Schmuckwoche München:Lebenszeichen tragen

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Der Slowake Peter Machata zeigt auf seinen Medaillons Narben lebensrettender Operationen. (Foto: Peter Machata)

Das Programm der Schmuckwoche in München erstreckt sich über die ganze Stadt. Ein Wegweiser durch die Vielfalt.

Von Ira Mazzoni

Seit Mittwoch dreht sich in München wieder alles um die älteste Kunst der Welt, neu aufgeladen von Kunstschaffenden unserer Zeit: Schmuck! Auslöser des Events ist die von der Handwerkskammer für München und Oberbayern ausgerichtete Sonderschau Schmuck auf der Internationalen Handwerksmesse. Die 1959 von Herbert Hoffmann ins Leben gerufene, kuratierte Ausstellung hat sich zum Nucleus eines stadtweiten Mega-Events entwickelt, das Sammlerinnen, Galeristen, Museumsleute und Kreative aus aller Welt anzieht. Damit Neugierige ihren Pfad von Galerie zu Showroom zu Atelier planen können, gibt es neben dem gedruckten Flyer einen zentralen Info-Point im Ruffinihaus am Rindermarkt, der auch eine frische Web-Präsenz hat ( www.schmuck-infopoint.de).

Highlight jeder Schmuckwoche ist die feierliche Eröffnung einer großen Werkschau in der Rotunde der Pinakothek der Moderne. Die Neue Sammlung bietet diesmal eine Weltpremiere. Sie zeigt die versonnenen, versponnenen, sorgsam konstruierten, Wunderkammer-tauglichen Tragobjekte des Norwegers Sigurd Bronger (Besprechung folgt).

Identität und Vergänglichkeit

Autorenschmuck ist so dicht am Leben wie keine andere Sparte der bildenden Künste. Am Körper in die Öffentlichkeit getragen, fokussieren die kleinformatigen Objekte existenzielle Fragen, die so alt sind wie die Menschheit: Herkommen, Identität und Zugehörigkeit, Liebe und Freundschaft, Erinnerung und Vergänglichkeit.

Norman Weber, der diesjährige Kurator der Sonderschau, hat aus 630 Bewerbungen, die aus rund 50 Ländern eingingen, 61 Stücke ausgewählt. Es sind diesmal wieder auffallend viele Broschen dabei. Vielleicht weil Weber selbst bevorzugt Broschen fertigt. Im vergangenen Jahr erhielt er für seine am Computer generierten und vom 3-D-Drucker geformten, handwerklich überarbeiteten Kunststoffbroschen, die vage an facettierte Juwelen erinnern, den renommierten Friedrich-Becker-Preis.

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Broschen sind für Weber weitgehend autonome Kunstwerke. Der künstlerische Leiter der Staatlichen Berufsschule für Glas und Schmuck Kaufbeuren-Neugablonz wählte Stücke aus, die er selbst einmal real sehen wollte. Vor allem aber entschied er sich für Kunstschaffende unterschiedlichster Kulturkreise und Generationen, die in den vergangenen Jahren nicht vertreten waren.

Mit kindlicher Entdeckerfreude hat der Spanier Juan José Ibáñez Piqueras alte Draht-Brillengestelle so umgebogen, dass sie an einer Schnur hängend etwas Insektenhaftes bekommen. Erinnerungen an die Kindheit, Eltern und Großeltern fängt die Estin Etli Tiitsar ein, indem sie Stoffe aus der Familienwaldhütte in mäandernden Schnüren zu holzgefassten Inselformationen legt.

Wer die Bilder von den Frauendemonstrationen in Iran im Kopf hat, wird von der Brosche der Teheraner Goldschmiedin Azin Soltani tief berührt: Nach Außen zeigen ihre Broschen einen für iranische Häuser typischen Ziegelverbund und auf der dem Körper zugewandten, verborgenen Seite knospende Blütenornamente auf Gipsgrund.

Tee prägt das Selbstverständnis Chinas und gehört seit 1500 Jahren zu den Exportgütern des Landes. Zu Täfelchen gepresst, galt die Kostbarkeit zeitweilig sogar als Zahlungsmittel. Zhipeng Wangs Silberbroschen tragen eine Oberfläche aus gepresstem Tee, die wirkt wie ein marmorierter Stein. Die Äderungen aber verweisen auf Wege, die der Absolvent der Münchner Akademie bei seiner Annäherung an Europa zurücklegte.

Wunden und tiefe Verletzungen werden für gewöhnlich versteckt und überschminkt. Aber sie prägen unser Leben. Der Slowake Peter Machata zeigt auf seinen Medaillons Narben lebensrettender Operationen.

Im Mittelpunkt der Sonderschau steht diesmal das Werk von Georg Dobler. (Foto: Georg Dobler)

Um das Bild vom Ich geht es auch bei den jüngsten Arbeiten von Takayoshi Terajima. Seine Broschen blitzen, als seien sie mit Strass besetzt. Wie bei einem Vexierbild erscheinen in der Schrägansicht Gesichter, mal Pop-Star, mal Kung-Fu-Fighter, mal Manga-Figur, mal Alien, meist männlich, manchmal mit weiblichen Zügen. Diese meisterlich in Metall gravierten Medaillons basieren auf einem Experiment des Künstlers mit bildgebender KI. Tag für Tag gab der in München lebende Japaner seine für die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland nötigen Daten in das Programm ein. Tag für Tag erhielt er ein neues Bild, das angeblich er sein sollte. Lauter Klischees - nicht frei von Rassismus. Aber wie ist unser Blick auf Fremde?

