Leo Böhm hat einen Plan. Der 16-Jährige will Golfprofi werden. Konkret heißt das: Die Schule fertig machen und dann mit einem Golf-Stipendium auf ein College in den USA gehen, um dort eines Tages die PGA-Tour zu spielen und den Ryder Cup, die bedeutendsten Turniere des Landes. "Ich weiß, es ist ein langer Weg", sagt Böhm. Er sitzt auf der Terrasse des Golfclubs Feldafing an einem Tisch, eben hat es aufgehört zu regnen. Ungeduldig schielt er unter seinem Käppi zum Himmel. Er will loslegen. Dabei weiß er selbst, dass er ein gutes Stück dieses Weges bereits gegangen ist. 13 Jahre spielt Leo Böhm schon Golf, mit drei Jahren hielt er zum ersten Mal einen Schläger in der Hand. Das muss ihm erst einmal einer nachmachen.
Wenn der junge Mann in seine Golfklamotten schlüpft, dann scheint es, als würde er ein anderer. Die lange weiße Hose, die Schuhe mit dem edlen Lochmuster, das hellblaue Polohemd - er wirkt deutlich erwachsener als Gleichaltrige, die ihre Nachmittage lieber am See verbringen statt auf dem Grün. "Da steht er gleich viel gerader da", hat auch Mutter Julia beobachtet, die das faire und freundliche Miteinander auf dem Platz schätzt. Die Medientrainerin und ihr Mann unterstützen die Leidenschaft ihres Sohnes nach Kräften, fahren ihn zu Trainings, bezahlen die Ausrüstung.
Vater Lutz liebt den Golfsport ebenfalls, er hat den kleinen Leo einst bei einem Urlaub in den USA inspiriert. "Er wollte damals unbedingt ein Plastik-Golfset im Supermarkt", erzählt die Mutter. Der Beginn einer Mission. "Ich habe eigentlich nur mal kurz Fußball und Volleyball gespielt, sonst immer Golf", sagt Leo Böhm. Seit Jahren reist die vierköpfige Familie weltweit von einem Golfplatz zum anderen - natürlich auch im Urlaub.
Die Platzreife macht Böhm noch im Kindergartenalter in Berlin-Pankow, wo die Familie damals lebt. In der ersten Klasse wechselt er nach Wannsee. Als der Sohn elf Jahre alt ist, zieht die Familie nach Starnberg - und der Golfclub in Feldafing wird die sportliche Heimat des Jungen. Parallel zum Jugendtraining trainiert er bei Peter Wolfenstetter an der Golf Academy in Olching. Der 54-Jährige ist "seit 30 Jahren im Geschäft", wie er sagt und hat schon "ein paar ganz gute Spieler produziert". 2013 war er Jugendtrainer des Jahres, 2019 gewann er mit Stuttgart die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Nun widmet er sich jungen Talenten, "die haben richtig Bock". Leo etwa habe einen "krassen Willen", mit dem er sich mitunter aber auch mal selbst im Weg stehe. Vor allem aber habe er "ein extrem gutes Verständnis für dieses Spiel", so Wolfenstetter. Er traut Leo viel zu, doch auch er weiß: "Viele haben den Traum, es ist ein hartes Geschäft." Neben Talent und Arbeit brauche es auch Glück. "Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein."
Bislang hält sich Böhm an das, was er selbst beitragen kann. Der 16-Jährige trainiert fast jeden Tag - nach mitunter langen Unterrichtstagen am Gymnasium. Wenn er nicht auf dem Platz Bälle schlägt, geht er schwimmen oder ins Fitnessstudio. Er weiß, dass es auf die Feinheiten ankommt, wenn auch die Konkurrenz in der Lage ist, den Ball gut zu schlagen. Darum achtet er auf ausreichend Schlaf und eine ausgewogene Ernährung. Er weiß inzwischen genau, wann er auf der mitunter fünf Stunden langen Turnierrunde besser einen Proteinriegel isst und wann ein paar Kohlenhydrate. Zu seinen größten Stärken zählt er seine mentale Stabilität. Sein Handicap liegt aktuell bei -3,4, die längsten Schläge reichen weiter als 300 Meter. Seit drei Jahren ist er im Bayernkader seiner Altersklasse, in der deutschen Rangliste - die stark von bayerischen Spielern dominiert wird - schwankt er zwischen dem zehnten und zwölften Platz. In Feldafing spielt er für die Herrenmannschaft in der zweiten Bundesliga.
Hat es ihm als kleiner Junge gereicht, wenn der Ball wegflog, macht ihn inzwischen das Gefühl glücklich, wenn die 45 Gramm schwere Kugel genau so fliegt, wie er es will. "Es ist eine sauschwere technische Sportart", sagt er, "man lernt nie aus." Auch körperlich ist es durchaus herausfordernd. Neben der Kraft in Rumpf und Armen brauche es auch Ausdauer. "Es gibt Tage, da zählt meine Uhr 42 000 Schritte", sagt Leo Böhm, der immer wieder auch seine 20 Kilogramm schwere Tasche mitschleppen muss. Immer mal wieder gelingt es ihm, einen Freund mit auf den Platz zu nehmen und zu überzeugen: Golf kann auch anstrengend sein. Und muss nicht teuer sein. Wobei seine Ausrüstung schon ordentlich Geld verschlingt, wie Mutter Julia gesteht. Mitunter kostet ein Schläger 800 Euro.
"Der Sport macht ihm so eine Freude", sagt Julia Böhm. Natürlich sei die Fahrerei manchmal "eine Challenge" und der zehn Jahre alte Bruder Carlo, der kein Golf spielt, habe auch Bedürfnisse. Doch bislang schaffe die Familie es, den Leistungssport in den Alltag zu integrieren. Leo Böhm sagt, er wolle möglichst schnell den Führerschein machen, um die Eltern zu entlasten. Die Mutter sagt, es reiche schon, er würde die Golf Tees nicht immer in der Hosentasche lassen - regelmäßig muss sie die kleinen Plastikteile aus der Waschmaschine fummeln. Andererseits: Andere 16-Jährige sitzen stundenlang vor Computerspielen oder stürzen auf Partys ab. Leo trinkt keinen Alkohol.
Der 16-Jährige bewegt sich überwiegend in seinem Golfkosmos zwischen Trainingseinheiten, Turnieren und Meisterschaften. Von der Schule wird er dafür regelmäßig freigestellt, "vorausgesetzt, die Noten passen", so der Neuntklässler. Bisher passten sie immer. Im Juni gewann der Starnberger sein erstes internationales Turnier in der Slowakei, in der vergangenen Woche war er bei den Deutschen Amateur-Meisterschaften der Herren in Valley am Start. Seine nächsten Ziele: Genug Punkte sammeln, um es in den deutschen Kader zu schaffen. Und im September die Deutsche Meisterschaft in Mannheim gewinnen.
Ob Böhm einen Plan B hat? Ja schon. Doch so detailliert wie Plan A ist der nicht. Es wäre ihm lieber, er bräuchte ihn nicht.