Schauspieler Thomas Holtzmann ist tot:Ewig jung

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Thomas Holtzmann ist im Alter von 85 Jahren gestorben. (Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Tasso, Prinz von Homburg, Ödipus, Agamemnon: Thomas Holtzmann interpretierte die großen Rollen der klassischen Dramenliteratur. Jetzt ist der Schauspieler im Alter von 85 Jahren gestorben.

Von Egbert Tholl

Sein letzter Premieren-Auftritt dauerte nur wenige Minuten. Und doch sind diese unvergessen, in ihrer Größe, in ihrer Souveränität, in ihrer Selbstironie. Es war im Januar 2005, am Münchner Residenztheater hatte ein neues Stück von Botho Strauß, "Die eine und die andere", Premiere, es inszenierte der Hausherr, Dieter Dorn.

Ein Stück für zwei ältere Damen, die sich gegenseitig ihre Lebensabrechnungen um die Ohren hauen. Ein gut abgezirkelter Strauß, geistreich, witzig, aber eben auch konstruiert, wenn auch mit Schläue. Bis kurz vor Schluss der Sohn einer der beiden Damen seinen Vater in einer Billard-Kneipe aufspürt.

Dem Vater ist die Situation sichtlich ungenehm, er hat gerade ein junge Frau im Arm, windet sich mit seinem ganzen langen Körper um sie herum, ist ein Verführer, ein Galan, aber einer, der genau weiß, was Frauen wollen. Der genau so viel von sich offenbart, wie nötig ist, die Damen zu becircen. Den großen Rest macht das Wissen des Alters, die Juvenilität der wissenden Erfahrung.

Sehr sexy, lässig ist dieser Vater, auch weil er sich selbst überhaupt nicht ernst nimmt, weil er weiß, wie lächerlich ein Greis wirkt, der eine 20-jährige im Arm hat. Oder besser: Wie lächerlich das wirken könnte, spielte diesen Vater nicht Thomas Holtzmann.

Der kleine Cameo-Auftritt war Holtzmanns letzte Premiere im großen Dorn-Theater. Beschwor man über Jahrzehnte hinweg die Einmaligkeit des Dorn-Ensembles, dann meinte man immer auch ihn, Thomas Holtzmann. 1977 war er endgültig zurück in seine Geburtsstadt München gekommen, an die Kammerspiele. 2001 folgte er Dorn ans Bayerische Staatsschauspiel. Holtzmann ist treu. Auch privat. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag verlor seine Frau Gustl Halenke, selbst eine Schauspielerin, den Mann, mit dem sie seit 1956 verheiratet war. Thomas Holtzmann ist tot.

Dämon der Bühne

Ist es ein Knarzen? Nein, knarzende Schauspielerstimmen gibt es viele, das Wort würde ihn mithin einreihen zwischen andere. Es ist ein Gurren und Schnarren, ein Poltern und Säuseln, Worte fallen wie Kieselsteine eine Steintreppe hinab oder schweben irgendwo über dem Grund, licht und zart, kaum endend. Der Klang seiner Stimme wird immer in Erinnerung bleiben. Eine Stimme, die nie alt wurde, die man sich aber auch nie wirklich jung vorstellen vermochte. Doch sie muss es gewesen sein, damals vielleicht, 1961, als er den Hamlet spielte. Am Residenztheater in München übrigens, unter Kurt Meisel. Holtzmann schrie. "Ich war kein zaudernder, sondern ein wütender Hamlet", sagte er viele, viele Jahre später. Und: "Es sind mir viele wütende Hamlets gefolgt. So falsch kann ich also gar nicht gelegen haben."

Tasso, Prinz von Homburg, Ödipus, Wetter von Strahl, Major von Tellheim, Orest, Prospero, Agamemnon. Thomas Holtzmann interpretierte die großen Rollen der klassischen Dramenliteratur, in Berlin und vor allem in München. Der Kritiker Friedrich Luft nannte ihn einmal einen "Spezialisten in gefasster Bühnendämonie".

