Philosophie für Kinder:Wer nicht fragt, bleibt dumm

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Münchner Mädchen und Jungen können seit 2007 in einem Philosophiekurs für Kinder über die Welt staunen und Fragen stellen. Sie sollen eigenständiges Denken lernen.

Susanne Popp

Vor, zurück, vor, zurück. Viktor kippelt ungeduldig mit seinem Stuhl. Die anderen sind ihm zu langsam, er hat seine Collage schon fertig. Um ihn herum werden noch begeistert Zeitungen zerrissen, Bilder ausgeschnitten und aufgeklebt. Papierfetzen segeln zwischen baumelnden Kinderbeinen zu Boden. Pauline kaut nachdenklich auf ihrem Bleistift: "Was macht den Menschen zum Menschen?" Keine einfache Frage, mit der Dagmar Langen und Tanja Prokic ihre Philosophiestunde für Kinder beginnen.

Dagmar Langen (rechts) und Tanja Prokic suchen in ihren Kursen gemeinsam mit den Kindern Antworten auf die vielen Fragen der Philosophie. (Foto: Foto: Susanne Popp)

Im Raum 028 der Ludwigstraße herrscht schon um zehn Uhr am Samstagmorgen aufgeregte Spannung. Trinkflaschen und Brotzeitpäckchen liegen neben bunten Federmäppchen auf den Tischen und neun Augenpaare sind auf die große Leinwand gerichtet. Dort prangt das Bild einer dicken Eule mit Buch, das Symbol der Agentur für Philosophie, die die Kinder auf die Spuren eines Kants, Sartres oder Adornos bringen will.

Rückblick. Im Sommer 2007 laden auf Münchner Kinderfesten erstmals Flyer mit dem neongrünen Schriftzug zum "Philosophiekurs für Kinder" ein. Ein sechs oder sieben Jahre alter Dreikäsehoch soll reif für die hohe Schule des Denkens sein? "Absolut. Es ist nicht so, dass einem Kind die Fähigkeit zum Philosophieren fehlt", sagt Dagmar Langen.

Für die 29-jährige Doktorandin und ihre Kollegin Tanja Prokic ist Staunen der Anfang aller Philosophie - und das können Kinder sogar besser als Erwachsene, argumentieren die beiden jungen Frauen. Deshalb gründeten sie vor zwei Jahren ihre Agentur, die Mädchen und Jungen zwischen sechs und 13 Jahren an philosophische Themen heranführt.

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Was stark an den internationalen Bestseller Sophies Welt erinnert, verfolgt nach eigener Aussage ein konträres Konzept. In den Kursen in der Ludwigstraße wird keine klassische Philosophiegeschichte gelehrt, stattdessen setzten Langen und Prokic auf Diskussion. Sie wollen mit den Kindern auf einer Ebene stehen, nicht Wissen vorgeben, sondern Nachdenken fördern.

Immer wieder ermuntern sie die Kinder, Fragen zu stellen. Eigentlich auch nichts Neues, das "Wer-nicht-fragt-bleibt-dumm"-Konzept kennt man aus der Sesamstraße. "Wir wollen aber, dass die Kinder nicht aufhören zu fragen, sobald eine Antwort da ist", erklärt Tanja Prokic. Es ginge um das Anzweifeln und Hinterfragen, darum, nicht nur das zu sehen, was man sieht. Abstrakte Schlagworte, mit denen die beiden Doktorandinnen ihre Ziele umreißen. Aber kann man solche Themen kindgerecht umsetzen?

Dagmar Langen fragt: "Wisst ihr, was das Gewissen eines Menschen ist?" Als sie das Bild einer Frau mit Engel und Teufel auf den Schultern zeigt, nicken die kleinen Philosophen. Das kennen sie. "Der Teufel sagt nein, sag nichts, wenn meine Mama fragt, ob ich etwas angestellt habe", sagt Viktor. Mit einfachen Worten und Beispielen aus dem Leben, lassen sich die Mädchen und Jungen an die philosophischen Fragen heranführen und kommen immer wieder auf überraschende Ideen.

Was den Menschen ausmacht? Quirin klebt dazu eine komplette Zeitschrift auf sein Blatt und schreibt: "Wir lesen weil wir klug sind und etwas wissen wollen." Sein Tischnachbar Niklas sieht das genauso und schreibt deswegen sein eigenes Buch. "Zehn Seiten habe ich schon." Thema ist der Mensch, wie könnte es anders sein. "Niklas wollte schon immer wissen, wie die Welt und das Leben sind", sagt sein Vater.

Wundern ist Teil der Philosophie

Warum melden Eltern ihre Kinder zu Philosophiestunden an? "Weil er Gehirnfutter braucht", lacht Frau Heinlein, die Mutter von Quirin. "Er fragt von selbst nach dem warum und weshalb." Hemmungen zeigen die meisten Kinder keine. Auf eine Frage schießen mehrere Finger in die Höhe, vor allem die Jungen plappern munter drauf los. Die Mädchen sind zurückhaltender.

"Mir machen Malen und Basteln am meisten Spaß", sagt Pauline. Angst vor Kritik muss in dem Kurs grundsätzlich keiner haben, denn "es gibt nicht eine richtige Antwort auf philosophische Fragen", sagt Dagmar Langen. Mit ihrem Konzept einer systemischen Pädagogik sollen die Kinder angestoßen werden, kritisch auf ihre Umwelt zu reagieren. In der Praxis heißt das, zu zeigen, dass die absolute Wahrheit noch nicht gefunden ist, dass das Wundern Teil der Philosophie ist.

Als Beispiel liest sie eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1920 vor, in der zwei Kinder in Indien von einer Wölfin aufgezogen werden. Mogli in echt, sozusagen. Plötzlich ist es totenstill im Raum, alle lauschen gebannt und mit offenen Mündern. "Ist das wahr", fragt Aurelia. Es ist wahr. Die Wolfsmenschen konnten nur knurren und haben rohes Fleisch gegessen.

Die Frage, was Menschen und Tiere eigentlich unterscheidet, fasziniert die Münchner Mädchen und Jungen. Trotz allem schwillt der Lärmpegel mit der Zeit langsam an. Nach zwei Stunden denken und staunen werden die jungen Philosophen ein bisschen quengelig. Aber auch wenn am Ende des Kurses keine eindeutige Definition des Menschen gefunden wird, ist das nicht schlimm. Im Unterschied zu Erwachsenen dürfen in der kindlichen Welt Rätsel bestehen bleiben.

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