Prozess:20-Jähriger wegen Tritten gegen Kopf vor Gericht

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  • Im August 2016 provoziert Marco G. am S-Bahnhof Taufkirchen einen 44 Jahre alten Wanderer. Der greift G. und dessen Bruder an, G. tritt dem Mann mehrmals gegen den Kopf, einmal, als der Mann schon bewusstlos ist.
  • Der heute 20-Jährige ist nun vor dem Landgericht München angeklagt, unter anderem wegen versuchten Totschlags.
  • Bei der Verhandlung sagt G., er sei leicht reizbar, auch aufgrund schwerwiegender Probleme in der Kindheit.

Von Susi Wimmer

Was lernt ein Kind fürs Leben, wenn es vom Vater geschlagen wird mit Gürtel, Kabel und Fäusten? Wenn ihm zur Bestrafung ein Finger gebrochen wird - wegen einer Nichtigkeit? Aus Marco G. ( Name geändert) ist ein 20-Jähriger geworden, der am S-Bahnhof Taufkirchen den Kopf eines reglos daliegenden Mannes wie einen Fußball tritt.

Ein Heranwachsender mit beachtlichem Vorstrafenregister und einer sich offenbar stetig steigernden Hemmungslosigkeit und Brutalität, die sich im August 2016 nach durchzechter Nacht auf dem Bahnsteig entlud. Wie das Leben von Marco G. sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln wird, das liegt nun zum Teil auch in der Hand der ersten großen Jugendkammer unter dem Vorsitz von Stephan Kirchinger. Denn vor dem Landgericht München I ist Marco G. unter anderem wegen versuchten Totschlags angeklagt.

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"Ich bin leicht reizbar. Aber mit Alkohol gibt es immer Probleme." Das hat Marco G. selbst erkannt. Im Wollpullover sitzt der gebürtige Münchner mit italienischer Staatsangehörigkeit auf der Anklagebank und erzählt, wie das Verhängnis am Abend des 27. August 2016 seinen Lauf nahm. Die Mutter habe den Bruder und ihn zur S-Bahn gefahren, mit dem Zug ging es zum Erdinger Volksfest.

Auf dem Weg dorthin, und wieder zurück, habe er eine halbe Literflasche Wodka Feige gekippt, im Bierzelt "drei bis vier Maß". "Ist das Ihr normales Pensum?", fragt Kirchinger. "Ja", sagt der Angeklagte und erzählt von der anschließenden Party mit zwei bis drei Halben, bei der man rausgeschmissen wurde, dem Streit mit seiner Freundin, zwei Gin mit Saft, und weiteren Pöbeleien und Rangeleien.

Gegen 6 Uhr früh standen er und sein Bruder schließlich an der S-Bahnstation und wollten heim nach Oberhaching. "Ich war sauer, betrunken und aggressiv", beschreibt er seine Stimmung. Am gegenüberliegenden Bahnsteig entdeckte er einen 44-Jährigen, der zu einer Wandertour früh aufgestanden war. Marco G. begann mit der Zunge zu schnalzen, um den anderen auf sich aufmerksam zu machen. Es folgten fiese verbale Beleidigungen, von denen sich der Ältere provozieren ließ.

Er kam über die Gleise, kletterte auf den anderen Bahnsteig und verpasste dem 18-Jährigen zwei Faustschläge ins Gesicht. Der 17-jährige Bruder von Marco G. schlug auf den älteren ein, es kam zu einer Rangelei zwischen Marco G. und dem Fremden. Da sich die Auseinandersetzung gefährlich nahe an die Bahnsteigkante verlagerte und sich die S-Bahn näherte, zog Marco G. den anderen von hinten an seiner Kleidung in Richtung Bahnsteig.

Mit dem Spann zugetreten, "weil es weniger gefährlich ist"

Der stürzte, fiel auf den Rücken, und als er sich aufrappeln wollte, ballerte der 18-Jährige mit seinem Fuß dreimal gegen den Kopf des Mannes. Der kippte bewusstlos nach hinten und blieb auf dem Rücken liegen. Da trat Marco G. noch einmal zu, mit voller Wucht, sodass der Kopf um 180 Grad von links nach rechts geschleudert wurde. Die Tat beobachteten nicht nur Fahrgäste in der einfahrenden S-Bahn, auch die Überwachungskameras am Bahnsteig fing sie ein.

Marco G. sagt, er habe sich verteidigen wollen. Er habe zugetreten, damit der andere nicht noch einmal aufstehe. Am Ende habe er gesehen, "dass der nichts mehr braucht". Er flüchtete mit seinem Bruder in die S-Bahn, prahlte dort damit, dass er das Knacken von brechenden Knochen gehört habe. "Ich habe mit dem Spann zugetreten auf den Hinterkopf, weil es weniger gefährlich ist als mit der Pike." Das Opfer erlitt eine Schädel- und Brustkorbprellung, etliche Hämatome und Abschürfungen. "Es bestand abstrakte Lebensgefahr", so sieht es die Staatsanwaltschaft.

In der Haft hat Marco G. eine Bäckerlehre begonnen. Zuvor war er wiederholt aus Schulen und Ausbildungsverträgen geflogen. Das Jugendamt schickte ihn für ein Jahr nach Spanien, um ihn aus der belasteten Familiensituation zu nehmen. Wieder zu Hause, wurde Marco G. zum drogen- und alkoholabhängigen Arbeitslosen, der klaute und zuschlug. Gegen seinen Vater, sagte er, habe es wegen der Misshandlungen auch einmal ein Verfahren gegeben. Aber das sei eingestellt worden. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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