Sozialpolitik:Den Mangel an Menschlichkeit müssen Dritte ausgleichen

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Bei vielen Menschen in München reicht das Geld nicht für das Nötigste. (Foto: dpa)

München will finanzielle Lücken für Bedürftige schließen - darf aber nicht. Die Stadt will, dass der Bund die Regelsätze regionalisiert. Und das ist dringend notwendig.

Kommentar von Kassian Stroh

Ein kurzer Blick auf die Sozialpolitik in diesem Land: Der Anspruch ist, dass jeder Mensch vom Staat zumindest das Nötigste zum Leben bekommt. Die Wirklichkeit ist: Der Staat zahlt so wenig, dass ein menschenwürdiges Leben nur möglich ist, weil andere in die Bresche springen, Sozialverbände, private Gönner und Spender. Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. In München wird das besonders deutlich. Das System von Hartz IV beziehungsweise der Grundsicherung, die arme Senioren bekommen, basiert darauf, dass jeder Bedürftige in Deutschland gleich viel Geld bekommt. Das ist absurd in einem Land, in dem die Lebenshaltungskosten derart voneinander abweichen.

Seit Längerem macht die Stadt München deshalb Druck, dass der Bund die Regelsätze regionalisiert, dass er also in München mehr zahlt als anderswo. Bislang ohne Erfolg. Sie darf ja noch nicht einmal mit eigenem Geld die Hartz-IV-Bezüge aufstocken, bei der Grundsicherung nur um läppische 21 Euro im Monat.

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Dass die Münchner SPD bei diesem Punkt nun vom Bund eine Änderung fordert, ist ein guter Ansatz, auch wenn er das Dilemma zeigt: Denn genau dadurch gleicht eine Kommune aus, dass sich der Bund einen schlanken Fuß macht. Dadurch wird die Stadt selbst zur Gönnerin, dadurch kompensiert sie, dass die zuständige Bundesregierung die Augen davor verschließt, dass sie arme Menschen in München im Regen stehen lässt.

Trotzdem ist es richtig so. Weil es um Menschen geht, um das Schicksal Armer, die keine sozialpolitischen Grundsatzdebatten abwarten können, wenn sie dringend ein Medikament brauchen, das sie nicht bezahlen können. München darf den Bund nur nicht einfach so davonkommen lassen, muss weiter Druck machen. Und moralisch erhöht sie den vielleicht sogar, wenn sie selber hilft. Weil sie damit dokumentiert, dass die Sozialhilfe ein System ist, dessen Mangel an Menschlichkeit durch Dritte ausgeglichen werden muss.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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