Feldafing:Das braunste Dorf am Starnberger See

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Junge Absolventen der Reichsschule in Feldafing. (Foto: privat)

Die Gemeinde Feldafing will ihre NS-Vergangenheit aufarbeiten: Das Historiker-Ehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger fördert neben Gräueltaten auch absurde Details zu Tage.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Feldafing

Er war klein und schmächtig. Er konnte sich von seinen Eltern nicht lösen und war mit fast 40 Jahren noch unverheiratet. Nach außen wirkte der nur 1,65 Meter große Feldafinger Ortsgruppenleiter Heinrich Brubacher vergleichsweise harmlos. Doch er ging als "Schrecken von Feldafing" in die NS-Geschichte der Gemeinde ein. Als überzeugter Nationalsozialist hat er Juden verfolgt und Bürger bedroht. Nach zweijähriger Recherche konnte das Historiker-Ehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger Brubachers fürchterlichen Ruf, der bis heute in das Gedächtnis der Gemeinde hineinwirkt, ein klein wenig relativieren.

"Alle hatten sehr viel Angst", sagte Krauss am Dienstag im Gemeinderat. Allerdings habe sie bislang wenig Beweise gefunden, dass tatsächlich jemand wegen Brubacher in ein KZ gekommen sei. Das Historiker-Ehepaar war vor zwei Jahren vom Gemeinderat mit einem Sachbuch zum Thema "Feldafing im Nationalsozialismus" beauftragt worden, nun stellten sie einen Zwischenbericht vor. Wenn das Buchprojekt im kommenden Jahr abgeschlossen sein wird, so Krauss, könne sie sich vorstellen, dass ein "Gesamterinnerungskonzept" entwickelt wird.

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"Haben wir ein Recht auf Vergessen?" Diese Frage hat sich das Ehepaar während der wissenschaftlichen Aufarbeitung immer wieder gestellt. "Ich glaube, das müssen wir mit Nein beantworten", erklärte Kasberger. Davon ist auch Bürgermeister Bernhard Sontheim überzeugt: "Auch, wenn wir keine Schuld an dem haben, was passiert ist, haben wir Schuld daran, wenn wir vergessen und nicht aus der Geschichte lernen", betonte er. Den Vorschlag nach einem Erinnerungskonzept griff er gerne auf. Er habe schon beim Bundesverteidigungsministerium angeregt, eines der acht denkmalgeschützten Sturmhäuser auf dem heutigen Bundeswehrgelände als Erinnerungsstätte für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen.

Das Historiker-Ehepaar Marita Krauss und Erich Kasberger erforscht die Feldafinger NS-Vergangenheit. (Foto: Nila Thiel)

"Da kann sich die Bundeswehr nicht aus der Verantwortung stehlen", sagte der Rathauschef. "Das ist ein wichtiger Ort, ein einmaliger Ort und ein jüdischer Erinnerungsort", pflichtete ihm Krauss vor dem Hintergrund bei, dass auf dem Gelände der ehemaligen Reichsschule nach dem Krieg ein DP-Camp (Displaced Persons) eingerichtet wurde, also ein Auffanglager für Juden, die das KZ überlebt hatten, sowie für in Deutschland gestrandete Ausländer.

Krauss schlug ein Gesamtkonzept unter Mitwirkung anderer Einrichtungen vor, etwa der Gedenkstätte Dachau, der israelischen Kultusgemeinde, der Bundeswehr sowie der Gemeinde Pöcking. Denn in der Nachbargemeinde gibt es ebenfalls Überlegungen, aus einer Lager-Baracke in Possenhofen eine Erinnerungsstätte zu machen.

