Rathaus:Das Millionenloch im Sozialreferat

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Sozialreferentin Dorothee Schiwy im Sozialreferat am Orleansplatz. (Foto: Florian Peljak)
  • Die Stadt hatte zwischen 2012 und 2015 etwa 8500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht und betreut, ohne sich ausreichend um die Erstattung der Kosten zu kümmern.
  • Ursprünglich drohten der Stadt 240 Millionen Euro Einnahmen zu entgehen. Nach Angaben von Sozialreferentin Dorothee Schiwy sind inzwischen 148 Millionen Euro bezahlt.

Von Sven Loerzer, München

Für die einstige SPD-Hoffnungsträgerin Brigitte Meier brachten eklatante Versäumnisse im Jugendamt das abrupte Ende ihrer kommunalpolitischen Karriere als Sozialreferentin. Doch erst jetzt, ein halbes Jahr nach ihrem Ausscheiden, wird das ganze Ausmaß der Schlamperei im Jugendamt deutlich: Der Stadt drohten 240 Millionen Euro Einnahmen zu entgehen.

Denn die Stadt hatte von 2012 bis zum 31.10.2015 rund 8500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht und betreut, ohne sich ausreichend um die Erstattung der Kosten durch die insgesamt 23 zuständigen Träger zu kümmern. Trotz größter Kraftanstrengungen seit Ende letzten Jahres und bis zu 50 eingesetzten Mitarbeitern sind nach Angaben von Meiers Nachfolgerin Dorothee Schiwy bisher erst 148 Millionen Euro bezahlt. Kurz vor ihrem Verzicht auf die erneute Kandidatur zur Sozialreferentin hatte Brigitte Meier erklärt: "Wir wollen bis Mitte des Jahres das Geld zurückholen."

Das ist trotz größter Kraftanstrengungen nicht gelungen. Deshalb musste sich der Kinder- und Jugendhilfeausschuss des Stadtrats am Donnerstag mit einer Beschlussvorlage beschäftigen, die den Stadträten erst am Vorabend der Sitzung zugestellt worden war. Denn ein Teil der Ansprüche - die Vorlage nennt mit Stand vom 30. November fast 46 Millionen Euro - droht Ende des Jahres zu verjähren. Ende September, so berichtete Schiwy nun, hatte das Stadtjugendamt die überörtlichen Kostenträger - zumeist Landesjugendämter - gebeten, darauf zu verzichten, eine Verjährung geltend zu machen.

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In rund 4000 Fällen seien bis Ende November die Verzichtserklärungen eingegangen. Ohne Rückmeldung blieben 1525 Fälle. Um bei diesen nicht Verjährung zu riskieren, holte sich Schiwy nun die Ermächtigung des Stadtrats, Klage zu erheben, womit die Frist unterbrochen wird. Allerdings wird die Stadt nun wohl doch nicht bis Jahresende mehr als 1500 Klagen einreichen müssen: Mit Stand zum Sitzungstag fehlten nach Schiwys Angaben nur noch für Forderungen in Höhe von 15 Millionen Euro Erklärungen über den Verzicht auf Verjährung.

Wie viele Klagen es letztlich werden, blieb offen. Bei 1500 Klagen hätte die Stadt auch noch einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von zwei Millionen Euro bezahlen müssen. Bei immerhin 63 dieser Klagen geht es um Forderungen von jeweils mehr als 100 000 Euro. Schätzungen zufolge dürften noch etwa 500 Klagen zu erheben sein. Sie müssen jeweils bei dem Verwaltungsgericht eingereicht werden, in dessen Bezirk der zuständige Kostenträger seinen Sitz hat. Für den Fall, dass es dabei zu inhaltlichen Streitigkeiten kommt, holte sich Schiwy das Einverständnis des Ausschusses, dass sie dann eine Fachanwaltskanzlei mit der gerichtlichen Vertretung beauftragen darf, wofür sie die Kosten mit bis zu 150 000 Euro angesetzt hatte.

Obwohl sich erstmals das ganze Ausmaß des der Stadt drohenden Einnahmeausfalls abgezeichnet hat, blieben die Stadträte gelassen. Dabei hätten sich viele Fragen aufgedrängt: Wie konnte ein so hoher Einnahmeausfall lange unbemerkt bleiben? Müsste es nicht etwa auch der Kämmerei aufgefallen sein, dass die Kosten explodieren ohne ausreichende Deckung auf der anderen Seite? Gibt es inzwischen ein Einnahmencontrolling?

Wer wusste wann von dem sich anbahnenden Desaster? Jugendamtschefin Maria Kurz-Adam ist seit Ende 2014 krank, ihr Chefsessel seitdem verwaist. Brigitte Meier sprach von einer dramatischen Belastungssituation im Jahr 2015, da das Jugendamt bis Ende Oktober 2015 alle in seinem Einzugsbereich aufgegriffenen unbegleiteten Minderjährigen in Obhut nehmen musste. Erst seit 1. November 2015 gibt es eine bundesweite Verteilung, was die zuvor aufwendige Ermittlung des zuständigen Kostenträgers und die Abrechnung erleichtert.

Der Kinder- und Jugendhilfeausschuss billigte einstimmig den knapp gefassten Antrag der Sozialreferentin auf Klageerhebung, jetzt muss noch die Vollversammlung zustimmen. Über die Versäumnisse im Referat während der Amtszeit der Vorgängerin wollte keiner mehr reden, nicht einmal die Grünen als Opposition im Rathaus. Jutta Koller bezeichnete Schiwys Ausführungen als schlüssig und der sozialpolitische Sprecher der CSU, Marian Offman erklärte: "Wir können erleichtert sein." Da musste die SPD gar nichts mehr sagen.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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