Argentinischer Tanz:"Tango ist umarmen und miteinander gehen"

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Mehr als 60 Dramen und Dokus hat Ralf Sartori bisher für seine Filmreihe in Seefeld und Gauting ausgegraben. Bei der anschließenden Milonga begeben sich auch Anfänger aufs Parkett.

Von Gerhard Summer, Gauting/Seefeld

Die Tango-Historie riss in Seefeld in Fetzen. Vor sieben Jahren also war es Ralf Sartori gelungen, für seine Filmreihe eine Rarität des argentinischen Regisseurs Humberto Rios im Original aufzutreiben, "El Tango es una historia". Die Dokumentation verewigt einen Festivalauftritt der berühmten Musiker Astor Piazzolla, Osvaldo Pugliese und Susana Rinaldi. Bei der Kinovorführung im April 2015 auf einem uralten Projektor lief noch alles einigermaßen glatt, abgesehen von ein paar kurzen Hängern. "Aber das Zelluloid war so alt und brüchig, dass es dann beim Rückspulen kaputt ging", sagt Sartori.

Er erzählt die Geschichte in seinem wildromantisch wuchernden Garten in München-Laim. Sartori sitzt barfuß und mit Strohhut am Tisch, zwischendrin holt er Wasser und macht Espresso. Seine Stimme klingt ruhig, für einen Mann, der ständig auf der Jagd ist nach cinematografischen Schätzen, macht er einen sehr entspannten Eindruck. Tatsächlich aber ist Sartori mehr als nur ein 59-Jähriger auf der Pirsch: er ist so etwas wie der Herzschrittmacher der Tango-Szene im Fünfseenland. Zusammen mit dem Kinobetreiber und Gründer des Fünfseen-Filmfestivals, Matthias Helwig, hat er die Filmabende in Seefeld und Gauting erfunden. Seine vor knapp neun Jahren gestartete Tango-Bar sei genauso wie seine mittlerweile achtteilige Buchreihe "Tango global" weltweit einzigartig, so Sartori.

Mehr als 60 Spielfilme und Dokus hat er inzwischen in Helwigs Kinos gezeigt, über Romanzen auf dem Parkett, die Legende Carlos Gardel oder über getanztes Verlangen. Darunter waren zwei Welt- und etliche Beinahe-Premieren, Werke aus den Zwanzigerjahren wie zeitgenössische Produktionen. Und ein Ende ist nicht abzusehen. "Keiner in der Tango-Szene hat gedacht, dass es so viele tolle Filme gibt", sagt Sartori. "Sogar Helwig schüttelt immer wieder den Kopf."

Seid umschlungen: Zwei Dutzend Tanzbegeisterte begeben sich nach dem Film "Intertango" im Kino Seefeld aufs Parkett. Das Bild entstand auf dem Fünfseen-Filmfestival 2019. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dabei sei es gar nicht leicht, an diese oft "unglaublichen Zeitdokumente" heranzukommen. Denn sogar in Argentinien, dem Mutterland des Tangos, gebe es kein Nationalarchiv, das die Kulturschätze hütet. Zuweilen muss Sartori wochenlang recherchieren, bis er einen verschollen geglaubten Film doch noch auf DVD ergattert. Und ab und zu kommt ihm ein Aficionado zu Hilfe, der in einem Laden in Buenos Aires ein Exemplar der Dokumentation "El ultima Bandoneon" auftreibt und ihm leiht.

Die Besucher der Vorstellungen mit anschließender Milonga, dem Tanzabend, kämen aus dem ganzen Fünfseenland, aus Landsberg, München, dem Allgäu und Schwaben. Viele scheuten nicht davor zurück, 50 Kilometer und mehr zu fahren, um in den Kinos in Seefeld oder Gauting dabei zu sein. Manchmal schauten sogar internationale Gäste auf Durchreise vorbei, ob aus Australien, Kanada, Russland und der Schweiz. Gelegentlich sei das Lichtspielhaus mit 80 Leuten fast voll besetzt, hin und wieder verlören sich dagegen nur ein paar Zuschauer in den Reihen. Im Schnitt seien die Tänzer und Filmfans 30 bis 60 Jahre alt, vereinzelt sind laut Sartori aber auch 90-Jährige dabei. Fast wie in Argentinien, wo Hochbetagte noch unterwegs seien, "wenn den Jungen die Luft ausgeht".

"Was sich toll auf der Tanzfläche anfühlt, kann sich in einer Beziehung ganz anders anfühlen"

Was nun also den Tango argentino ausmacht? Der Autor und Fotograf Sartori, der lange in Berlin, Venedig, Apulien, Frankreich und der Schweiz gelebt und 1992 in München seine Tanzschule "Tango à la carte" gegründet hat, braucht für eine einfache Erklärung ein paar Anläufe. Tango, sagt er zuerst, schaffe Freiräume, "überall wo es eng und rigide ist". Das Tanzen mache eine Tür auf, sei eine "Umarmung, die verbindlich ist, aber Bewegungsfreiheit zulässt". Keine Folklore, sondern städtische Kultur, "wie eine Sprache mit Syntax und Grammatik" - und noch dazu eine Art Lupe.

Denn wer denke, eine an den letzten Fasern hängende Beziehung auf dem Parkett kurieren zu können, der täusche sich gewaltig - "das fliegt einem dann um die Ohren", so Sartori, der auch als Paartherapeut arbeitet. Am Ende fällt dem gelernten Landschaftsgärtner, der "die Dinge immer gern zu einem Organismus" verbindet und eine Homepage hat, die noch mehr nach Dschungel aussieht als der Garten seines Reihenhauses, doch noch eine simple Definition ein: "Tango ist umarmen und miteinander gehen, das kann jeder."

Und natürlich: Dieser Tanz habe sehr wohl mit dem Herzen zu tun, schließlich werde alles über den "Oberkörper kommuniziert". Trotzdem sei er nicht mit Erotik im 4/8-Takt zu verwechseln. "Was sich toll auf der Tanzfläche anfühlt, kann sich in einer Beziehung ganz anders anfühlen. Man kann das nicht hochrechnen aufs Leben."

In Buenos Aires war der Tangolehrer übrigens noch nie. Warum auch? Er mag keine Riesenstädte wie Buenos Aires. "Und in Europa gibt es zum Teil bessere Milonga-Feste als in Argentinien", sagt Ralf Sartori.

Zum Fünfseen-Filmfestival laufen in der Tangobar die beiden Teile der Dokumentation "Un Disparo en la noche" (Ein Schuss in der Nacht) von Alejandro Diez. Die Termine: 26. August, 19 Uhr, im Kino von Schloss Seefeld und 27. August, 14 Uhr, im Filmtheater Gauting. Im Anschluss daran steht jeweils eine Milonga samt Einführung auf dem Programm. Weitere Infos und Karten unter www.fsff.de .

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