Die Überschrift wirkt freundlich. "Solidarisches Wohnen" hat Erich Barzen, Finanzchef der evangelischen Landeskirche (ELKB), seinen Brief an die Mitarbeiter der Kirchenverwaltung überschrieben. Solidarität, das erinnert an Mitgefühl, an Kollekten und an die christliche Soziallehre - wer kann da schon dagegen sein? Doch in den Augen vieler Adressaten bedeutet "Solidarisches Wohnen" etwas anderes.
Denn in dem Brief steht: Die Kirche erhöht ihren Mitarbeitern die Mieten, langfristig sollen sie sich mehr als verdoppeln. Die erste Erhöhung ist am 1. November fällig. Und jetzt ist die Unruhe im Landeskirchenamt groß. Angestellte klagen, die Kirche beteilige sich an einer "moralisch fragwürdigen Mietmarktpolitik". Die Mitarbeitervertreter reichten sogar Klage gegen die Amtsleitung ein - ihnen zufolge ist das ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte des Amtes.
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Was ist geschehen? Der Streit dreht sich um ein freiwilliges Angebot der Kirche, mit dem sie ihr Personal im teuren München eigentlich entlasten und sich als Arbeitgeber attraktiv machen will: Sie vermietet an ihre Mitarbeiter Wohnungen zum Vorzugspreis. Die Methode ist nicht außergewöhnlich, sondern eine der Blüten, die ein überhitzter Mietmarkt treibt. Bei Freistaat und Stadt, bei Kliniken und Sozialträgern, bei Konzernen oder etwa auch beim evangelischen Dekanat gibt es ähnliche Angebote. Bei der Landeskirche aber, genauer: bei deren Verwaltung an der Katharina-von-Bora-Straße sowie bei der Evangelischen Akademie Tutzing, wohnt es sich besonders günstig, zumindest bislang.
Die ELKB vermietet etwa 160 Wohnungen, im Schnitt 70 Quadratmeter groß, an ihre Mitarbeiter - und zwar zu einem Spottpreis. Sie verlangt dafür 4,04 bis 5,85 Euro pro Quadratmeter, damit sind laut Kirche nicht einmal die Betriebskosten gedeckt. Verglichen mit den mittleren ortsüblichen Mieten spare sich das Personal damit insgesamt 1,4 Millionen Euro im Jahr, rechnet Barzen vor.
Das sei eine versteckte Subvention der Kirche: Geld, das sie nicht auszahlt, sondern gar nicht erst kassiert. Und obwohl die Kirche laut ihrer Verfassung ihr Vermögen wirtschaftlich verwalten muss, wurden die Mieten 18 Jahre lang nicht erhöht. Bis jetzt: Im September 2016 hat der Landeskirchenrat, eines der zentralen Leitungsgremien, eine neue "Mitarbeitendenmietpreisverordnung" beschlossen. Und so hängt der Haus-Segen in der Kirche derzeit gehörig schief. Misstrauen greift um sich, und die Kritik schießt ins Kraut.
Das Geld soll besser verteilt werden
Dass die Mieten endlich steigen sollen, ist dabei weitgehend unstrittig. Die Frage ist aber, wie stark. Ein sozialer Arbeitgeber dürfe sich nicht am teuren Münchner Mietmarkt orientieren, sagen die Kritiker. Der Tonfall ist harsch: Es gehe der Kirche um Rendite, sie bereichere sich an der Not, arbeite gar der Gentrifizierung zu, schrieben Mitarbeitervertreter in den internen Hausmitteilungen des Landeskirchenamts. Bei künftigen Mieten von 13 Euro oder mehr pro Quadratmeter könne keine Rede von "Solidarität" sein, ist von anderen zu hören. Einzelne fürchten gar, die Kirche wolle das teure System langfristig abschaffen.
Die Kirche hält dagegen: Es gehe nicht um Kürzungen, sondern um Gerechtigkeit. Auch künftig wolle man die Beschäftigten mit 1,4 Millionen Euro im Jahr unterstützen, nur wolle man das Geld besser verteilen. Tatsächlich gibt es auch Mitarbeiter, die auf eine Reform drängen. Das System sei nicht gerecht, heißt es. Jüngst wurde gar der Vorwurf laut, die Verantwortlichen hätten sich und andere Besserverdiener bei der Wohnungsvergabe bevorzugt.
