Pop:Der Schöpfung auf der Spur

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Florian Fricke vor seinem modularen Moog in der Klosterkirche St. Margareta bei Traunstein - am Schlagzeug Holger Trülzsch. (Foto: Edition Popol Vuh)

Elektronik-Pionier, Urtext-Interpret, Soundtrack-Lieferant für Werner Herzog: Der 2001 gestorbene Florian Fricke war vieles, vor allem aber Kopf der großen Münchner Gruppe "Popol Vuh". Ein neues Vinyl-Boxset gibt Einblick in die Vielfalt seines Schaffens.

Von Martin Pfnür, München

Es ist ein Musikerleben, so wendungsreich und eigen, dass es längst mit einer Biografie gewürdigt werden müsste. Man erzählt die Geschichte dazu am besten vom Anfang her, allein schon, weil Anfänge hier noch eine Rolle spielen. Alles beginnt in Lindau am Bodensee, wo Florian Fricke 1944 geboren wird und als Sohn eines Opernsängers und einer klassikbegeisterten Mutter aufwächst. Früh entpuppt er sich beim Klavierunterricht als Hochbegabter, reüssiert auf der Bühne mit Haydn-Sonaten, und besucht nach dem Umzug der Familie nach München und veranlagungsbedingt verkürzter Gymnasialzeit die Musikhochschulen in München und Freiburg.

Gerade volljährig geworden, zieht er plötzlich die Notbremse. Das Studium erscheint ihm einengend und sinnlos, er muss da raus. Es folgen Jahre des Suchens und Probierens. Mal versucht Fricke sich mit Manfred Eicher, dem späteren Gründer des Labels ECM Records, im Free-Jazz, mal spielt er eine kleine Rolle für seinen alten Schulfreund Werner Herzog, der in Griechenland sein Langfilm-Debüt "Lebenszeichen" dreht. Mitte der Sechziger wird er blutjunger Autor der Süddeutschen Zeitung, schreibt unter Joachim Kaiser zumeist Kritiken zu Klassik-Konzerten, aber auch der Pop und das Kino sind ihm nicht fremd.

In der Idylle Miesbachs vertieft er sich in einen analogen Modular-Synthesizer

Von hier aus scheint vieles möglich, wäre nicht der Moog dazwischengekommen. Es ist das Jahr 1969, die Aufbruchsstimmung der Hippie-Bewegung, die auch Fricke erfasst hat, liegt in den letzten Zügen, und er selbst lebt nun mit seiner Ehefrau in der Idylle Miesbachs, oben auf dem Stadlberg, wo sie sich das Dachgeschoss eines Bauernhofs ausgebaut haben. Sein Nachbar dort ist der Komponist Eberhard Schoener, der sich als erster Europäer einen analogen Modular-Synthesizer aus den USA herüberschicken lässt, den Moog III. Für Fricke, den wie so viele deutsche Musiker der Nachkriegsgeneration die Vision umtreibt, neue Klänge zu schaffen, die nichts mit Rock oder Blues zu tun haben, ist klar: Diesen Kasten braucht er auch.

Frank Fiedler ist damals ein junger Kameramann, den es von Berlin aus in die brodelnde Münchner Szene verschlägt, wo er sich bei einem Salon-Abend mit Fricke anfreundet und auf den Stadlberg eingeladen wird. Im Interview erinnert er sich, wie ihm schon auf dem Weg hinauf zum Hof ein Sound entgegenschallt, den er so noch nie gehört hat. "Florian wusste ziemlich genau, wo er mit dem Moog hinwollte, allerdings ist er manchmal etwas stecken geblieben", erzählt er. Bald werden der Musiker und der technisch beschlagene Kameramann zum Team, das sich ganze Nächte mit dem Synthie um die Ohren schlägt.

Benannt nach der Schöpfungsgeschichte der Quiché-Maya gründet Florian Fricke (rechts) Ende der 60er die Band "Popol Vuh". Links neben ihm der langjährige Weggefährte Daniel Fichelscher. (Foto: Edition Popol Vuh)

Sie gründen eine Band, zu deren kurzlebiger Urformation auch Frickes Frau Bettina an den Tablas und der Künstler Holger Trülzsch als Percussionist zählen, nennen sich Popol Vuh, nach der Schöpfungsgeschichte der Quiché-Maya, die Fricke nachhaltig beeindruckt. Mit ihrem Debütalbum "Affenstunde", das in Anlehnung an das Popol Vuh auf das Werden des Menschen referiert, wollen sie zeitgeisttypisch zum Unterbewussten durchdringen, und so erscheint 1970 eine Platte, die sehr dringend Avantgarde sein will, dabei aber tatsächlich bereits jene elektronischen Atmosphären vorwegnimmt, die Brian Eno Jahre später als Ambient etabliert.

