Prozess:Frau beißt Ehemann die Zunge ab

Lesezeit: 2 min

  • Eine 48-Jährige soll ihrem Ehemann ein daumengroßes Stück Zunge abgebissen haben.
  • Die Staatsanwaltschaft geht von einem "hinterlistigen Überfall" aus und erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung.

Von Andreas Salch

Kathrin E. ist fahl im Gesicht und vollkommen schwarz gekleidet. Sie stammt aus Finsterwalde in Brandenburg. Die 48-Jährige ist an diesem Montagmorgen auch nicht gerade gesprächig, besonders im Hinblick auf den 5. Dezember vergangenen Jahres.

Am späten Vormittag jenes Tages hat Kathrin E. ihrem Mann in der gemeinsamen Wohnung in Perlach ein "daumengroßes Stück" seiner Zunge abgebissen. Die Staatsanwaltschaft geht von einem "hinterlistigen Überfall" aus und hat deshalb Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht München erhoben.

Versuche, das "daumengroße Stück Zunge", wie es im Polizeibericht heißt, wieder anzunähen, scheiterten. Nach Überzeugung einer rechtsmedizinischen Sachverständigen habe sich der Mann der Angeklagten aufgrund des Bisses in einem "abstrakt lebensgefährlichen Zustand" befunden. Es habe sogar die Gefahr bestanden, dass der 47-jährige Versicherungskaufmann verblutet.

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Kathrin E. überlässt es in der Verhandlung vor dem Amtsgericht ihrem Verteidiger, Rechtsanwalt Hermann Borchert, zu berichten, was angeblich vorgefallen ist. Danach habe ihr Mann versucht, sie zu küssen. Seine Mandantin, so Borchert, habe dies aber "reflexartig" abgewehrt. Außerdem habe die Angeklagte zuvor Alkohol getrunken. Es müssen Unmengen gewesen.

Fast zwei Stunden nach der mutmaßlichen Tat hatte Kathrin E. noch eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,21 Promille. Laut dem Gutachten einer Rechtsmedizinerin lag die BAK zur Tatzeit, um 11.45 Uhr, bei "maximal 2,78 Promille". Die Angeklagte, betont Rechtsanwalt Borchert in seiner Erklärung, habe jedenfalls nicht vorgehabt, ihrem Mann in die Zunge zu beißen. Deshalb werde der Vorwurf der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

Eine Rettungssanitäterin, die die Richterin als Zeugin hört, berichtet, dass der Versicherungskaufmann hinter einer Tür auf dem Boden gelegen habe, als sie die Wohnung betreten habe. Er habe aus dem Mund geblutet und sei "kaltschweißig" gewesen. "Er hat mir das Stück Zunge auf die Hand gelegt", erinnert sich die Sanitäterin.

Opfer und Angeklagte sagen nicht aus

Das Opfer habe einen Schock gehabt, vermute sie. Der Kollege der Rettungssanitäterin sagt, die Angeklagte habe starke Stimmungsschwankungen gezeigt. Einerseits habe sie gesagt: "Es musste sein." Dann aber habe sie auf die Frage, was passiert sei, geantwortet: "Es tut mir leid." Was genau passiert ist, erfährt das Gericht auch nicht vom Opfer.

Als der Mann in den Zeugestand gerufen wird, beruft er sich als deren Ehemann auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Dennoch muss er vor den Richtertisch treten und seine malträtierte Zunge herausstrecken, damit sich Richterin, Staatsanwalt und Rechtsmedizinerin einen Eindruck machen können. Daraufhin wird der 47-Jährige entlassen und darf im Zuschauerraum Platz nehmen.

Der häusliche Friede im Hause E. scheint allem Anschein nach wiederhergestellt. Denn Kathrin E. und ihr Mann lächelten sich des Öfteren verhalten an. Da eine Einstellung des Verfahrens für die Staatsanwaltschaft nicht in Frage kommt, wird der Prozess fortgesetzt.

© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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