Zwischen Welten:Verpasste Chancen

Lesezeit: 2 min

Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere Kolumnistin wundert sich, warum es für Ukrainer in Bayern trotz Lehrermangels kaum eine Möglichkeit gibt, pädagogische Zeugnisse anerkennen zu lassen.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

Vor ein paar Wochen kam ich in einem Hüpfburg-Park in Pullach mit der Tante eines achtjährigen ukrainischen Jungen ins Gespräch. Dabei erfuhr ich, dass sie auch Fremdsprachen studiert hat und ebenfalls Lehrerin ist. Eine Kollegin, habe ich mich gefreut und war sicher, dass sie jetzt auch an einer Schule hier unterrichtet. Vermutlich wie ich Deutsch und Englisch für die ukrainischen Kinder. Ich lag falsch: Die junge Frau arbeitet seit 16 Monaten als Kellnerin, schließlich muss sie ihren Lebensunterhalt verdienen.

Es tat mir sehr leid, das zu hören, weil sie eine der besten Unis der Ukraine für das Lehrfach Fremdsprachen absolviert hat und wirklich fließend spricht. Sie hat auch einige Jahre nach ihrem Studium bereits in Deutschland gewohnt. Aber als Lehrerin darf sie nicht arbeiten, nicht einmal als Erzieherin wird sie anerkannt.

Obwohl in Bayern Lehrkräfte fehlen, werden ukrainische Zeugnisse nicht anerkannt

Ihres ist nur eines von vielen Beispielen in meiner Umgebung. Ich kenne mehrere Lehrer für Englisch und Deutsch als Fremdsprache, aber auch einige für Mathematik und auch Grundschullehrerinnen. Alle haben dasselbe Problem: Ihre Zeugnisse werden nicht anerkannt, obwohl es in Deutschland und Bayern an Lehrkräften fehlt.

Das trifft auch mich. Zwar habe ich die größte und beste Uni der Ukraine für Fremdsprachen absolviert und sieben Jahre dort unterrichtet, nur zählt das hier fast nichts. Wenigstens darf ich in einer Münchner Schule eine Brückenklasse unterrichten. Meine Entgeltgruppe ist jedoch deutlich niedriger als die von meinen deutschen Kollegen, weil meine Erfahrung nicht anerkannt wird. Auch der Vertrag ist immer nur bis zum Ende einer Brückenklasse befristet. Die Perspektive ist unklar.

Interessant zu erfahren war für mich, dass die Anerkennung von Zeugnissen in Deutschland Ländersache ist. So habe ich von Kolleginnen in Berlin und Sachsen-Anhalt gehört, dass deren Zeugnisse anerkannt worden sind. In Bayern hingegen muss man ein weiteres dreijähriges Studium und ein neuerliches Referendariat absolvieren - unabhängig von der bisherigen pädagogischen Erfahrung. Das ist unrealistisch für die meisten von uns, in der Regel Frauen, die mit ihren Kindern nach Deutschland geflohen sind.

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Viele meiner ukrainischen Kolleginnen werden deshalb im nächsten Schuljahr als Erzieherinnen in einem Hort arbeiten, ohne dafür aber den Lohn einer Erzieherin zu bekommen. Andere überlegen, ob sie den Beruf aufgeben müssen oder in ein anderes Bundesland ziehen, wo sie ihre Zeugnisse anerkennen lassen können. In beiden Fällen sind bayerische Kinder die Verlierer, weil qualifizierte Menschen abwandern.

Ich habe absolut Verständnis dafür, dass man in Deutschland das Niveau des Lehrberufs hoch ansetzt. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Erfahrung der ukrainischen Lehrerinnen und Lehrer nützlich ist. Für mich wäre logisch, Programme zu entwickeln, um flexibel auf die pädagogische Expertise der Lehrkräfte aus der Ukraine wie auch aus anderen Staaten einzugehen. Ich kenne zum Beispiel ein gutes Entfristungsprogramm an der Mittelschule, das auf der Fortbildung für Ausländer mit Unterrichtserfahrung beruht. Ich würde mich freuen, wenn man in Bayern unsere Erfahrung nutzt.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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