehrlichkeiten. "Einmal plante die Gemeinde ein Rathaus auf Stelzen bei der Mühle", erzählt Tschochner. Doch ob der Träumereien hatte man vergessen, mit den Grundstückseigentümern zu sprechen - und so blieb es beim kühnen Wunsch.

Natürlich muss man bedenken, dass Krailling damals längst nicht so groß war wie heute. Wie es in der historischen Aufbereitung "Die Würm" von Gerhard Ongyreth heißt, gab es um 1800 nur 26 Anwesen in Krailling. Unter anderem ein mittelalterliches Hofmarkschloss an der Würm, welches 1809 wegen Baufälligkeit abgebrochen wurde. Auf diesem Platz befand sich dann später bis 2006 das Sägewerk und der Holzlagerplatz der Linners. Die Familie wusste freilich viele Jahre nichts davon. Doch es gab einen alten Kupferstich von Michael Wenig aus dem 18. Jahrhundert, der den Prachtbau zeigte - wenn auch etwas weiter südlich. Jedenfalls: Als an der Stelle des Sägewerks ein Wohn- und Geschäftshaus entstehen sollte, fanden Grabungen unter Aufsicht des Landesamts für Denkmalpflege statt.

Die Familie Linner als Eigentümerin musste die Untersuchungen bezahlen. Tschochner spricht von einem "großen Verdienst" der Familie für die Gemeinde. Denn bei den Ausgrabungen wurden die Fundamente des Hofmarkschlosses und ein aufwendig gestalteter Kellerraum aufgedeckt. Zudem wurden 600 weitere Befunde untersucht, es handelte sich um Reste keltischer, römischer und bajuwarischer Siedlungen. Die allergrößte Überraschung aber war der Fund des Schlosses.

Eine Zeichnung von Otto Ackermann zeigt die Linnermühle um 1920. (Foto: Gemeindearchiv Krailling)
Die Überreste des einstigen Hofmarkschlosses Krailling befinden sich auf dem Gelände der Linnermühle. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wann genau die Hofmark Krailling eingerichtet wurde, ist nicht bekannt. Überliefert ist allerdings, dass der Münchner Ratsherr Hans Fleckhamer einer der ersten Besitzer oder der Erbauer des Schlosses war. Die Archäologen fanden zudem heraus, dass das Haus mindestens über vier Kachelöfen verfügt haben muss sowie über eine nachträglich eingebaute Toilette: ein Raum mit einer massiven Tuffsteinrinne, die geschickt um Ecken und Kanten in Richtung der Würm verlief. "Kraillings erstes Wasserklosett", wie Archivarin Tschochner zusammenfasst.

Ein Viertel des Schlosses war unterkellert - ein kleiner Teil davon ist bis heute recht gut erhalten - und kann, geschützt durch ein Pultdach, auf dem Gelände der Linnermühle besichtigt werden. Bisweilen finden in dem öffentlichen Denkmal auch Konzerte oder Lesungen statt.

Die Rückseite der Linnermühle. Hier befand sich ein Weiher, der im Winter für die Brauerei abgeeist wurde. (Foto: privat)

Auch die alte Mühle steht unter Denkmalschutz. Seit 2008 schaufelt das unterschlächtige Wasserrad im Mühlkanal der Würm mit seinen Lärchenholzbrettern das Wasser zur Stromgewinnung. Der Eisweiher auf dem Gelände, aus welchem die Brauereien und Gaststätten früher die Eisreserven für den Winter holten, ist nur mehr halb so groß wie einst. Die Wohnung in der Mühle steht leer - und dennoch wirkt das Gebäude mit seinen roten Fensterläden erfrischend lebhaft. Alle drei Jahre muss Linner die Läden nachstreichen, die Farbe bleicht so schnell aus. 2010 erhielt der Kraillinger die Denkmalschutzmedaille des Freistaates Bayern für die vorbildliche Renovierung des Baudenkmals.

Seit 2010 kann in der Linnermühle standesamtlich geheiratet werden. Die Gemeinde koordiniert die Termine und übernimmt die Versicherung. August Linner sorgt dafür, dass die historischen Räumlichkeiten das passende Gefühl von Beständigkeit vermitteln. Etwa 50 Trauungen finden im Jahr statt, die meisten Paare kommen inzwischen von auswärts. Auch die Linners wohnen nicht mehr alle im Ort, nur August Linner und eine Cousine sind noch da. Und sie wissen: Die Mühle, sie wird hoffentlich noch lange bleiben.

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