Für Fricke ist es letztlich nur eine Zwischenstation. Mit "In den Gärten Pharaos", aufgenommen in der Klosterkirche St. Margareta bei Traunstein, entsteht wenig später noch eine schwer verspulte Transzendentalmusik mit Drones aus der Kirchenorgel, da hat er den Moog, dessen Sound ihm nun allzu kalt erscheint, auch schon wieder über. Er schart neue Musiker um sich, findet zurück zum Klavier, und fängt noch mal von vorne an. Anstatt auf wilde Entgrenzung setzt er auf Harmonie, anstatt auf Elektronik auf Handgemachtes.

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Er will mit dieser exquisiten Musik, die nun ebenso auf der bluesgetränkten Sensibilität des Psychedelic Rock wie auf dem weit ausholenden Gestus der Klassik fußt, etwas in der Seele zum Klingen bringen. Dass er dabei auf Alben wie "Hosianna Mantra" oder der Bergpredigt-Interpretation "Seligpreisung" auch Texte und Motive aus der Bibel heranzieht, verschafft Popol Vuh zwangsläufig den Ruf einer religiösen Band, was jedoch an der Sache vorbeigeht. "Er war weder Jesusfreak noch Esoteriker", sagt Daniel Fichelscher, der zu dieser Zeit als saitenversierter Multiinstrumentalist dazustößt. "Sein analytisches Interesse und das, woraus er musikalisch Kraft zog, lag einfach im Gemeißelten, in dem, was der Mensch für den Menschen geschrieben und überliefert hat."

Innerhalb eines Nachmittags spielt er die Musik ein für Werner Herzogs Film "Aguirre - der Zorn Gottes"

Zusammen bilden die beiden fortan die Basis einer enorm fruchtbaren Schaffensphase als Studioband, die bis in die Achtziger hineinreicht, und sich zu einem gewissen Grad auch der Fügung verdankt. Als Werner Herzog 1972 zu Ennio Morricone nach Rom reist und bei diesem keine passende Filmmusik zu "Aguirre - der Zorn Gottes" findet, rät die einstige Schwabinger Kommunen-Bewohnerin Mascha Rabben ihm dort bei einer Zufallsbegegnung, dass doch der aus den Augen geratene gemeinsame Freund die logische Lösung sei. Einen Anruf später sitzt Fricke zu Hause an einer geborgten Erfindung des verreisten Tonmeisters der Bavaria-Studios. Mithilfe der sogenannten Chor-Orgel, über die sich mittels eines Keyboards einzelne Töne einer auf Bandschlaufen gebannten Aufnahme des Chors der Bayerischen Staatsoper halten lassen, spielt er innerhalb eines Nachmittags eine faszinierend ätherische Musik ein, die Herzogs Urwald-Bildern genau jene neue Qualität verleiht, die dieser sich erhofft.

Es ist die erste von fünf famosen Filmmusiken, die Popol Vuh für Herzog einspielen, nahezu die gesamte filmische Klaus-Kinski-Ära des Regisseurs begleiten sie. Zwei davon finden sich nun auf dem Vinyl-Boxset "Acoustic & Ambient Spheres" wieder, das als zweiter Teil einer Wiederveröffentlichungs-Reihe erschienen ist. Sorgsam remastered von Frank Fiedler, der heute das Bandarchiv verwaltet, bildet es mit den Soundtracks zu "Herz aus Glas" (1977) und "Cobra Verde" (1987) sowie den Alben "Seligpreisung" (1973) und "Agape - Agape" (1983) einen stilistischen Querschnitt der großen Popol-Vuh-Jahre. Und auch wenn dieser in Form der harmonischen Perfektion der "Seligpreisung", des archaisch jubilierenden Prog-Rocks von "Herz aus Glas", des Aufbruchs in die New-Age-Musik mit "Agape - Agape" und der Rückkehr zu den Ambient-Wurzeln auf "Cobra Verde" kaum weiter gestreut sein könnte - zur Seele dringt all diese zeitlose Musik verlässlich durch.

Popol Vuh: "Vol. 2 - Acoustic & Ambient Spheres" (BMG)

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