Prozess:Der Mann, der gegen die Blitzer kämpft

Lesezeit: 4 min

Die neueste Generation der Geschwindigkeitsmessanlagen, die gar nicht mehr blitzen - hier in München. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Taxifahrer Muhammed C. wurde auf der Autobahn Richtung Garmisch mit 21 Stundenkilometern zu viel geblitzt - ihm droht der Führerscheinverlust.
  • Der Prozess könnte weitreichende Folgen für die Behörden haben, da sein Verteidiger beweisen will, dass die Messung fehlerhaft war.

Von Susi Wimmer

Als es um seine Existenz geht, da zupft Muhammed C. vor dem Amtsgericht München etwas irritiert an seinem schwarzen Kugelarmband. Sechs Punkte in Flensburg hat der 28-Jährige schon, jetzt ist er erneut zu schnell unterwegs gewesen. Ist sein Führerschein weg, verliert der Taxifahrer auch den Personenbeförderungsschein. "Dann ist Ende", sagt er. Doch im Moment geht es gar nicht um ihn. Zwei Gutachter duellieren sich im Sitzungssaal. Sie streiten um Schwenkwinkel, Strahlaufweitungen und Verkehrsfehlergrenzen. Die Tempoüberschreitung von C. ist Nebensache. Sein Verteidiger will beweisen, dass das Blitzergerät fehlerhaft gearbeitet hat. Gelingt ihm das, müssten deutschlandweit Tausende Messgeräte abgeschaltet werden.

Rechtsanwalt Heinrich Wenckebach gilt als Don Quijote der Verkehrsrechtler: hoch aufgeschossen, hager, kämpferisch und vermeintlich furchtlos. Seinetwegen musste die Münchner Polizei im Oktober 2015 Hunderte Bußgeldbescheide zurücknehmen, weil er Unregelmäßigkeiten bei den Messgeräten in zivilen Einsatzfahrzeugen offenlegte. Er wies Polizisten Fehler beim Kalibrieren der Laser-Pistolen nach. Im Jahr 2016 der nächste Sieg: Er konnte zeigen, dass der Blitzer in der Schilderbrücke über der Autobahn 9 bei Garching-Süd mangelhaft ist. Auf der Fahrbahn hatten ein Jahr lang die Quermarkierungen gefehlt, ohne die eine genaue Messung nicht möglich ist. Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was der Münchner gerade im Schilde führt.

Deutschlandweit führt er Prozesse und sammelt Gerichtsentscheidungen, bei denen es um die Fehlerhaftigkeit des Geschwindigkeitsmessgerätes PoliScanspeed geht. Wenckebach listet auf: Das Amtsgericht Mannheim habe zum Beispiel festgestellt, dass das Gerät anders messe als in der Bauartzulassung vorgeschrieben ist. Das Amtsgericht Weinheim wiederum habe einen Mann freigesprochen, weil Zweifel am Zustandekommen des Messergebnisses bestanden hätten. Um alle Zusammenhänge zu verstehen, muss man an den Anfang gehen.

Radarfallen
:Blitzer, die Hassobjekte am Straßenrand

Manche Kritiker halten die Radarfallen für reine Abzocke. Doch viel Geld verdient die Stadt bei ihren Kontrollen nicht.

Von Marco Völklein

In Braunschweig sitzt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die sich selbst als das oberste nationale Metrologieinstitut in Deutschland sieht, also die wichtigste Kontrollinstanz, wenn es um Messtechnik geht. Die PTB schließt einen Vertrag mit der Firma Vitronic, die den PoliScanspeed herstellt, sie prüft das Gerät, definiert die Rahmenbedingungen für den Einsatz und erteilt eine Bauartzulassung.

Das bedeutet, sämtliche Geräte, die auf gleiche Weise hergestellt wurden wie das geprüfte Gerät, sind zugelassen. Für Anwalt Wenckebach heißt das im Umkehrschluss: "Wenn ein Gerät per Gericht als fehlerhaft und nicht funktionsfähig deklariert wurde, dann gilt das für alle Geräte aus der Serie". Die Eichung sei dann ungültig, weil nicht gewährleistet sei, dass die vorgegebenen Fehlergrenzen eingehalten würden.

50 Blitzer der Firma PoliScan stehen allein in München. Dazu kommen mobile Messanlagen, die in zivilen Polizeifahrzeugen verbaut sind. Jeder, der von einem solchen Gerät geblitzt wurde, hat gute Erfolgschancen, wenn er die Messung vor Gericht anzweifelt.

Wenckebach wird nicht müde, ein Verfahren nach dem anderen zu führen, zu gewinnen - und auf die Konsequenzen zu warten, nämlich, dass die Messgeräte stillgelegt werden. Auch im Prozess gegen den Taxifahrer sieht es gut aus für ihn. Das Gericht hat einen Mitarbeiter des PTB geladen. "Die Richterin will es genau wissen", sagt Wenckebach. Ihm zur Seite steht Jürgen Vogt, Sachverständiger für Verkehrsmesstechnik. Wenn Wenckebach Don Quijote ist, dann ist Vogt der Sancho Panza, sein Diener.

