Zwischen Welten:"Mein Herz trägt immer Vyschyvanka"

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Unsere ukrainische Kolumnistin erinnert sich daran, wie der Tag der Freiheit am 24. August in ihrer Familie gefeiert worden ist. Mit der Nationaltracht Vyschyvanka und ihrem Opa, der Flugblätter für Menschenrechte verteilte.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

Dieser Mittwoch, der 24. August, wird das erste Mal sein, dass meine Familie den Tag der Freiheit nicht in der Ukraine feiert, sondern auf der Flucht. Seit 32 Jahren gibt es diesen Feiertag bei uns. Erstmals wurde er 1991 begangen, denn an diesem Tag erklärte das Land seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Der Tag der Freiheit ist ein bisschen jünger als ich, obwohl der Kampf der Ukrainer für die Freiheit ihres Volkes viel älter ist. Es gibt viele Erinnerungen in meiner Familie daran. Doch so blutig wie jetzt war es noch nie, das erzählen die Älteren. Dieser 24. August ist also nicht nur besonders, weil ich ihn nicht zu Hause feiern kann. Es ist auch ein besonderes Datum, weil es an diesem 24. August genau ein halbes Jahr her ist, seit am 24. Februar Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat.

Als ich ein Kind war, war unser Haus zum Tag der Freiheit immer voll von Flugblättern. Mein Opa hat sie erstellt und in unserer Stadt verteilt. Er hat quasi Öffentlichkeitsarbeit für die Freiheit betrieben und dabei den Menschen erklärt, warum Freiheit für die nächsten Generationen, also für mich und jetzt natürlich für meine kleine Tochter Ewa, so wichtig ist

Mein Opa wollte damals, dass sein Enkelkind in einem freien Land aufwächst, frei von sowjetischem Druck und Kolonialisierung. Dass sein Enkelkind das Recht hat, die ukrainische Sprache - meine Muttersprache - in der Schule zu lernen, sowie die Geschichte, Kultur und Musik unseres Landes. Und er wollte, dass sein Enkelkind das Recht auf freie Meinungsäußerung hat, ohne den sowjetischen Geheimdienst fürchten zu müssen.

Ich bin meinem Opa und Menschen, die sich mit ihm für all diese (Menschen-)Rechte eingesetzt haben, sehr dankbar für ihr Engagement. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kämpften er und viele andere Ukrainer dafür, dass diese Freiheit und die damit verbundenen Rechte in unserem Land umgesetzt werden und keine Illusion bleiben. Dank dieser Menschen wurde ich in einem europäischen Land mit europäischen Werten erzogen und bin sehr stolz, Ukrainerin und Europäerin zu sein.

Jetzt möchte der Kreml mit dem Angriff auf mein Land und meine Landsleute diese Werte und mit ihnen die freien Menschen in der Ukraine auslöschen. Tausende Männer und Frauen verteidigen unsere Freiheit als Soldatinnen und Soldaten an der Front. Viele von ihnen bezahlen diesen Kampf mit ihrem Leben.

Um allen, die für unsere Freiheit kämpfen oder gekämpft haben, Respekt zu zollen, gehe ich natürlich auf die Demo, diesmal in München und leider ohne Vyshyvanka. Vyschyvanka ist unsere Nationaltracht, oder wie wir auch sagen, unser Kulturcode. Ich habe meine Tracht zu Hause gelassen, als ich aus Kiew flüchtete. Doch mein Herz trägt immer Vyschyvanka, ich habe die Ukraine immer in mir, genau wie die Sehnsucht nach Freiheit, - egal ob ich Vyschyvanka trage oder nicht.

Diese Gefühle und Gedanken nehme ich zur Demo in München mit, um mich in einem friedlichen Protest für die Freiheit ganz Europas auszusprechen.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Von dort aus arbeitet sie ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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