Die Kirche weist das zurück; tatsächlich sprechen die Mitarbeitervertreter bei der Vergabe mit, und berücksichtigt werden unter anderem das Einkommen sowie soziale Aspekte. Im Ergebnis entspricht die Verteilung weitgehend dem Einkommensgefüge in der Kirchenzentrale.
Richtig aber ist: Das Angebot ist bislang nicht nur frappierend günstig, es ist auch einem relativ kleinen Personenkreis vorbehalten. Zwar können sich alle 450 Mitarbeiter der ELKB-Zentrale im Raum München bewerben, aber nur ein gutes Drittel von ihnen lebt derzeit tatsächlich in einer Dienst-Mietwohnung, die anderen zahlen großteils Marktpreise. Überhaupt steht bislang nur ein sogenannter Pool von 200 Wohnungen zur Verfügung, alle im Raum München. Wer anderswo arbeitet - bayernweit zählt die Kirchenzentrale mehr als 1000 Beschäftigte - ist ganz außen vor. Rechnungsprüfer der Kirche monieren das seit Jahren. Jetzt wird reformiert.
Jeder Mitarbeiter in Bayern soll künftig eine Dienst-Mietwohnung beantragen können, sagt die Kirche. Und statt des bisherigen Pools sollen dafür grundsätzlich alle vom Evangelischen Siedlungswerk verwalteten Mietwohnungen in Frage kommen, das sind mehr als 5000 in Bayern. Entsprechend mehr Geld stellt die Kirche freilich nicht bereit. Vielmehr gibt sie den einen, nimmt aber den anderen.
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Das heißt: Alle Mieter sollen künftig den jeweiligen mittleren ortsüblichen Mietzins entrichten. Das seien immer noch drei bis vier Euro pro Quadratmeter weniger als auf dem Markt, rechtfertigt sich die ELKB. Bei neuen Verträgen gilt das bereits, bei bestehenden soll die Miete alle drei Jahre um 15 Prozent steigen, bis die endgültige Höhe erreicht ist. Bei einem Quadratmeterpreis von 4,04 Euro dauert es etwa zwei Jahrzehnte, bis die Miete angepasst ist, aber mehr lässt das Gesetz nicht zu. Je höher die Mieten steigen, desto mehr will die Kirche dann auszahlen, insgesamt eben 1,4 Millionen Euro. Wie diese Zuschüsse genau verteilt werden, wird noch ausgehandelt.
Diese Erklärung aber wird nicht von allen akzeptiert. Die Rede von Gerechtigkeit sei vorgeschoben, heißt es - schließlich gebe es gar nicht so viele Interessenten. Immer wieder stünden Wohnungen längere Zeit leer, und mangels interner Interessenten wohnten in mehreren Pool-Wohnungen offensichtlich externe Mieter, heißt es.
Tatsächlich seien 40 der 200 Wohnungen nicht an aktive, wohnungssuchende Mitarbeiter vermietet worden, bestätigt die Kirche. Aber nur dann, wenn deren Wünsche nicht zum Angebot gepasst hätten. Das Interesse sei durchaus da: Man führe eine Liste mit derzeit 27 Bewerbern. Und die auswärtigen Mitarbeiter hätten sich bislang ja nicht einmal bewerben können.
Mitarbeitervertreter haben eine Klage angestrengt
Das Klima im Landeskirchenamt sei jedenfalls vergiftet, ist von mehreren Seiten zu hören. Und auch die aktuellen Verhandlungen über künftige Zuschüsse bergen Zündstoff. Denn weil Mitarbeiter in ganz Bayern betroffen sind, spricht die Amtsleitung nicht mehr wie bisher mit den Mitarbeitervertretern des Landeskirchenamts, sondern mit der Gesamtmitarbeitervertretung. Die sei eben zuständig, sagt die Kirche.
Sie sei "pflegeleichter", weil sie weniger auf die Lage in München blicke, argwöhnen dagegen die Kritiker. Die Münchner Mitarbeitervertreter strengten daher eine Klage gegen ihre Vorgesetzten an; formal geht es um Geld für ein Rechtsgutachten, letztlich aber darum, wer verhandeln darf. Am 16. Oktober sei ein Schlichtungstermin vor dem Kirchengericht, hieß es zuletzt im Intranet der ELKB.
Bleibt die Frage: Wie kann es sein, dass die Mieten 18 Jahre lang nicht erhöht wurden? Die Kirche antwortet: Man habe in der Vergangenheit wohl einfach die heftigen Diskussionen gescheut.