Wenn man dann noch Holtzmanns Auftritt in Thomas Bernhards "Der Schein trügt" dazunimmt, worin er voller wüster Leidenschaft durch Sätze rumpeln durfte, die lauteten: "Wie nachlässig heute Theater gespielt wird" oder: "Das Theater - eine Schandgrube." - wenn man das also alles zusammennimmt, dann könnte man schnell, viel zu schnell auf die Idee kommen, Holtzmann sei ein Lordsigelbewahrer einer rein hehren Kunst gewesen. Aber das stimmt nicht. Holtzmanns Kunst war ewig jung. Modernes Theater? "Was heißt modern? Es gibt nur gut oder schlecht. Wenn es schlecht ist, ist es überall die gleiche Scheiße; ist es gut, ist es überall gut."

Holtzmann war jung, nicht nur, weil er Achternbusch, Theresia Walser und immer wieder Beckett spielte. Sondern vor allem, weil er eine lauernde, menschliche Neugierde besaß, nie lau war, immer vollkommen präsent. Dazu muste er gar nicht viel tun. Scheinbar. Aber er tat viel, kleine Dinge mit seinem rohbehauenem Gesicht, große mit Worten, mit Farben, Klängen. Holtzmanns Behandlung von Sprache war noch in den Pausen eine Sensation - zuletzt konnte man dies vor allem in Lesungen erleben. Am 27. Februar 2010 las er zusammen mit seiner Frau aus den Tagebüchern von Sofja und Leo Tolstoi, im Münchner Cuvilléstheater - sein letzter Auftritt.

Holtzmann wurde am 31. März 1927 (andere Quellen sagen: 1. April) in München geboren, studierte bei Arthur Kutscher Theaterwissenschaft und Literatur, debütierte 1949 als Jason in Anouilhs "Medea" im Münchner Ateliertheater. Es folgten die unsteten Jahre eines jungen Schauspielers, bis er 1961 am Berliner Schillertheater den Prinz von Homburg spielte. Und dann kam Kortner. "Mich hat Kortner gerettet. Er war der Abgott der jungen Regisseure. Und vor allem bin ich durch ihn herausgekommen aus dieser antiquierten Art, Theater zu spielen." Das sagte Holtzmann im Jahr 2000 Benjamin Henrichs, der ihn für die Süddeutsche besuchte.

Er war Kortners Antonius in Berlin, er war Kortners Clavigo in Hamburg. Holtzmanns Radius verengte sich. Bald sollten neben München, neben Dorn, nur noch gelegentliche Ausflüge bleiben, nach Salzburg, nach Wien, Berlin. Und zum Film: 1963 hatte er in Orson Welles' Verfilmung von Kafkas "Prozess" einen Studenten gespielt, dreißig Jahre später tauchte er in Helmut Dietls "Schtonk" auf. Er drängte nicht zum Film. Seine Welt war die Bühne, auch wenn er am Ende seiner Karriere meinte: "Wer heute ein Star werden will, der muss ein Fernsehstar sein."

Giftig, wohlig, nervös, hart

Es konnte ihm egal sein. Er hatte die Kammerspiele, er hatte seinen wunderbaren Bühnenpartner Rolf Boysen. Zum letzten Mal ein Paar waren die beiden in Dorns Inszenierung des "Kaufmanns von Venedig", das war dann schon am Bayerischen Staatsschauspiel, im Residenztheater, 2001, gerade nachdem das Dorn-Theater dort eingezogen war.

Boysen spielte Shylock, Holtzmann Antonio, giftig und wohlig, nervös, hart und freudig. Es war wie an den Kammerspielen, wie zu jener Zeit, über die Holtzmann sagte: "In diesem Theater gab es keine Krise. Immer war das Haus ausverkauft. Immer hat das Publikum seine Schauspieler geliebt." Im Stück sagt Antonio, er nehme die Welt nur als Bühne wahr, wo jeder seinen Part spielen muss. Dafür war Holtzmann zu klug, zu absolut unzynisch. Die Bühne war die Bühne, die Welt die Welt. Punktum. Sein Lieblingsort war Bora Bora. Kein Theater.

© SZ vom 05.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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