Ferientouren durch München:Räte, Rache und Revolte

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Schaulustige stehen an der Stelle, an der Kurt Eisner von Graf Anton von Arco-Valley erschossen wurde. (Foto: Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Hoffmann)

Von der Theresienwiese über Mathäser und Feldherrnhalle bis nach Schwabing: Viele Orte in der Münchner Innenstadt erinnern an die wechselvolle Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Ein Fußmarsch durch die deutsche Geschichte.

Von Wolfgang Görl, München

Dies ist, wenn man so will, ein Revolutionsmarsch. Ach nein, sprechen wir lieber von einem historischen Spaziergang zu Schauplätzen, die mit den revolutionären Ereignissen von 1918/19 zu tun haben. Es geht aber auch um Hitlers Putschversuch vom November 1923, der an der Feldherrnhalle ein blutiges Ende nahm. Und es geht um jene Menschen, die sich Hitler, als er an der Macht war, entgegenstellten und ihren Mut mit dem Leben bezahlten. Wer aber gar keine Lust auf Politik hat, kann diesen Spaziergang auch als Bummel durch sehr unterschiedliche Stadtviertel betrachten. Etwa dreieinhalb Stunden sollte man dafür Zeit haben.

Ausgangspunkt ist die Theresienwiese, auf der sich am Nachmittag des 7. Novembers 1918 rund 50 000 Münchner zu Füßen der Bavaria versammelt hatten, um für Frieden zu demonstrieren. Ein Teil der Demonstranten marschierte mit Kurt Eisner, dem Vorsitzenden der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), zu den Münchner Kasernen, wo die Revolutionäre wenig Mühe hatten, die vom Krieg demoralisierten Soldaten für den Umsturz zu gewinnen. In der Folge besetzten die Aufständischen alle wichtigen öffentlichen Gebäude. Am Abend konstituierte sich im Mathäser-Bräu ein Arbeiter- und Soldatenrat.

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(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Viele Orte in der Münchner Innenstadt erinnern an die wechselvolle Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts - etwa die Bavaria vor der Ruhmeshalle.

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(Foto: DPA)

Eisner hatte noch in der Nacht zum 8. November 1918 die Republik ausgerufen und die Herrscher aus dem Hause Wittelsbach für abgesetzt erklärt.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Das Denkmal der Künstlerin Silke Wagner in der Türkenstraße blinkt nur einmal täglich auf: um 21.20 Uhr, dem Zeitpunkt des Attentats von Georg Elser.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Der Georg-Elser-Platz in der Maxvorstadt erinnert an den Hitler-Attentäter.

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(Foto: Catherina Hess)

Das in den Boden eingelassene Weiße-Rose-Denkmal vor der Münchner Universität.

Man muss nicht den ohnehin schwer zu rekonstruierenden Weg der Revolutionäre zu den damaligen Standorten der Kasernen nachvollziehen. Nehmen wir lieber eine Abkürzung. Orientierungspunkt ist zunächst die neugotische Paulskirche, ein Werk des Architekten Georg von Hauberrisser, der auch das Neue Rathaus entworfen hat. Über den St. Pauls-Platz führt der Spaziergang durch die Landwehrstraße stadteinwärts, vorbei an orientalischen Geschäften, Märkten und Imbissläden, in denen der Stadtwanderer einen Döner für den ersten Hunger kaufen kann.

Ein prunkvoller Bierpalast war Hauptquartier der Revolution

An der Schillerstraße biegen wir links ab, dann gleich wieder rechts in die Adolf-Kolping-Straße, von der linker Hand die Zweigstraße abgeht. In dieser, Hausnummer 10, befand sich bis 1997 das Hotel Kronprinz. Es war die erste Münchner Unterkunft des Schriftstellers Oskar Maria Graf, der im September 1911 aus Berg am Starnberger See nach München gekommen war. 30 Mark im Monat zahlte Graf für das Hotelzimmer, er blieb bis zum September. Graf schloss sich 1918 der Revolution an, sein autobiografischer Roman "Wir sind Gefangene" erzählt eindrucksvoll von jener Zeit. Im Rückgebäude des Anwesens befindet sich heute der Verlag Antje Kunstmann.