Auf dem Gelände der ehemaligen Reichsschule wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ein Lager für sogenannte "Displaced Persons" eingerichtet. (Foto: Arlet Ulfers (Repro))

Feldafing nimmt bei der Aufarbeitung der NS-Zeit eine Sonderstellung ein. Es gab die Reichsschule, eine deutschlandweit einzigartige Eliteschule. Unter Mitarbeit von Studenten der Uni Augsburg hat Krauss eine Datenbank mit allen Reichsschülern und Lehrern sowie deren Werdegang erstellen lassen. Demnach waren 90 Prozent der Lehrer Mitglieder in NS-Organisationen. Aber auch die Hälfte der Gemeindebürger waren bekennende NS-Sympathisanten: 19 Personen hatten im NS-Regime "Posten und Pöstchen" inne, was laut Krauss für eine kleine Gemeinde wie Feldafing "ziemlich viel" sei.

Schon Brubachers Eltern waren überzeugte Nationalsozialisten. "Die Familie war fasziniert von Hitler", sagt Krauss. Sie sei schon 1920 geschlossen in die Partei eingetreten und habe 1930 die NSDAP-Ortsgruppe in Feldafing gegründet.

Im Haus der Brubachers wohnte ein Mann, der so gar nicht zur NS-Ideologie passen wollte

Brubacher wurde - wie sein Vater - Zahnarzt. Später gründete er eine Familie und hatte vier Kinder. Als "völlig unerklärlich" aber wertet Krauss den Umstand, dass ein Sohn aus der Verlegerfamilie Bruckmann bei Brubacher wohnte. Denn Karl Friedrich Bruckmann habe als "schwachsinnig" gegolten - und Menschen mit geistiger Behinderung seien damals ermordet worden. "Das ist tatsächlich eine Besonderheit, dass in dem unglaublichen NS-Haushalt ein Mann lebte, der dort nichts zu suchen hatte", so Krauss.

Neben der Reichsschule gab es auch ein Außenlager, das zum KZ Dachau gehörte. Die insgesamt 200 Häftlinge, die das Lager von 1942 bis 1945 durchlaufen hatten, wurden laut Erich Kasberger als Zwangsarbeiter für den Bau der Reichsschule eingesetzt. Dafür seien ganz gezielt Häftlinge mit Bauberufen angefordert worden. Andere habe man umgeschult, darunter etwa vier Geistliche aus Polen, die als Maurer eingesetzt waren. Die Häftlinge seien an die Baufirma Hochtief vermietet worden. Sie erhielten keinen Lohn, sondern Prämienscheine für Wohlverhalten. Die eingesetzten Wachleute seien gewalttätig gewesen. Das wird nach Erkenntnissen der Historiker dadurch belegt, dass von insgesamt 25 Wachleuten zehn bei den Dachauer Prozessen angeklagt und zwei von ihnen zum Tod verurteilt wurden. Kranke oder arbeitsunfähige Häftlinge wurden wieder zurück nach Dachau in den Invalidenblock geschickt. Wer nicht mehr arbeiten konnte, musste laut Kasberger damit rechnen, vergast zu werden. "Opfer müssen ihre Identität, Täter einen Namen bekommen", forderte der Historiker.

Von insgesamt 25 Wachleuten im Feldafinger KZ-Außenlager wurden zehn bei den Dachauer Prozessen angeklagt - hier eine Aufnahme aus dem Gerichtssaal. (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)

Ein Thema, das Krauss sehr am Herzen liegt, ist die Geschichte des jüdischen Friedhofs sowie der im DP-Camp geborenen, verstorbenen und dort begrabenen Babys und der verschwundenen Erinnerungssteine. Das Historiker-Ehepaar hat eine komplette Aufstellung aller Personen erarbeitet, die auf dem jüdischen Friedhof begraben liegen. Auf einem Areal daneben befand sich auch ein Massengrab. Laut Krauss wurde es im Jahr 1962 aufgelassen und für eine neue Grabnutzung freigegeben. Bei den Erinnerungssteinen kam das Ehepaar trotz "langer Arbeit" bislang zu keinem eindeutigen Ergebnis: Sie sind wohl bei Umbauarbeiten der Bundeswehr umgesetzt worden und bislang unauffindbar.

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