Ausstellung im Amerikahaus:Kaum auszuhalten

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Ein Stoßseufzer gen Himmel: "Madre" heißt diese Arbeit von Claudia Barbera, die in der Ausstellung "Putas Vírgenes" zu sehen ist. (Foto: Claudia Barbera)

Die chilenische Künstlerin Claudia Barbera klagt mit ihrer Ausstellung "Putas Vírgenes" im Amerikahaus die Unterdrückung der Frau durch Kirche und Gesellschaft an.

Von Anna Nowaczyk

Notfalls eben ohne Rom. Nachdem ein Kardinal der päpstlichen Kommission vor wenigen Wochen erneut betonte, auch in Zukunft weder Frauen noch Laien zur Predigt oder zum Taufakt zuzulassen, ist der Frust groß in der katholischen Fraueninitiative "Maria 2.0" - zu dringend das Bedürfnis nach Reformen, zu schleppend die Schritte Richtung institutioneller Gleichberechtigung. Maria, Muttergottes und prägende Leitfigur vieler katholischer Frauen, soll in der aktualisierten 2.0-Version nicht länger bloß dienen und schweigen.

Im Amerikahaus ist sie aktuell aber noch in unreformierter Gestalt zu sehen. Gedruckt, getuscht und gemalt zeigen die Bilder dort eine Maria, die andächtig gen Himmel schaut, in ihren Armen das Jesuskind hält oder ihre Hände zum stillen Gebet öffnet. "Putas Vírgenes" ("jungfräuliche Huren") heißt die Ausstellung der chilenischen Künstlerin Claudia Barbera. Die fein gestickten Wörter auf den heilig anmutenden Drucken sind erst auf den zweiten Blick erkennbar: "Als ich 14 Jahre alt war, bot mir ein älterer Mann aus der Kirche an, mich nach Hause zu bringen. Er sagte, dass wir zuerst zum Mond gehen würden, führte mich zu einem Hügel und berührte mich."

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Das Zitat, das mit dem Altarbild Marias zum Gesamtwerk "La Luna" verschmolzen ist, stammt aus einem der vielen Erfahrungsberichte, die Barbera künstlerisch verarbeitet hat. Dabei haben die Geschichten eher sie gefunden als umgekehrt: Vor fünf Jahren arbeitete sie an einer Stickerei zu Simone de Beauvoir, als fremde Menschen begannen, sie darauf anzusprechen. "Indem sie mich fragten, worum es ging, und indem ich ihnen einige Erfahrungen von Frauen vorlas, fingen sie an, mir von ihren eigenen Erfahrungen zu erzählen."

Aufgeschrieben oder gestickt stehen sie in schmerzhaftem Kontrast zu ihrem Untergrund: Lobpreisend inszenierte Jungfräulichkeit einer Mutter Gottes trägt die Erzählungen von Missbrauch, Vergewaltigungen, Hass und Unterdrückung. Barbera erzählt damit auch die Geschichte der biblischen Maria neu, fordert das christliche Leitbild ihrer Jungfräulichkeit heraus: Das Ziel sei, "ihr eine Stimme zu geben, sie eine Hure sein zu lassen und sie dank der Geschichten so vieler Frauen aus der kirchlichen Unterdrückung herauszuholen".

Die Künstlerin erlebte ihre Jugend unter der Militärdiktatur Pinochets

Zu diesen Frauen gehört auch die Künstlerin selbst. Katholisch erzogen, stand die heilige Maria für Barbera lange Zeit für Unterwerfung und Schuld. Ihre Jugend erlebte sie unter der Militärdiktatur Augusto Pinochets, der der chilenischen Gesellschaft einen strengen Katholizismus auferlegte. "Während meiner Jugend habe ich gegen diese Überzeugungen rebelliert und versucht, das Gegenteil zu sein." Indem sich Barbera aber von der Kirche abwandte, entfernte sie sich auch von weiten Teilen ihrer Familie.

Heute ist Chile eine präsidentielle Republik, die Zeiten der Diktatur sind vorbei. Trotzdem wirke sie noch bis heute nach, sagt Barbera. Die staatsreligiösen Zwänge haben "Narben bei Generationen von Frauen" hinterlassen. Trotz oder gerade dadurch scheint aber auch eine kollektive Kraft entstanden zu sein: Vor fünf Jahren strich die chilenische Regierung nach Protesten das absolute Abtreibungsverbot, seitdem kämpfen feministische Verbände für mehr weibliche Selbstbestimmung und Rechte - Kämpfe, die auch dem deutschen Feminismus nicht ganz fremd sind. Gynäkologen dürfen seit Kurzem zwar Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anbieten, der Eingriff als solcher aber bleibt rechtswidrig und ist nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Welche Vorstellungen von Weiblichkeit beeinflussen die deutsche Rechtsordnung und wie ähnlich sind sie den tradierten chilenischen Rollenbildern?

"Wir haben bei unseren Ausstellungen auch immer die europäische Gesellschaft im Blick", sagt der Co-Ausstellungskurator Markus Faltermeier. Das Amerikahaus sei grundsätzlich darum bemüht, amerikanische Themen zu finden, die auch die deutsche Gesellschaft beschäftigen. Als der Verein "frau-kunst-politik" ihm vor einiger Zeit eine Zusammenarbeit mit der Künstlerin Barbera vorschlug, sagte Faltermeier deshalb gern zu.

Auf einem Marienbild finden sich die gestickten Worte "Eine Christin hält aus". Es ist die Antwort, die eine von Barberas Protagonistinnen zu hören bekam, als sie einer Freundin von dem sexuellen Missbrauch erzählte. Jedes Bild provoziert auf seine eigene Weise das Bedürfnis nach neuen Darstellungen der Muttergottes - einer Maria 2.0, die nicht mehr aushalten muss, sondern sich verhalten darf, die selbstbestimmt auftritt und trotzdem Christin bleibt.

Claudia Barbera: "Putas Vírgenes", Amerikahaus , Karolinenplatz 3, bis 20. Mai, www.amerikahaus.de

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