Von da sind es nur ein paar Schritte bis zum Gründungsort des Revolutionsrats in der Bayerstraße. Doch den Original-Schauplatz gibt es nicht mehr. Der Mathäser, ein prunkvoller Bierpalast, den die Revolutionäre zu ihrem Hauptquartier gemacht hatten, wurde im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört. An seiner Stelle entstand die Mathäser-Bierstadt, ein gewaltiger Gastronomie-Komplex, der 1999 einem Multiplex-Kino weichen musste. Im Parterre der Filmpalast-Rotunde erinnert eine Stele mit dem Foto Eisners an die revolutionären Ereignisse des 7. Novembers 1918.

Über die Neuhauser Straße (in der schönen Bürgersaalkirche widmet sich ein Museum dem Andenken an Pater Rupert Mayer, der gegen die Nazis kämpfte), Ett- und Karmeliterstraße sowie den Promenadeplatz führt der Weg in die Kardinal-Faulhaber-Straße. Gleich an ihrem Anfang ist im Bürgersteig eine Bodenplatte eingelassen, die die Umrisse eines Menschen abbildet. Sie markiert die Stelle, an der Kurt Eisner am 21. Februar 1919 von dem völkisch-nationalistischen Leutnant Anton Graf von Arco auf Valley ermordet wurde.

Wortführer Kurt Eisner ruft die Republik aus - und wird ermordet

Eisner hatte noch in der Nacht zum 8. November 1918 die Republik ausgerufen und die Herrscher aus dem Hause Wittelsbach für abgesetzt erklärt. Daraufhin bildete er eine Koalitionsregierung aus SPD und USPD, der Eisner als erster Ministerpräsident des Freistaats vorstand. Nach der Wahlniederlage im Januar wollte er am 21. Februar im Landtag seinen Rücktritt erklären. Auf dem Weg dorthin trafen ihn die Kugeln Arcos tödlich in den Rücken.

Zum Landtag in der Prannerstraße hätte es Eisner nicht mehr weit gehabt. Von dem historischen Gebäude (Prannerstraße 8) ist heute nichts mehr zu sehen, es wurde im Krieg zerstört. Dort, wo es stand, befindet sich jetzt das "Pranner Plenum", ein Büro- und Geschäftshaus. Im Landtagsgebäude hatte unmittelbar nach Eisners Ermordung ein Mitglied des "Revolutionären Soldatenrats" einen SPD-Abgeordneten erschossen und den bayerischen SPD-Vorsitzenden Erhard Auer schwer verletzt.

Noch am selben Tag übernahm ein revolutionäres Gremium, der "Zentralrat", die Macht. Dieser rief am 7. April 1919 die Räterepublik aus, der vom Landtag gewählte Ministerpräsident Johannes Hoffmann (SPD) zog sich mit seinem Kabinett nach Bamberg zurück. Knapp eine Woche später proklamierten Kommunisten um Eugen Leviné die "Zweite Räterepublik", die eine Diktatur des Proletariats nach sowjetischem Vorbild anstrebte.

Die militärische Lage der Revolutionäre war zu dieser Zeit bereits hoffnungslos, Reichstruppen und Freikorps hatten einen engen Ring um die Stadt gezogen. Am 1. Mai marschierten die "weißen Truppen" in München ein. Die Soldaten machten Jagd auf alle, die sie für Rote hielten. Dem Terror der Sieger fielen vermutlich bis zu 1000 Menschen zum Opfer.

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Über den Maximiliansplatz geht es zur Brienner Straße und weiter zur Feldherrnhalle. Wer will, kann zuvor im Café Luitpold - das Original wurde im Krieg zerstört - eine Pause machen. Es war das Lieblingslokal des Dichters Frank Wedekind und anderer Boheme-Schwabinger.

In der Residenzstraße in Höhe der Feldherrnhalle endete am 9. November 1923 Hitlers Versuch, sich an die Macht zu putschen. Am Vorabend hatte er im Bürgerbräukeller eine Versammlung des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr unter seine Kontrolle gebracht und am folgenden Morgen mit seiner Gefolgschaft einen Demonstrationszug durch die Stadt unternommen. Die Landespolizei stoppte den Marsch an der Feldherrnhalle, es kam zu einem Schusswechsel, bei dem 15 Putschisten, vier Polizisten und ein Passant starben. Hitler, der den Kugeln entgangen war und flüchtete, fand später sehr verständnisvolle Richter.

