Ausstellung zum Feminismus:Frau sein in einer Männerwelt

Ausstellung zum Feminismus: Philosophin, Schriftstellerin, Feministin: Simone de Beauvoir auf einem Passfoto von 1939.

Philosophin, Schriftstellerin, Feministin: Simone de Beauvoir auf einem Passfoto von 1939.

(Foto: Gallimard /Collection Sylvie le Bon de Beauvoir)

Simone de Beauvoirs "Das andere Geschlecht" ist ein Grundlagenwerk des Feminismus. Eine Ausstellung im Literaturhaus München würdigt das Buch und seine berühmte Verfasserin - und beleuchtet ihre Bedeutung für die Gegenwart.

Von Antje Weber

Ihr Blick ist durchdringend. Ernst, entschlossen und auch ein bisschen kühl schaut Simone de Beauvoir von einem großen Plakat all jene an, die sich im Erdgeschoss des Literaturhauses der Ausstellung zu ihren Ehren nähern - und auch jene, die lieber schnell zu einem Kaffee in der Brasserie abbiegen wollen. Simone de Beauvoir (1908 - 1986) würde es wohl verstehen, schließlich hat die berühmte Schriftstellerin, Philosophin, Feministin, Existentialistin einst selbst den lieben langen Tag in Pariser Kaffeehäusern herumgesessen. Doch würde sie es auch billigen?

Das Thema, das sie in langen Jahren und Werken umtrieb und das in dieser Ausstellung verhandelt wird, ist schließlich immer noch von größter Bedeutung. In ihrem Hauptwerk "Le Deuxième Sexe" ("Das andere Geschlecht") von 1949 setzte sich Simone de Beauvoir in bahnbrechender Weise mit der Situation von Frauen in der Gesellschaft auseinander. In vorher nicht gekannter Radikalität beschrieb sie unsere Welt als "das Produkt der Männer" und prägte den berühmten Satz "On ne naît pas femme, on le devient" - man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Das ist nun allerdings mehr als 70 Jahre her. Wie sind de Beauvoirs Thesen genau zu verstehen - und, noch wichtiger, was bedeuten sie für unsere Gegenwart?

Jede Menge, lässt sich nach einem Rundgang im Literaturhaus feststellen. Dort hat man die von der Bundeskunsthalle Bonn übernommene Ausstellung, die den Fokus auf Biografie und Rezeption setzte (in grauer Farbe rundum an den Wänden), noch um multimedial präsentierte Kommentare zum Hauptwerk ergänzt (in roten Kuben in der Mitte). Das ist gestalterisch klar gelöst - und sogar verspielt um einige Bistrotische und -stühle ergänzt. Dass ein paar davon verfremdend weggedreht oder auf Podeste gestellt sind, wirkt zwar ein wenig albern, insgesamt lässt sich jedoch tatsächlich etwas Kaffeehaus-Leichtigkeit spüren. Dass dazu ein paar Spiegel einladen, uns selbst zu sehen, macht überdeutlich: Hier geht es nicht um Muff von vorgestern, hier geht's ums Hier und Heute.

Von Muff konnte schon damals, in der existentialistischen Pariser Szene der Vierziger- und Fünfzigerjahre um Simone de Beauvoir und ihren Lebensgefährten Jean-Paul Sartre keine Rede sein. Hier trafen sich alle, vom Schriftsteller Albert Camus bis zum Künstler Alberto Giacometti (dessen winzige Skulptur von de Beauvoirs Kopf man im Saal fast übersieht), die Rang, Namen oder zumindest Ideen für die Zeitschrift Les Temps Modernes hatten; die Musik zum vielen Text lieferten die Chansons von Juliette Gréco oder der Jazz eines Miles Davis, wie Fotos und Plattencover zeigen. Hier wurde Simone de Beauvoir immer stärker bewusst: "Diese Welt ist eine Männerwelt, meine Jugend wurde mit Mythen gespeist, die von Männern erfunden worden waren, und ich hatte keineswegs so darauf reagiert, als wenn ich ein Junge gewesen wäre."

Ausstellung zum Feminismus: Unermüdlich schreibend: Simone de Beauvoir 1945.

Unermüdlich schreibend: Simone de Beauvoir 1945.

(Foto: Collection Harlingue/Roger Viollet/Gallimard/Collection Sylvie le Bon de Beauvoir)

Sie reagierte darauf mit einem Mega-Buch. Auf mehr als 900 Seiten setzte sie sich in "Le Deuxième Sexe" mit der Frage auseinander, was eine Frau ausmacht. Sie trennte dabei zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht: Zwar werde man biologisch als Frau geboren, doch welche Entwicklung dann folge, hänge von der Gesellschaft ab und sei veränderbar. Simone de Beauvoir folgerte und forderte: Jede Frau muss sich frei - und mit gleichen Rechten - entfalten dürfen, anstatt in einer männergeprägten Welt "die Rolle des Anderen zu übernehmen" und zum Objekt zu "erstarren".

Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es? Kein Satz wird in der Geschlechterforschung häufiger zitiert, bestätigt die Soziologin Imke Schmincke in einem Video der Ausstellung. Wie das Verhältnis von Körper und Gesellschaft zu definieren ist, darüber wird bis heute teils erbittert diskutiert. Dass de Beauvoirs Thesen schon damals heftige Reaktionen auslösten, machen nicht nur mehr als 20 000 Briefe deutlich, die sie von Leserinnen erhielt. Sie inspirierten sie auch zu einem weiteren Buch, "La Femme Rompue" ("Eine gebrochene Frau"), das in der Ausstellung als Prachtband mit Radierungen ihrer Schwester Hélène zu bewundern ist.

Mit schönen Ausgaben und einer Wand voller Übersetzungen huldigt die Ausstellung aber natürlich vor allem de Beauvoirs Hauptwerk, das in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. ",Das andere Geschlecht' hätte einen Platz neben anderen Grundlagenwerken der Moderne verdient", sagte die britische Autorin Sarah Bakewell einmal, "neben Charles Darwin, neben Karl Marx und neben Sigmund Freud." Vielleicht ist es ja nur noch eine Frage der Zeit. Vielleicht aber bleibt Simone de Beauvoir vielen dafür doch zu radikal.

Denn sie provozierte auch als Aktivistin, wie die Ausstellung deutlich macht. In den Siebzigern war sie führend engagiert in der französischen Frauenbewegung. Sie unterzeichnete 1971 die berühmte öffentliche Erklärung "Ich habe abgetrieben" von 343 Frauen, die im Nouvel Observateur abgedruckt wurde; eine Aktion, die wenig später die mit ihr befreundete Feministin Alice Schwarzer in Deutschland wiederholte: Eines der raren Exemplare der berühmten Stern-Ausgabe vom 6. Juni 1971 ist in der Ausstellung zu sehen, ebenso ein Film von Schwarzer, der de Beauvoir in Nahaufnahme zeigt.

Auch kritische Töne sind zu hören

Dass die Ausstellung es nicht bei solchen biografischen und werkgeschichtlichen Einordnungen belässt, sondern sich auch an das Hauptwerk "Das andere Geschlecht" in einer Nahaufnahme heranwagt, ist ein Verdienst. Für diesen Zusatzteil haben Literaturhaus-Chefin Tanja Graf und Anna Seethaler als Kuratorinnen insbesondere die Journalistin Iris Radisch gewonnen: In mehreren Videos, deren Texte die Besucherinnen dankenswerterweise auch in die Hand bekommen, dröselt sie die Hauptaspekte des Buches auf, ergänzt durch Statements jüngerer Wissenschaftlerinnen und Autorinnen.

In diesen Stimmen, wie etwa der Autorinnen Julia Korbik und Stefanie Lohaus oder der Literaturwissenschaftlerin Anna-Lisa Dieter, klingen bewusst auch kritische Töne an. In vielem sei "Das andere Geschlecht" nicht mehr zeitgemäß, ist da zu hören oder lesen, Themen wie Rassismus oder Homosexualität seien blinde Flecken bei de Beauvoir, ihre Argumentation spätestens seit Judith Butlers "Das Unbehagen der Geschlechter" überholt. Und was Simone de Beauvoir wohl zu queeren Körperentwürfen gesagt hätte, wie sie heute zum Beispiel Kim de l'Horizon lebt und literarisch verarbeitet?

Wir werden es nicht erfahren. Simone de Beauvoirs Werk, das muss man sich mit Iris Radisch immer wieder klarmachen, entstand zu einer Zeit, in der Frauen vom öffentlichen Leben in Frankreich weitgehend ausgeschlossen waren; erst 1945 durften sie zum ersten Mal wählen, sie waren in Ehe oder Studium den Männern tatsächlich untertan. De Beauvoir hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich vieles geändert hat, auch in Deutschland. "Frauen, ihr verdankt ihr Alles!" hat die Philosophin Elisabeth Badinter einmal gesagt. Dass Alles auf Dauer nicht reicht, wusste aber bereits Simone de Beauvoir selbst: "Nein, wir haben diese Partie nicht gewonnen", schrieb sie 1976 in ihren Memoiren. Jetzt sind die nächsten Generationen dran. Das Spiel ist noch nicht aus.

Simone de Beauvoir & Das andere Geschlecht, Ausstellung, Literaturhaus, Salvatorplatz 1, täglich 11-18 Uhr. Infos, auch zum großen Begleitprogramm: literaturhaus-muenchen.de

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