Neben seiner Arbeit als Drehbuchautor fürs Fernsehen hat der in München lebende Grimme-Preisträger Peter Probst Kriminalromane sowie den autofiktionalen Roman "Wie ich den Sex erfand" verfasst. Gemeinsam mit seiner Frau Amelie Fried leitet er seit einigen Jahren Workshops für Kreatives Schreiben. Gerade ist sein neuer Roman "Ich habe Schleyer nicht entführt" (Antje Kunstmann Verlag) erschienen, der vom Erwachsenwerden in Bayern in den Siebziger Jahren erzählt und die gesellschaftlichen Konflikte im Krisenjahr 1977 spiegelt.
Montag: Steg für Schrägdenker
Wie jeden Morgen bringe ich mein nachtkaltes Gehirn erst mal mit einer Isarrunde auf Betriebstemperatur. Wendepunkt ist der Flauchersteg. An dem mag ich, dass er sich so schön schräg über die Kiesinseln spannt - "schräg" entspricht mir einfach. Querdenker kann sich ja kein vernünftiger Mensch mehr nennen, aber Schrägdenker geht zum Glück noch. Beim Gehen genieße ich ein Hörbuch, zurzeit "Wo der Wolf lauert" der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen. Das ist so intensiv erzählt, dass ich mich ärgern würde, wenn es an der Brudermühlbrücke vom Verkehr übertönt wird. Sicher ist die Fahrzeugkolonne an diesem Montag besonders dicht. Denn es ist wieder mal Wiesn-Zeit. Oje.
Dienstag: Lieblings-Café
Gerade ist mein neuer Roman "Ich habe Schleyer nicht entführt" erschienen. Ich werde Presseanfragen beantworten, telefoniere mit Buchhändlerinnen, die mich zu einer Lesung einladen wollen, mit Vorab-Leserinnen, die ihre Eindrücke schildern. Das ist alles so aufregend, dass ich mich unmöglich auf meine nächste Geschichte konzentrieren kann. Da halte ich es doch lieber mit den Schriftstellern in langsameren Zeiten und betrachte das Flanieren mit anschließendem Kaffeehaus-Besuch als Bestandteil meiner Arbeit. Mein Lieblings-Café ist das "Hüller" in der Eduard-Schmid-Straße. Kein Hipster-Getue, faire Preise und ein gemeingefährlich guter Kuchen. Hierher verirrt sich bestimmt auch kein besoffener Tourist, der glaubt, ein Bierkrug-Hut aus Polyester gehöre zur bayerischen Folklore.
Mittwoch: Jeder ein Kreuz
Ich muss endlich an meinem Wiesn-Trauma arbeiten. Am liebsten würde ich von dem Rummel gar nichts mitkriegen, aber überall auf der Welt schwärmen mir, dem gebürtigem Münchner, Leute vom Oktoberfest vor. Da mag ich dann auch nicht sagen: "Gefällt mir nicht." Weil es auch nicht ganz stimmt. Ich habe nur den Schock des in den Neunzigerjahren über die Theresienwiese hereingebrochenen Dirndl- und Lederhosen-Tsunamis immer noch nicht bewältigt. Bis dahin ist jeder, der kein Spießer sein wollte, in Jeans auf die Wiesn gegangen. Tracht haben - pardon - nur "die vom Land" getragen. Vielleicht hat ja die Ausstellung im Innenhof des Isartors: "Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf der Oktoberwiese" eine therapeutische Wirkung. Da sind unter roten und orangefarbenen Wimpelgirlanden große Standfotos des ersten Films, der auf der Wiesn gedreht wurde (1921), zu besichtigen. Übrigens, falls die Bürokratie den Valentin, die Karlstadt und ihr Musäum tatsächlich aus dem Isartor vertreiben wollen, klebe ich mich vielleicht auch mal wo fest. Dann füttert mich hoffentlich jemand mit Weißwürsten aus dem Turmstüberl, die ich nur noch esse, weil es dazu einen unübertroffenen Senf gibt. Abends habe ich zum Glück Karten für die Wiederaufnahme-Premiere im Gärtnerplatztheater bekommen: Monty Pythons "Das Leben des Brian". Wenn Thomas Pigor (auch ein Schräger) dahintersteckt, kann es nur gut werden.
Donnerstag: Zeuge werden
Aus Lockdown-Zeiten ist mir ein Wanderzwang geblieben. 10000 Schritte pro Tag müssen es schon sein. Deswegen gehe ich zu Fuß zum NS-Dokumentationszentrum, dessen Direktorin Mirjam Zadoff kürzlich mit dem Bayerischen Verdienstorden gewürdigt wurde. Die bewegende Ausstellung "Wichtiger als unser Leben - das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos" habe ich schon gesehen. Heute möchte ich mich mit der Installation der Künstlerin Zhanna Kadyrowa befassen. Sie hat nach russischen Raketenangriffen verwüstete Innenräume öffentlicher Orte in der Ukraine dokumentiert, eine Bibliothek, eine Schule. Wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, macht mich immer ratloser. Die Zeitung lese ich seit längerem aus Selbstschutz von hinten her, aber neuerdings muss ich mich schon beim Bayernteil furchtbar aufregen.
Freitag: Landler und Gstanzln
1977 habe ich meine Eltern ins Kino geschleppt, um mit ihnen "Bierkampf" von Herbert Achternbusch zu sehen. Sie waren empört. Das war nicht ihre Wiesn. Mir hat der Film, vor allem die Sequenz, in der die Bierseligkeit in Brutalität umzuschlagen droht, sehr gefallen - wie heute meinen Kindern die Party in Dirndl und Lederhose. Aber vielleicht bin ich einfach zu alt, um auf einer schwankenden Bierbank zum Blaskapellen-"I can't get no satisfaction" die geballte Faust in den Zelthimmel zu recken. Halt! Alt. Dafür gibt's doch auch ein Programm, die "Oide Wiesn". Im Herzkasperl-Zelt spielen G.Rag & die Landlergschwister. Da muss ich hin, da geht garantiert die Post ab.
Samstag: Lucky Punch
Ich sollte mal wieder Radio hören. Mein Freund Arthur Dittlmann ist allein wegen seiner sonoren Stimme und der dialektsicheren Sprache ein Genuss. Um 14 Uhr gibt's auf BR-Heimat sein "Obacht! Tradimix," mit dem Titel "Guad eigschenkt - ein tradimixiger Wiesn-Bier-Bummel." Um 22 Uhr käme die Wiederholung, aber da schaue ich im "Fat Cat" vorbei. Ich kenne die unermüdlichen Barbara Bergau und Till Hofmann aus der Zusammenarbeit meines Vereins Lichterkette mit dem Bellevue di Monaco und würde es ihnen und der "anderen" Münchner Kulturszene gönnen, dass sich der Umbau des Gasteigs noch eine Weile verzögert. Michael Mittermeier hat mit seinem Lucky Punch Comedy Club schon angefangen, vielleicht gibt es dort bald auch eine Bühne für die Autoren, die wegen der Umstrukturierung im Kulturprogramm des BR-Radios um ihre öffentliche Präsenz bangen.
Sonntag: Masskrug am Schädel
Ich bleibe ausnahmsweise länger im Bett, schließlich ist Sonntag. Die "Oide Wiesn" hat mich womöglich so mit dem Oktoberfest versöhnt, dass ich mich fast auf nächstes Jahr freue. Aber Vorsicht, bei einer Therapie darf man nicht hudeln. Als Gegenmittel gegen meine voreilige Versöhnlichkeit hole ich mir Gerhard Polts "Attacke auf Geistesmensch" aus dem Netz. "Den Masskrug lediglich leicht am Schädel aufsetzen" ist immer noch eine unübertroffene Formulierung.
Peter Probst begann schon während des Studiums mit dem Schreiben von Drehbüchern. Er ist Autor zahlreicher Fernsehkrimis ("Tatort", "Polizeiruf 110"), Komödien und historischer Filme, die unter anderem mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurden. Neben der Arbeit fürs Fernsehen und seiner Tätigkeit als Dozent für kreatives Schreiben, gerne gemeinsam mit seiner Frau Amelie Fried, hat Probst Kriminalromane und viel beachtete autofiktionale Romane verfasst: Nach "Wie ich den Sex erfand" ist jetzt "Ich habe Schleyer nicht entführt" im Antje Kunstmann Verlag über eine Jugend in den Siebziger Jahren erschienen. Zudem engagiert er sich im Vorstand des Vereins Lichterkette.