Roman "Chamäleondamen":Banater Berglanddeutschenpansch

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Vier Frauen aus vier Generationen rückt Yvonne Hergane in ihrem Debüt "Die Chamäleondamen" in den Fokus der rumänisch-deutschen Geschichte. Eva Wünsch (Collage), Yvonne Hergane/Maro Verlag (Fotos) (Foto: N/A)

Freude am Sprachspielen: Yvonne Herganes Debüt "Chamäleondamen".

Von Bernhard Blöchl

"Erinnerungen sind wie Taschentücher in der Schachtel, kaum hat man eine am herauslugenden Zipfel gepackt und ans Licht gehoben, zieht sie schon die nächste hinter sich her, und die nächste, die nächste, ad infinitum oder eben bis die Schachtel, die sich Leben nennt, leer ist." Nach dem Prinzip dieses hinreißenden Satzes funktioniert der ebenso hinreißende Debütroman von Yvonne Hergane, die bis dato als Übersetzerin und Kinderbuchautorin aufgefallen war. Ihr Buch "Die Chamäleondamen" verschachtelt die Lebenswege von vier Frauen aus vier Generationen: Edith, Marita, Ellie und Hanne. Viele Erinnerungen hat Hergane da hineingepackt; ihre eigenen Wurzeln liegen wie die der Protagonistinnen in Reschitza im Banater Gebirge Rumäniens. Der Lebensweg der 1968 geborenen Autorin, der sie nach Bayern und an die Nordsee führte, färbt die Figur der Hanne, "die Andersrumige", die gemeinsam mit ihrer Mutter ihrem Vater nach Deutschland folgt und dort mit Vorurteilen zu kämpfen hat ("Rumänen hausten in Erdlöchern").

Die Familiengeschichte kreist um die Themen Kindheit, Männer und Ehe, Väter und Mütter, Flucht und Neuanfang sowie die Anpassungsfähigkeit der Chamäleondamen in unterschiedlichen politischen Systemen und Beziehungen. Über mehr als 120 Jahre spannt sich der Erzählbogen, auf nur 238 Seiten! Infolge der radikalen Verdichtung haben die 48 Miniaturen oft nur wenige Seiten, dann der Sprung ins nächste Jahrzehnt. Nach vorn, zurück, kreuz und quer. Das hat Tempo, das hat Sog. Schlüsselmomente statt Geschwafel. Yvonne Hergane erweist sich als Meisterin der schönen Sätze, der ersten Sätze im Besonderen: "Wie langweilig, denkt Edith in ihrer Hochzeitsnacht. So was stellt man sich doch ganz anders vor." Die Autorin liebt Wortschöpfungen (von bloßfußeln über stehlöffeln bis haderlumpig), ebenso den sprachlichen Mischmasch ("Banater Berglanddeutschenpansch mit österreichischem Mehlspeisboden und rumänischen Kirschen obendrauf"). Der Preis für das Erzählexperiment ist die anfängliche Schwierigkeit, die Figuren zu durchdringen. Man muss sie sich erst lesend ausmalen. Das Sprunghafte muss man mögen. Aber wie heißt es an einer Stelle so schön: "Am End ruckelt sich alles wieder zurecht."

Yvonne Hergane: Die Chamäleondamen , Maro-Verlag 2020, 240 Seiten, 20 Euro

© SZ vom 20.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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