Er erzählt, dass Sachverständige vor Gericht immer wieder Mängel bei PoliScanspeed aufgedeckt hätten. "Damit wir uns richtig verstehen: Wenn einer zu schnell gefahren ist und korrekt gemessen wurde, dann muss er auch die Konsequenzen tragen", sagt Vogt. Wenn die Messung nicht korrekt sei, liege der Fall aber anders. Die Geschichte von Muhammed C. ist besonders brisant: Er war im Mai 2016 auf der Garmischer Autobahn bei Fürstenried mit 105 Stundenkilometern geblitzt worden. Erlaubt ist dort Tempo 80. Abzüglich der Messtoleranz ergibt sich eine Überschreitung um 21 Stundenkilometer. Nur ein km/h weniger, und der Führerscheinentzug wäre ihm erspart geblieben.

Während Vogts Gegenspieler, der öffentlich bestellte Sachverständige, sein Gutachten vorstellt und zu dem Schluss kommt, dass der "Messwert als verlässlich einzustufen" sei, schreibt Vogt massenhaft Notizen auf seinen Block. Als der Vortrag vorbei ist, greift Wenckebach sofort an. Das Amtsgericht Mannheim habe festgestellt, dass PoliScan auch Werte außerhalb des definierten Messbereiches erhebe. Die Messreihe sei ihm nicht bekannt, antwortet der Gutachter. "Können Sie ausschließen, dass Messwerte aus dem nicht definierten Bereich erhoben werden?", fragt Wenckebach. Die Antwort: "Das kann ich nicht beurteilen". Jetzt ereifert sich der Anwalt: "Ich lehne den Sachverständigen wegen mangelnder Sachkunde ab!", poltert er.

Stadtratsbeschluss
:Der Tunnel durch den Englischen Garten kommt

Der Münchner Stadtrat stimmt für das Bauprojekt. In einigen Jahren soll die größte Parkanlage der Stadt wiedervereinigt sein.

Das Gericht hält an dem Sachverständigen fest. Und dann geht es rund. Wenckebach, der mit zwei Gutachtern angetreten ist, redet zusammen mit Vogt den PTB-Mann und den Sachverständigen in Grund und Boden. Ein Kuriosum am Rande: Was die PTB bei der Bauartzulassung geprüft hat, ist streng vertraulich. Weder Richter noch Sachverständige kennen Details. "Wenn vor Gericht nichts Konkretes vorgetragen wird, geht man davon aus, dass die PTB als technische Oberbehörde schon alles richtig gemacht hat", kritisiert Vogt.

Vogt stellt in der Verhandlung Detailfragen, hakt immer wieder nach und greift den Gutachter an, weil der ausweiche und Fragen nicht beantworte. Schwenkwinkel, Strahlaufweitung, Verkehrsfehlergrenzen. Fachbegriffe fliegen durch den Raum. Die Staatsanwältin ist bemüht, den Ausführungen zu folgen, der Taxifahrer ist ohnehin irritiert und die Richterin stöhnt irgendwann auf: "Wenn das so weitergeht, steig ich bald aus."

Es wird ein Rechtsgespräch im stillen Kämmerlein anberaumt. Anwalt Wenckebach erzählt anschließend, es werde eine Lösung angestrebt. Der Taxifahrer solle zwar einen Monat Fahrverbot erhalten, aber sein Konto in Flensburg nicht auf acht Punkte anwachsen. Entschieden wird an diesem Tag aber noch nichts. Die Verhandlung wird auf den 17. Juli verschoben. Dann soll die Verteidigung zu den Ausführungen des Sachverständigen Stellung nehmen.

Irgendwann, da sind sich Wenckebach und Vogt sicher, können die zuständigen Behörden ihre Erfolge vor Gericht nicht mehr ignorieren. Die Konsequenzen wären enorm. Nicht nur, dass Tausende Geräte der Marke PoliScan stillgelegt werden müssten, es würden auch laufende Verfahren eingestellt und Tausende Bußgeldbescheide zurückgenommen. "Da wurden Millionen in den Sand gesetzt. Das ist ein Skandal", sagt Wenckebach. Vielleicht wird es der Prozess von Muhammed C. sein, der für Wenckebach den durchschlagenden Erfolg bringt. Am Donnerstag, einen Tag nach dem Prozess von Muhammed C. schreibt Wenkebach eine Nachricht: "Heute Vormittag wieder eine Gerichtsverhandlung mit PoliScan. Wurde eingestellt." Don Quijote reitet weiter. Bis die Windmühle fällt.

© SZ vom 01.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: