Prozess in München:Welche Rolle spielen verdeckte Ermittler im Waffenhändler-Prozess?

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Zahlreiche Waffen, darunter diese Glock 17, wurden bei Philipp K. gefunden. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Eine Staatsanwältin, die nicht aussagen darf, eine ominöse Kölner Familie und ein geheimnisvoller Darknet-Nutzer: Im Prozess um das Attentat am OEZ in München sind noch einige Fragen offen.

Von Martin Bernstein, München

Sollen im Verfahren gegen den Waffenhändler des OEZ-Attentäters David S. Fehler verdeckter Ermittler unter den Teppich gekehrt werden? Ein Opferanwalt hat diesen Vorwurf erhoben. Die Staatsanwaltschaft München I weist das mit Nachdruck zurück: Absprachen, Einflussversuche oder den Versuch, verdeckte Ermittler zu schützen, gebe es im Verfahren gegen Philipp K. nicht. Immer deutlicher wird indes die Rolle, die verdeckte Ermittler des Zolls spielen in dem Prozess, der am Mittwoch im Justizpalast fortgesetzt wird.

Am vergangenen 16. Verhandlungstag wurde bekannt, dass eine Kölner Staatsanwältin vor Gericht nicht aussagen darf - um verdeckte Ermittler in einem anderen Verfahren zu schützen. Sie hätte vermutlich viel über eine ominöse Kölner Familie erzählen können, die nach eigenen Angaben schon am Abend des Anschlags mehr über die Tat wusste als die Polizei. Und von der Glaubwürdigkeit einzelner Mitglieder dieser inzwischen völlig verfeindeten Familie hängt womöglich der Ausgang des Münchner Prozesses ab.

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Der Mann soll eine "Todesliste" gegen Ermittler geführt und seine fünf Kinder an Waffen ausgebildet haben, um sie für Konflikte fit zu machen - das behauptet seine Frau. Sie soll aus Hass auf Migranten den Waffenhändler Philipp K. und dessen Kunden David S. angeleitet haben, wie man möglichst effektiv und schnell schießt - das sagen ihr Ex-Mann und dessen Angehörige.

Und Frau wie Mann behaupten, der jeweils andere trachte ihnen nach dem Leben. Sie trat deshalb mit Brille und möglicherweise mit Perücke in München auf und soll nach SWR-Recherchen inzwischen abgetaucht sein. Im Prozess tauchte mehrmals die Frage auf, ob die Frau ein Behörden-Spitzel gewesen sein könnte. Er wiederum forderte Schutzgarantien vor einer Aussage und zeigte seine Ex-Frau wegen Beihilfe zum Mord und die verdeckten Ermittler wegen fahrlässiger Tötung an.

Der Kölner Mann hatte im Darknet, einem abgeschotteten, anonymen Teil des Internets, bei Philipp K. eine Pistole gekauft und zu Hause Waffen und Sprengstoff. In erster Instanz wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Strafmildernd werteten die Richter dabei, dass verdeckte Ermittler im Darknet-Waffenforum in der Rolle eines "Agent Provocateur" auftraten - im Urteil des Amtsgerichts Bergheim ist von "beachtlichen polizeilichen Initiativen in der Kreierung einzelner Geschäfte" die Rede. Viermal hat das Bundeskriminalamt (BKA) in den vergangenen vier Jahren Accounts von Dritten übernommen, um verdeckt im Internet zu ermitteln. 36 entsprechende Fälle listet die Bundespolizei auf.

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Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Und der Zoll, der gegen die Waffenszene im Darknet ermittelte? Dazu macht die Regierung keine Angaben, denn: "Der Zoll führt keine Statistik" dazu. Solche Accounts, heißt es ergänzend, würden dort "in der Regel einzelfallbezogen zur Informationsgewinnung eingerichtet und teilweise nur einmalig genutzt". Wenn die Daten Dritter genutzt würden, dann "ausschließlich Accounts von Beschuldigten".

Zwei dieser gekaperten Darknet-Zugänge im Waffen-Forum "Deutschland im Deep Web" sind inzwischen bekannt geworden. In eine dieser Fallen tappte im August 2016 der Waffenhändler Philipp K. kurz nach dem Münchner Anschlag, als er versuchte, eine Kriegswaffe bei einem vermeintlichen Kunden loszuwerden. Brisanter ist der andere Account. Denn unter seinem Schutz beobachteten Zollfahnder mehr als ein Jahr lang die Chats im Forum - und wohl auch die Anbahnungsversuche zu Waffen-Deals. In mindestens einem Fall wurde er gefragt, ob er eine Pistole des Typs Glock 17 liefern könne. Das war im Sommer 2015, der Interessent nannte sich "Maurächer". Es war, wie man heute weiß, der spätere OEZ-Attentäter David S.

Beide Seiten konnten da nicht ahnen, mit wem sie es zu tun hatten. Für Yavuz Narin, der mehrere Opferfamilien vertritt, drängt sich dennoch der Verdacht auf, dass im Prozess gegen den Waffenhändler Philipp K., der der fahrlässigen Tötung angeklagt ist, verdeckte Ermittler geschützt werden sollen. Narin zitiert das BKA mit der Beobachtung, die Anbahnung des Waffengeschäfts zwischen "Rico" (das war der Deckname von Philipp K. im Darknet) und "Maurächer" sei "für alle registrierten Nutzer" lesbar gewesen. Darunter wären dann auch die verdeckten Ermittler gewesen. Allerdings waren nur zehn Nachrichten der beiden öffentlich, die übrige Konversation erfolgte verschlüsselt. Ob die verdeckten Ermittler also den Münchner Anschlag hätten verhindern können, ist fraglich.

Weiterhin unklar ist die Identität des geheimnisvollen Darknet-Sicherheitsberaters "blab". Er hatte den Ermittlern angeboten, ein von ihm angeblich eingesetzter Strohmann könne unter bestimmten Voraussetzungen als Kronzeuge auftreten. Der Mann könne nicht nur bestätigen, dass "Rico" von dem geplanten Anschlag auf Migranten gewusst und sich darüber gefreut habe, sondern dass er dem Täter sogar Tipps gegeben habe. Etliche Spuren führen von "blab" zu den verfeindeten Ex-Eheleuten aus Köln. Weil einer von ihnen "blab" war? Oder weil sie sogar beide Zugang zu diesem Account hatten, wie Fahnder andeuteten? "Die Ermittlungen haben immer wieder überraschende Wendungen genommen", sagte ein Zollfahnder.

Eine V-Person der Sicherheitsbehörden sei die fünffache Mutter, die am Hochzeitstag schwanger mit Brautkleid und Pistole für ein Foto posierte, jedenfalls nicht gewesen. Das erklärt die Kölner Staatsanwaltschaft, die zuletzt eingeräumt hat, verdeckte Ermittler zu schützen - wegen eines anderen Ermittlungsverfahrens gegen die Kölnerin. Den Nebenklageanwälten reicht das nicht. Sie wollen jetzt wissen, ob die Frau möglicherweise den Status einer "Informantin" hatte: "Da macht der Zoll nämlich feine Unterscheidungen."

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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