Generationenwechsel in der Landwirtschaft:"Demokratie funktioniert nur, wenn alle mitwirken"

Lesezeit: 6 min

Michael Bierler, Jonas Dorner, Lorenz Dilger und Annika Martin (von links) absolvieren in Herrsching den Grundkurs des Bauernverbands. (Foto: Nila Thiel)

Momentan bilden sich in der Herrschinger Landwirtschaftsschule wieder junge Bauern aus ganz Bayern fort, unter anderem in Persönlichkeitsentwicklung und Demokratieverständnis. Ein Gespräch über Motivation, Tierwohl - und über die rechtsextremistische Unterwanderung der jüngsten Proteste.

Interview von Armin Greune, Herrsching

Die bayerische Landwirtschaftsschule in Herrsching ist 1948 unter dem Eindruck der NS-Diktatur gegründet worden - die auch deshalb zur Macht gelangt war, weil gerade die ländliche Bevölkerung für braune Demagogie besonders empfänglich war. Daher war es von Anfang an erklärtes Ziel der Bildungseinrichtung des Bauernverbands, in Grundkursen die Persönlichkeit der Teilnehmer zu stärken und ihnen Demokratieverständnis, Teamgeist, Allgemeinwissen sowie politische und musische Bildung zu vermitteln.

Zurzeit ist im Haus der bayerischen Landwirtschaft für zehn Wochen der 129. Grundkurs mit 55 Jungbauern und -bäuerinnen zu Gast. Die SZ sprach mit Lorenz Dilger, 24, aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck, Jonas Dorner, 22, aus Roth in Mittelfranken, Annika Martin, 26, aus dem Kreis Bad Kissingen in Unterfranken und Michael Bierler, 27, aus dem Raum Schwandorf in der Oberpfalz über ihre Haltung zu den Bauerndemonstrationen und die Gefahr einer rechtsextremistischen Unterwanderung der Proteste. Alle sind bereits in den elterlichen Betrieb eingestiegen oder wollen den Hof übernehmen - bei Bierler ist es die Bullenmast des Onkels.

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SZ: Man kann ja durchaus anerkennen, dass die Bauern für ihre Leistungen besser honoriert werden wollen. Aber dann bei den Protesten mit schwersten Geräten tonnenweise Kohlendioxid in die Luft zu pusten - wie passt das zusammen?

Annika Martin: Ich sehe die Traktoren als ein gutes Symbol, um auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Es gab ja auch andere Protestformen wie Mahnfeuer oder die Protestaktion "Schlepper raus, Stiefel drauf": Dabei standen im Dezember die Traktoren mit Plakaten am Straßenrand und an den Ortsschildern hingen Stiefel. Wir im Grundkurs sind jedenfalls zur Demonstration in Augsburg nachhaltig unterwegs gewesen und mit 50 Personen im Bus angereist.

Jonas Dorner: Und was die fossilen Brennstoffe angeht, gibt es für unsere Maschinen wenige Alternativen. Wir müssen uns ja auch wirtschaftlich verhalten. Einige Kollegen bei uns hatten damals auf Rapsöl umgestellt, diese Alternative wurde von der Politik allerdings wieder fallen gelassen.

Aber die politische Forderung nach vergünstigtem Diesel ist doch im Sinne des Klimaschutzes komplett aberwitzig. Damit wird praktisch der CO₂-Ausstoß noch subventioniert. Stehen Sie alle voll hinter dieser Forderung?

Lorenz Dilger: Ja, weil wir keine Alternativen haben. Das hat das Fass eben zum Überlaufen gebracht und geht jedem Betrieb an die eigene Tasche.

Jonas Dorner: Das Ziel eint alle Landwirte, weil es jeder sofort am Geldbeutel spürt.

Michael Bierler: Es sind ja keine Subventionen, sondern Rückerstattungen von Treibstoffkosten, die wir vorher ausgelegt haben. Und die monetäre Situation vieler Betriebe ist so angespannt wie selten zuvor.

Jonas Dorner ist aus Roth in Mittelfranken nach Herrsching gereist. (Foto: Nila Thiel)

Im Dezember war zu lesen, dass im abgelaufenen Wirtschaftsjahr das durchschnittliche Betriebsergebnis in der Landwirtschaft auf ein Allzeithoch von 115 400 Euro gestiegen ist, 45 Prozent mehr als 2021/2022. Geht's den Bauern denn nicht besser denn je?