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Im Innenhof des Landwirtschaftsministeriums (Ludwigstraße 2) ist eine Gedenktafel angebracht, die an mehrere Opfer der Nationalsozialisten in den letzten Kriegstagen erinnert: "In diesem Gebäude, dem ehemaligen Zentralministerium, und im Perlacher Forst wurden auf Befehl der Gauleitung München-Oberbayern am 28. und 29. April 1945 ermordet: Günther Caracciola-Delbrück, Harald Dohrn, Heinrich Gerns, Joseph Mittermeier, Johann Pohlen, Hans Quecke, Maximilian Roth, Karl Rupperti, Johann Scharrer."

Die Männer waren der Racheorgie zum Opfer gefallen, welche die Nazis nach dem gescheiterten Aufstand der "Freiheitsaktion Bayern" veranstaltet haben. Die Freiheitsaktion, deren Kopf der Hauptmann Rupprecht Gerngroß war, hatte Ende April 1945 versucht, die Münchner NS-Machthaber zu stürzen und die Stadt den heranrückenden US-Truppen zu übergeben. Nach einigen Anfangserfolgen ist das Vorhaben gescheitert.

An der Universität erinnert eine Austellung an die Geschwister Scholl

Weiter geht der Spaziergang auf der Ludwigstraße bis zur Ludwig-Maximilians-Universität. Im Lichthof des Hauptgebäudes wurden am 18. Februar 1943 die Studenten Hans und Sophie Scholl vom Hausmeister beim Verteilen von Flugblättern beobachtet und der Gestapo ausgeliefert. Die Geschwister Scholl und die übrigen Mitglieder der "Weißen Rose" hatten von Juni 1942 an auf insgesamt sechs Flugblättern zum Widerstand gegen die Nazis aufgerufen.

Nach ihrer Festnahme wurden Hans und Sophie Scholl sowie ihre Mitstreiter Christoph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell, Hans Leipelt und Professor Kurt Huber in Prozessen, die Recht und Gerechtigkeit Hohn sprachen, zum Tode verurteilt und hingerichtet. In der "Denkstätte Weiße Rose" unterhalb des Uni-Lichthofs informiert eine sehenswerte Dauerausstellung über die Widerstandsgruppe. Vor dem Haupteingang sind auf Keramikplatten reproduzierte Flugblätter und Porträtfotos in den Boden eingelassen, die ebenfalls an die "Weiße Rose" erinnern.

Wer jetzt noch nicht müde ist, kann über den Hintereingang des Uni-Hauptgebäudes in die Amalienpassage gehen, die zur Türkenstraße führt. Ein paar Schritte stadteinwärts befindet sich der Georg-Elser-Platz. Elser hatte am 8. November 1939 versucht, Hitler im Bürgerbräukeller mit einer Bombe zu töten. Weil der Diktator die damalige Versammlung vorzeitig verließ, entging er der Explosion. Eine Installation der Künstlerin Silke Wagner lenkt den Blick auf das gescheiterte Attentat: Täglich um 21.20 Uhr, dem Zeitpunkt der Explosion, leuchten an der Fassade des Schulgebäudes rote Neonröhren auf.

Auch Lenin wohnte kurz in München

Der letzte Teil des historischen Spaziergangs führt über Türken- und Friedrichstraße nach Schwabing in die Franz-Joseph-Straße, wo im Rückgebäude des Anwesens Nummer 13 die Geschwister Scholl wohnten. Eine Gedenktafel erinnert an die Widerstandskämpfer.

Am Ende noch ein Schmankerl für die Freunde der Oktoberrevolution: Lenin residierte von September 1900 an unter dem Decknamen Meyer in der Kaiserstraße 53 (heute 46) und später mit seiner Frau Nadeschda Krupskaja in der Siegfriedstraße 14.

Von der Siegfriedstraße ist es ein Katzensprung zum Erich-Mühsam-Platz, der an den wunderbaren Dichter, Bohemien und Revolutionär erinnert, den die Nazis ermordet haben. Von ihm stammen die an die Sozialdemokratie gerichteten Zeilen: "War einmal ein Revoluzzer, / im Zivilstand Lampenputzer / ging im Revoluzzerschritt / mit den Revoluzzern mit". . .

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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