Fünfseen-Filmfestival:Post vom Künstler

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Heinz Brauns Bilder haben oft ihn selbst zum Gegenstand: Hier rudert er allein über den See. (Foto: oh)

In ihrem altmeisterlichen Porträt "Bilder aus dem Notarztkoffer" zeichnen die Filmemacher Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich das Leben des Briefträgers, Malers und Achternbusch-Schauspielers Heinz Braun nach.

Von Gerhard Summer, Seefeld

Er ist Postbote und ein Mann wie ein Schrank. Ein Unikum und Gaudibursch, der schon mal vor seinen Amtskollegen eine feierliche Morgenandacht zelebriert. Dabei ist sein genuscheltes Bairisch kaum zu verstehen. Bald versucht er, der Enge seiner Germeringer Welt zu entfliehen, trifft in der einstigen Gautinger Absturz-Kneipe "Würmbad" auf Herbert Achternbusch und spielt in sechs Filmen des Enfant terrible mit. In " Atlantikschwimmer" zum Beispiel stakst er wie eine Karikatur auf dürren Beinen in den Walchensee, plumpst in einer anderen Szene betrunken in die Würm und wispert "Hilfe, Hilfe".

Heinz Braun (1938 bis 1986) steigt bald zum Bürgerschreck auf. Die Schickeria umgibt sich in den Siebzigerjahren liebend gern mit solchen Typen. Eine Hochzeitsgesellschaft bekommt dann allerdings mehr Anarchie zu spüren, als ihr lieb ist: Der Hüne durchbricht mit dem Auto den Zaun und landet mitten im Garten der Großkopferten. Musikkabarettist Georg Ringsgwandl sagt: Er wisse nicht mehr, ob Braun mit dem Wagen auch noch ins Wohnzimmer krachte, aber das Tohowabohu sei jedenfalls groß gewesen. Vor allem aber ist dieser vor Kraft strotzende Briefträger, der zu den markantesten Köpfen im Tross um Achternbusch gehörte, ein autodidaktischer Maler. Und vorwiegend um den Künstler Heinz Braun dreht sich das Porträt "Bilder aus dem Notarztkoffer", das auf dem Fünfseen-Festival im kleinen Seefelder Kinosaal und in den Lichtspielhäusern Starnberg und Gauting lief.

Heinz Braun spielt in den Siebziger Jahren in Filmen von Achterbusch mit. (Foto: Museum FFB/Quelle: Museum FFB)

Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich haben schon Filmessays über Lothar-Günther Buchheim und das französische Streichquartett Quatuor Ebène vorgelegt. Sie verstehen sich auf altmeisterliche Arbeit im Alleingang. Wie Maler legen die zwei Münchner, die Kunst studiert haben und Dozenten für neue Medien, respektive Malerei waren, Schicht auf Schicht, bis ein komplexes, berührendes und nie zu grell oder zu milde ausgeleuchtetes Bildnis entstanden ist. "Wir haben kein Drehbuch", sagt Engelmann nach der Vorstellung, "mit jedem Interview kann sich der Film wieder verändern."

Filmessays über Künstler sind ihr Metier: Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich bei einem Auftritt auf dem Fünf-Seen-Filmfestival. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Nun zeichnen sie Brauns Leben fast so detailgenau nach, wie die mal barocken, mal expressiven und wunderbar in der Perspektive verschobenen Werke des Künstlers sind: vom hungrigen Kind, das die letzten Weltkriegsjahre erlebt hat, sich einen Apfel auf ein Blatt malt und das Papier aufisst, bis zum Krebskranken. Noch an seiner letzten Station, einem Zimmer im Klinikum Großhadern mit der Aufschrift "Notarztkoffer", werkelt Braun wie besessen an einer Serie von Schwarzweiß-Bildern.

Weggefährten erzählen den Filmemachern, wer Heinz Braun war

Im Wesentlichen greifen die Filmemacher auf ein rares Interview mit Braun zurück und befragen Weggefährten wie Ringsgwandl und Hans-Jürgen Buchner von Haindling, die Fotografin Barbara Gass, die Lebensgefährtin des Malers, Ute Crone-Endmann, und das Künstlerpaar Issi und Thomas Niggl aus Feldafing. Und sie kommen auf Brauns Freundschaft mit dem kroatischen Filmemacher und Maler Vlado Kristl zu sprechen, der sein Mentor und Meister wurde, und auf den Beinahe-Durchbruch des von Achternbusch einst belächelten Künstlers durch eine Reportage 1982 im Stern.

Heinz Brauns Gemälde "Liebesüberraschung". (Foto: Johannes Simon)

Zugleich rollen sie ein Stück Zeitgeschichte auf, streifen die miefigen Sechzigerjahre und die Studentenunruhen. Und zeigen immer wieder Brauns Bilder, die erst fotorealistisch, akribisch und surreal, bald kühner, origineller und expressiver ausfallen. Der Münchner hält alles fest, was ihm vor den Pinsel kommt, Menschen, Tiere, Iffeldorf, Haindling, den Ammersee und immer wieder sich selbst: als Faschingsprinz mit weißen Haarflügeln, als Erdmännchen, als Geist mit Beil und später als abgemagerten Schatten seiner selbst, gezeichnet von Kehlkopf-Tumor und Bestrahlungen. Als Auftragsporträtist ist er gnadenlos. Anstelle von geschönten Gesichtern legt er Bildern von Fratzen und Dämonen vor. "Er konnte hinter die Kulissen schauen", sagt Crone-Erdmann über den Künstler, der sein Leben malte. "Er sah in Menschen auch das nicht so Schöne".

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