Lorenz Dilger: Über diese mediale Aussage sind wir Landwirte sehr unglücklich. Diese Summe ist ja nicht mit unternehmerischem Gewinn gleichzusetzen, viel davon muss in den Betrieb investiert werden.

Michael Bierler: Wir arbeiten mit der Natur und das bedeutet, dass wir ihren Schwankungen ebenso ausgesetzt sind wie den Weltmarktpreisen. Da ist es angesagt, in guten Jahren Rücklagen zu bilden, zumal die Jahre davor nicht gerade rosig waren. Vor allem aber sind 90 Prozent der Bauernhöfe Familienbetriebe und bei der Berechnung des Jahresergebnisses werden vorab keine Gehälter abgezogen. Vom eingenommenen Geld müssen also noch alle Angehörigen versorgt werden.

Jonas Dorner: Wenn man den Zeitaufwand berechnet, arbeiten wir oft unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Mit dem aktuellen Betriebsergebnis sind wir zum ersten Mal auf dem Niveau eines mittleren Handwerksbetriebs, aber bei uns geht es von Jahr zu Jahr deutlicher auf und ab.

Zu lesen war auch, dass Subventionen im Durchschnitt etwa 50 Prozent der bäuerlichen Einkommen ausmachen. Werden diese Fördermittel aus ihrer Sicht gerecht verteilt?

Michael Bierler: Das beurteilen die einzelnen Betriebe ganz unterschiedlich. Jedenfalls sind diejenigen, die die höchsten Flächenprämien einstreichen, meist Kommunen, Landesbetriebe oder Organisationen und in den seltensten Fällen Landwirte. Und die können sich bei Preisen von 80 000 Euro pro Hektar keine Flächenankäufe mehr leisten.

Lorenz Dilger: Im Münchner Umland ist der landwirtschaftliche Grund inzwischen mehr als doppelt so teuer.

Lorenz Dilger arbeitet auf dem elterlichen Betrieb im Landkreis Fürstenfeldbruck. (Foto: Nila Thiel)

Was erwarten Sie sich von der nun geplanten Tierwohlabgabe?

Lorenz Dilger: Keiner von uns hält lieber 300 als 100 Kühe, aber wir stehen im internationalen Wettbewerb und müssen wirtschaftlich arbeiten. In unserem Betrieb werden Jungbullen nach Tierwohlstufe 3 gehalten, auf dem bestehenden Markt lassen sie sich aber nur als Tierwohlstufe 2 verkaufen.

Michael Bierler: Ich kenne einen Schweinehalter, der hat in das Tierwohl investiert und seine Ställe entsprechend umgebaut - aber dann keine Abnehmer gefunden, weil keine Nachfrage nach höherwertigem Fleisch bestand. Derartige Investitionen haben eine Amortisationsdauer von 20 Jahren, so oft können wir also gar nicht um- oder ausbauen.

Jonas Dorner: Ich denke auch, momentan investiert keiner in den Stallbau.

Viele Landwirte kritisieren, dass die ständig wechselnden gesetzlichen Anforderungen und Förderregelungen die langfristige Betriebsplanung unmöglich machen.

Michael Bierler: Es besteht keine Planungssicherheit mehr, Auflagen werden mit viel zu kurzer Anlauffrist erlassen. So hat man die Fruchtfolgeregelung geändert, kurz bevor die Felder bestellt werden. Dabei müssen wir spätestens im Sommer des Vorjahrs festlegen, was wir wo in welcher Reihenfolge anbauen.

Jonas Dorner: Bestehende Regelungen werden oft wieder umgeworfen, wie etwa, ob nun als Datum für den Beginn der Bodenbearbeitungen der 15. Januar oder 16. Februar gilt. Für den Erosionsschutz in Hanglagen wurden 2023 die Bestimmungen dreimal geändert.

Michael Bierler will die Bullenmast seines Onkels in der Oberpfalz übernehmen. (Foto: Nila Thiel)

Überhaupt klagen die Bauern über die ausufernde Bürokratie, die ja eigentlich eine gerechte Verteilung von Auflagen und Fördermitteln sicherstellen soll.

Michael Bierler: Es ist kaum zu schaffen, beispielsweise bei den ganzen gesetzlichen Abstandsregelungen, noch den Durchblick zu behalten. Mit den EU-Auflagen sind selbst die Landwirtschaftsämter überfordert. Ältere, in der EDV nicht so fitte Bauern müssen fürchten, ins offene Messer zu rennen.

