Münchner SPD:Ein "Magenschwinger" zerstört alle Hoffnungen der Genossen

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Bedrückte Geschter (von links): Lars Mentrup, Ruth Waldmann, Katja Weitzel, der stellvertretende Generalsekretär Nasser Ahmed und Daniela di Benedetto. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Wahlparty der SPD ist eher eine Trauerfeier mit lauter Musik. Bedrückt sind die Parteimitglieder auch wegen der Erfolge der Rechten. Münchens früherer SPD-Chef Franz Maget mahnt seine Partei, "ehrlich" über Migration zu diskutieren.

Von Bernd Kastner

Die Reaktionen im Oberangertheater sind nicht sonderlich laut bei der ersten Prognose. 8,5 Prozent sind es da noch bayernweit für die SPD. Vielleicht ist das für viele Genossinnen und Genossen gar nicht so überraschend, noch weiter runter als vor fünf Jahren, da waren es landesweit 9,7. Die Zusammenkunft im Erdgeschoss des SPD-Hauses ist weniger eine Party, eher eine Trauerfeier, bei der die Musik am späteren Abend auch gerne mal lauter wird. Lars Mentrup, der Schwabinger Direktkandidat ohne Chancen auf ein Direktmandat, nennt das Ergebnis einen "Magenschwinger".

Dabei sind die Mitglieder nicht allein wegen ihrer Partei traurig. Bedrückt ist die Stimmung auch aus Sorge um die Demokratie. Franz Maget, einst Münchner SPD-Vorsitzender, 23 Jahre lang Abgeordneter aus dem Münchner Norden und mit fast 70 längst Elder Statesman der bayerischen Sozialdemokraten, setzt sich in einer stillen Ecke auf einen Hocker und analysiert das SPD-Ergebnis und den politischen Diskurs in einem: "Massiv verändert" habe sich die gesellschaftliche Stimmung, von "Giftigkeit" sei sie geprägt. Er halte es jetzt für "angemessen", in der SPD eine kritische Bilanz des Wahlkampfs zu ziehen. Denn mit ihren landespolitischen Themen sei die SPD nicht durchgedrungen, weil der Wahlkampf kein landespolitischer gewesen sei. Dies habe die SPD nicht rechtzeitig genug erkannt, um andere Schwerpunkte zu setzen.

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So wichtig die sozialen SPD-Themen seien, auf die Diskursverschiebung hin zu überwölbenden Fragen um Identitäten hätte die Partei reagieren müssen, indem sie dem Populismus sozialdemokratische Werte entgegensetze, sagt Maget. "Wer hat was Größeres zu bieten als die Sozialdemokratie?", fragt Maget. Gerechtigkeit zum Beispiel, Frieden und Zusammenhalt der Gesellschaft. Und auch Demokratie. "Die steht auf dem Spiel."

Unterhalb der symbolisch-abstrakten Ebene sieht Maget ein großes Defizit seiner Partei, und da ist er sich mit Altoberbürgermeister Christian Ude einig. Die SPD dürfe sich nicht länger um das Thema Migration drücken. Während seiner eigenen Parlamentszeit habe er in Münchens Norden mit einer weniger wohlhabenden Bevölkerung und vielen Zuwanderern von Wahl zu Wahl Stimmen verloren. Die SPD müsse anerkennen, dass viele Menschen in Migration ein Problem sähen. Also müsse man "ehrlich" diskutieren, wie man Zuwanderung wirkungsvoller und menschenwürdig steuern und begrenzen könne. "Dieses Thema", sagt Maget, "ist in der SPD unerwünscht, aber man kann dem nicht mehr ausweichen."

Viel früher am Abend, als noch fast niemand da ist im Theatersaal, kommt eine Cover-Version von "Candle in the Wind" aus den Boxen. Elton John hat das gespielt auf der Trauerfeier von Lady Diana, lange her. Je später der Abend, desto kräftiger pusten die bayernweiten Hochrechnungen gegen die sozialdemokratische Kerzenflamme, zwischendurch steht sogar nur noch eine sieben vor dem Komma. Weniger hat von den Landtagsparteien nur die FDP, und die ist draußen. Die Münchner Zahlen lassen auf sich warten. Nach Auszählung aller Stimmen liegt die SPD in München noch bei 12,1 Prozent. Aber was ist das für die Partei, die mal die München-Partei war?

Unbequeme Themen nicht ausklammern: der ehemalige Landtagsabgeordnete und früherer SPD-Chef Franz Maget, Bürgermeisterin Verena Dietl und Christian Köning, aktueller Vorsitzender der Münchner SPD. (Foto: Stephan Rumpf)

Gerade, als Verena Dietl den Saal betritt, berichtet der Bayerische Rundfunk, dass die Wähler der SPD immer weniger Kompetenz beim SPD-Thema soziale Gerechtigkeit zuschreiben. "Schwer zu schlucken" habe sie, sagt Dietl, die als Bürgermeisterin nicht zur Wahl stand, aber doch für diese einstige München-Partei steht. Themen der sozialen Gerechtigkeit seien nach wie vor wichtig, sagt sie - allein, die Partei sei damit nicht durchgedrungen. Immerhin, bei der Jugendwahl, als der Kreisjugendring Minderjährige nach ihrer Präferenz fragte, habe die SPD in München sehr gut abgeschnitten.

Mit dieser Jugend-Befragung macht sich auch der Stadtrat und Kandidat Mentrup Mut. Bei der Jugendwahl habe er von allen Kandidaten in Schwabing am besten abgeschnitten. Bis diese Jugend wählen darf, dauert es noch fünf Jahre. Bei der echten Wahl müsste er von Listenplatz 24 sehr weit nach vorne gehäufelt werden, um ins Parlament zu kommen.

Klassische Themen der SPD hätten bei den Gesprächen gezogen, sagt Ruth Waldmann

"Bin besorgt", sagt Ruth Waldmann, seit 2013 im Landtag. Platz zehn auf der Liste, das könnte sehr knapp werden. Dabei habe sie aus vielen Gesprächen ein gutes Gefühl gehabt, die klassischen SPD-Themen Kitaplätze, Pflege, Mieten - darüber hätten die Leute mit ihr sprechen wollen. Aber die aufgeheizte Stimmung im Wahlkampf habe ihrer Partei massiv geschadet. Den Zuwachs von AfD und Freien Wählern halte sie für "bedenklich". Sie habe gehofft, dass es mehr "Resilienz" gebe gegen rechte Tendenzen. "Das ist ja ganz schön schnell gekippt."

Danke für die Blumen. Florian von Brunn, Spitzenkandidat der SPD, macht bei der Wahlparty nach der Bekanntgabe der ersten Prognose zur Landtagswahl in Bayern gute Miene. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Um halb neun kommt Florian von Brunn, der Spitzenkandidat aus München, auf die Bühne. Er versucht, nicht verzagt zu wirken, will kämpferisch rüberkommen. Dann gibt es doch noch mehr als höflichen Applaus für ihn, ein rhythmisches Klatschen. Es klingt, als wollten sie Zuversicht herbeiklatschen.

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