Es gehört zu den Traditionen der Sonderschau Schmuck, dass am Samstagnachmittag eine der ausgestellten Werkgruppen von der Gesellschaft der Handwerksmessen mit dem Herbert-Hoffmann-Preis ausgezeichnet wird. Idee, handwerkliche Perfektion, Tragbarkeit und Schmuckwirkung werden dabei von einer hochkarätig besetzten Jury bewertet.

Zur Tradition der Sonderschau gehört auch, einen "Klassiker der Moderne" zu würdigen. Dieses Jahr steht das Werk von Georg Dobler im Mittelpunkt, der als Professor an der Hildesheimer Hochschule für angewandte Kunst und Wissenschaft viel für die ästhetische Bildung des Nachwuchses getan hat. Sein Leitthema sind Illusionen, ausgedrückt in filigranen, teils dreidimensionalen Drahtbroschen, wuchtigem Kristallschmuck oder kosmischen Bildcollagen.

Sonderschau "Schmuck 2024" auf der Handwerksmesse, Messe München, Halle B1, bis Sonntag, 3. März, 9.30-18 Uhr

Schmuck im Wandel der Geschichte

In der Ausstellung "Auf ganzer Linie" ist auch John Parks Halsschmuck aus selbstgedrillter Schnur aus gebrauchter Kleidung zu sehen. (Foto: Eva Jünger)

Zurück zu den Anfängen allen Schmucks vor 75000 Jahren führt die instruktive Ausstellung "Auf ganzer Linie" in der Galerie Handwerk. Von der ersten gedrillten Schnur, auf der kleinste Schneckengehäuse wie Perlen gereiht wurden, über Kordeln, in die First Nation-Künstler wie Lisa Waup und John Parks Erinnerungen an ihre von den Kolonisatoren weitgehend vernichtete Kultur einbinden, bis hin zu den raumgreifenden Drahtlinien der Nelly van Oost wird der Bogen der Geschichte gespannt.

Alle, die die sinnlich beglückende Ausstellung besuchen, erhalten ein Armbändchen aus einer noch steinzeitlich gefertigten Schnur, die für die Kultur der Eipo in Neuguinea bis heute von der Wiege bis zum Tod existenziell ist. In den feinen Netzen, die aus dieser auf dem Oberschenkel gedrillten Schnur gefertigt werden, tragen Mütter ihre Kinder, die Ernte, und am Ende werden die Toten darin bestattet. Schnüre und lineare Gebilde verbinden Menschen seit Jahrtausenden und erzählen eindringliche, manchmal schier endlos scheinende, verwickelte Geschichten.

Schmuck auf ganzer Linie, Galerie Handwerk , Max-Joseph-Straße 4, Samstag 10-15 Uhr, bis 13. April Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, Samstag bis 13 Uhr. galerie@hwk-muenchen.de

Gedankenvolle Leichtgewichte

Sinnbilder des fragilen Lebens: die Arbeiten von Bettina Dittlmann. (Foto: Michael Jank)

Ungewöhnliches und Raumgreifendes hat diesmal auch die Galerie des Kunstgewerbevereins zu bieten. Die für ihre filigranen, emaillierten Drahtbroschen und zunderübersäten Magnet-Objekte vielfach ausgezeichnete Schmuckkünstlerin Bettina Dittlmann hat seit vergangenem Sommer Tag für Tag ein Gefäß aus papierdünnem Kupfer und Feinsilber geschmiedet.

Inspiriert von verbeulten Eimern und Schüsseln, die sich nahe aufgegebener Hofstellen im niederbayerischen Wald finden, hat die Künstlerin faltige, runzlige, wellige Schalen "aufgezogen" - faszinierend in der Vielfalt des Ähnlichen, in der changierenden Tiefgründigkeit des geschmiedeten Kupfers und dem fließenden Farbspiel glühend roten Emailles. In chronologischer Folge auf einem schwarzen Podest präsentiert, das den Galerieraum durchschneidet, scheinen die rund 200 Gefäße nicht nur gefüllt mit vergangener und durchlebter Zeit. Die gedankenvollen Hüllen sind zugleich Sinnbilder fragilen Lebens. Am Sonntagmittag bietet der Kunstgewerbeverein ein Gespräch mit der Künstlerin an.

Bettina Dittlmann: Nicht nichts - aber viel. Galerie des Bayerischen Kunstvereins, bis 6. April, Pacellistraße 6-8, www.bayerischer-kunstgewerbeverein.de

Ernste Spiele

Broschen, die gucken können: Hier Otto Künzlis "Die Professionellen VI" von 2020. (Foto: Otto Künzli, VG Bild-Kunst, Bonn 2024)

Anknüpfend an ältere Werkzyklen, die sich mit Augen beschäftigten, sehenden wie blinden, präsentiert Otto Künzli mit gewohnter Souveränität seine jüngsten Werke unter dem Titel "Die Professionellen". Es ist seine zehnte Ausstellung in der auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Galerie Wittenbrink. Mit leisem Humor hat der weltbekannte Schmuckkünstler aus den Samtpolstern, auf denen Juweliere üblicherweise Diamantringe und andere Preziosen präsentieren, Broschen mit gesichtsähnlichen Zügen geschaffen: hier ein Paar alter Stabbroschen als Augenbrauen, dort eine getrocknete Banane als Nase, oder ein Stück Turmalin wie ein Zigarettenstummel in die mundähnliche Öffnung gesteckt. In einem weißen Schubladenturm befinden sich, auf weißem Japanpapier ausgebreitet, in dünnste Büffelknochen-Scheiben haarfein gesägte, gespenstische Gesichter. Vergänglichkeit ist auch hier durchscheinendes Motiv. Davon kann auch ein perfekt geometrisch konstruierter, goldener Blitz nicht ablenken.

Otto Künzli: Die Professionellen, Galerie Wittenbrink, Türkenstraße 16, bis 9. März, www.galerie-wittenbrink.de

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