Annika Martin: Bei uns zu Hause erledigt das allein die Mama, die ist zum Glück gelernte Finanzbuchhalterin.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wo Ihnen der bürokratische Aufwand besonders absurd erscheint?

Jonas Dorner (nach längerer Diskussion mit den Kollegen): Im Rahmen des Agrarstrukturgesetzes müssen wir jetzt für das Vermessungsamt alle unsere gesamten Flächen noch einmal händisch eintragen, obwohl sie seit Jahren für den Mehrfachantrag im Luftbild genau erfasst und kontrolliert werden.

Michael Bierler: Dabei gibt es viele Fehlerquellen, es ist schon vorgekommen, dass ein Teich als Kleegras ausgewiesen wurde. Dann muss der Landwirt zur Fläche fahren und mit einem geodifferenzierten Handyfoto beweisen, dass seine Angaben richtig sind.

Um auf die Demonstrationen zurückzukommen: Die Proteste wurden ja auch benutzt, um allgemein gegen die Regierung zu hetzen und demokratiefeindliche, rechtsextreme Parolen zu verbreiten.

Lorenz Dilger: Das hat uns auch gestört.

Michael Bierler: Manchmal blieb es auch beim Versuch, in Berlin haben die Landwirte Plakate mit extremen Positionen vorher entfernt.

Jonas Dorner: Die Bauern haben sich nicht nur im Nachhinein davon distanziert, sondern diesen Kreisen schon im Vorfeld klargemacht, dass rechtes Gedankengut nicht Inhalt unseres Protestes sein kann.

Michael Bierler: Ich finde es nicht gerechtfertigt, dass man gerade diese Sache so in den Medien herausstreicht. Die Demonstrationen waren alles andere als extremistisch, sondern sehr friedlich. In Berlin haben die Landwirte danach sogar selbst aufgeräumt und die Veranstalter wurden von der Polizei ausdrücklich gelobt.

In Interviews mit Bauern waren freilich immer wieder Kommentare zu hören, deren Ausländerfeindlichkeit und Hetze gegen den Parlamentarismus extreme AfD-Positionen wiedergaben. Stehen Landwirte generell weiter rechts als andere Bevölkerungsgruppen?

Lorenz Dilger: Wie definiert man rechts? Wir sind wohl grundsätzlich etwas konservativer, aber deswegen lange nicht rechtsextrem.

Annika Martin: Fremdenfeindlichkeit hat bei uns keinen Platz. Gerade landwirtschaftliche Betriebe sind oft auf ausländische Saisonarbeiter angewiesen. Unsere Kollegen sind diesen Menschen, die etwa beim Hopfenanbinden oder der Kürbisernte mithelfen, wirklich dankbar.

Lorenz Dilger: Wir können halt nur nicht so viel Lohn zahlen, wie in anderen Branchen.

Annika Martin arbeitet in Unterfranken im Betrieb ihrer Eltern. (Foto: Nila Thiel)

Hat der Grundkurs Ihre Einstellung zur Politik beeinflusst und wie beabsichtigt die Wertschätzung für die Demokratie bestärkt?

Jonas Dorner: Erst gestern haben wir wieder über die demokratische Wertegesellschaft gesprochen. Der Kurs ist eine sehr gute Präventionsmaßnahme gegen Extremismus und das haben auch viele mitgenommen.

Lorenz Dilger: Unser aller Demokratieverständnis ist mit Sicherheit gefördert worden.

Michael Bierler: Bei unserem Berlin-Besuch haben wir auch an einer Führung in einem ehemaligen Stasi-Gefängnis teilgenommen. Mir ist da wieder einmal klar geworden, was für ein Privileg es ist, in einem Rechtsstaat zu leben.

Annika Martin: Demokratie funktioniert nur, wenn wir alle mitwirken. Uns wurde vermittelt, dass wir uns engagieren und unsere Landwirtschaft in der Öffentlichkeit präsentieren sollen und vielleicht den Schritt in die Kommunal- oder Parteipolitik wagen. Aber um sich da als junger Mensch einzubringen, fehlt oft die Perspektive.

Lorenz Dilger: Diese Demotivation zeigt sich auch häufig in den Betrieben.

Michael Bierler: Wir sind gezwungen, bei gleichbleibenden Erzeugerpreisen und steigenden Betriebskosten immer effizienter zu arbeiten, um im Wettbewerb bestehen zu können. Das demotiviert viele Kollegen.

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