Würde man den Arm ausstrecken, könnte man sich einfach eine der frisch abgefüllten Bierflaschen vom Band nehmen. Und - "zisch" - endlich nach einem Rundgang durch Sudhaus, Gärkeller und Füllerei ein Helles, ein Weißbier oder einen Doppelbock genießen. So nah ran können Besucher ab sofort in der Klosterbrauerei Andechs. Allerdings nur virtuell. In der Realität greift die Hand ins Leere, denn die Flaschen laufen lediglich auf dem Display einer VR-Brille durch die Abfüllanlage. Fünf kleine 3D-Filmchen mit 360-Grad-Rundumblick vereinen beim neuen, virtuellen Rundgang historischen Rückblick, Brauerei-Wissen und Informationen zum Andechser Bier. Dazu kommen die Sinneseindrücke von vor Ort: Die Wärme im Sudhaus, der kühle Malzgeruch im Gärkeller, das Klirren der Flaschen beim Abfüllen - Gänsehaut-Gefühl bei allen Bierliebhabern.
"Es ist, als ob man in den Sudkessel reinkommt", beschreibt Johannes Eckert, seit 2003 Abt der Benediktinerabtei Sankt Bonifaz in München und Andechs die neue Brauereiführung mit fünf Stationen. Ein besonderer Reiz ist für ihn dabei das parallele Erleben einer echten und einer virtuellen Welt. Ein "hochspannender Prozess", wie ihn das traditionsreiche Kloster ebenfalls erlebe. Schließlich gilt es auch hier, Jahrhunderte alte Tradition mit neuester Technologie zu vereinen. Die Brauerei ist dabei der modernste Teil, die neue Füllanlage ist erst seit 2019 in Betrieb. Zugleich blicken die Mönche mit Stolz auf die Geschichte des Klosters am Heiligen Berg zurück.
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Virtuell zusammengebastelt hat das Ganze das erst sieben Jahre alte Münchner Unternehmen Time-Ride. Das Start-Up betreibt bereits Zeitreise-Attraktionen in Köln, Berlin, Dresden, München und Frankfurt - und ist stolz, nun auch Deutschlands größte authentische Klosterbrauerei im Angebot zu haben. Wie Produktionschefin Lisa Schulz erläuterte, haben etwa 20 Mitarbeiter insgesamt mehr als 8000 Arbeitsstunden in das Projekt gesteckt, darunter Historiker und Programmierer. Bis zu 30 Personen gleichzeitig können nun sehen und hören, wie sich die Wiesen vor dem Kloster im Wind bewegen, Vögel am Kirchturm vorüberziehen und die Sonne in der hügeligen Endmoränen-Landschaft untergeht. Dazu erzählt eine weibliche Stimme, wie es die Benediktinermönche einst hierher verschlagen hat - und wie sie ihr "flüssiges Brot" herstellen.
Natürlich werden die einzelnen Schritte des Bierbrauens nicht einfach runter erzählt, das wäre langweilig. "Bier ist Emotion, ist ein Lebensgefühl", beschreibt Brauereileiter Alexander Reiss die Idee der virtuellen Führung. Diese visualisiere das Brauverfahren in bislang nicht erreichter Form. Während im Film die Gärung erklärt wird, stehen die Besucher vor den meterhohen Kesseln, in denen just dieser Prozess stattfindet: Die Hefe reagiert mit der Würze und wandelt den Malzzucker in Alkohol und Kohlendioxid um. Für Bierliebhaber womöglich ein besonderer Moment und nah dran an dem, was Reiss zufolge die Brauereikunst neben dem Handwerk ausmacht. "Man muss das fühlen."
Der Brauerei-Chef mag am liebsten das Helle, die Kunden schätzen am meisten das Weißbier. Knapp 700 Hektoliter Bier werden täglich im Sudhaus produziert. Das sind etwa 140 000 Flaschen, die in der Abfüllanlage im Akkord befüllt, verschlossen und etikettiert werden. Die Fässer verlädt ein Roboterarm - im Film zu bairischer Blasmusik. Überhaupt kommt die Bierwelt sehr heil und heimelig daher, die Gefahren und Risiken des Alkoholkonsums werden nicht thematisiert. Wer sich für eine Brauereiführung entscheidet, will davon vermutlich auch nichts hören und freut sich auf die anschließende Verkostung, die zur Führung dazu gebucht werden kann.
Die Führungen können in zwei Sprachen gebucht werden
Reiss ist jedenfalls froh, dass die Besucher lediglich virtuell in den Sudkessel schauen. So würden die Mitarbeiter und die Produktion nicht gestört, "ein guter Kompromiss" sei das. Für die Besucher wiederum fühlt es sich an, als wären sie ganz nah dran. Und manchmal auch so, als hätte man schon ein oder zwei Bier getrunken: Weil es in den Filmen keinen Boden gibt und man den Blick weit in den Abgrund schweifen lassen kann, wird einem mitunter schwindelig bei dem Versuch, die grenzenlosen virtuellen Räume zu erfassen. Deshalb empfiehlt Lisa Schulz einen festen, breitbeinigen Stand. Sicherheit gibt es auch, sich in der echten Welt im wahrsten Sinne des Wortes irgendwo festzuhalten.
Veranstalter der Führungen, die in deutscher und englischer Sprache gebucht werden können, ist das Time-Ride-Unternehmen, es stellt die Technik und die Guides. Das Kloster ist lediglich Kooperationspartner. Die junge Firma aus München hat mehr als 140 Mitarbeiter, wurde 2018 mit dem Deutschen Tourismuspreis ausgezeichnet und erhielt den Bayerischen Gründerpreis.
Was nach dem Bier in Andechs kommt? Das ist offen. Für den Moment ist Gründer und Geschäftsführer Jonas Rothe ganz selig - vor Glück. Eine viereinhalbstündige Bierverkostung in der Produktionsphase hat er schon hinter sich gebracht.
Tickets für die öffentlichen Führungen können online gebucht werden, diese finden im Juli immer von Freitag bis Sonntag statt. Die 90-minütigen Touren beginnen um 10 und 13 Uhr, die 45-minütigen Touren um 9, 12 und 15 Uhr. Die lange Tour mit Verkostung kostet ohne Ermäßigung 16,90 Euro, die kurze 11,90 Euro. Im August finden die Führungen täglich statt. Exklusive Führungen sind auf Anfrage von mindestens 15 Teilnehmern an buchbar.
