Pater Rupert Mayer:Im Visier der braunen Machthaber

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Das Grab von Pater Rupert Mayer ist eine Wallfahrtsstätte. Viele Gläubige kommen hier her, um zu beten oder vor der Grabplatte niederzuknien. (Foto: Robert Haas)

Ein Christ darf kein Nationalsozialist sein: Mit seiner unbeugsamen Haltung trotzte Pater Rupert Mayer dem Hitler-Regime - und wird dafür 70 Jahre nach seinem Tod von den Münchnern verehrt.

Von Wolfgang Görl

Seit einigen Minuten kniet Elsa Grill vor der Grabplatte aus Marmor, vertieft in ein Gebet, dessen Worte nur sie kennt. Als sie aufsteht, fällt ihr Blick kurz auf die Gottesmutter an der Rückwand, dann schreitet sie langsam zum Ausgang der Bürgersaalkirche. Das Gewimmel in der Fußgängerzone!

Der Alltag hat sie wieder. Doch diese paar Minuten der Andacht vor dem Grab Pater Rupert Mayers müssen sein. Jedes Mal, wenn Elsa Grill in die Altstadt kommt, besucht sie die letzte Ruhestätte des Geistlichen. Warum? "Weil ich ihn verehre. Er hat viel Gutes für die Menschen getan."

Präsent im kollektiven Gedächtnis

Vor 70 Jahren, am 1. November 1945, ist Pater Rupert Mayer gestorben. Für viele Münchner ist sein Geist, die unbeugsame Haltung, mit der er den Nationalsozialisten getrotzt hat, bis heute gegenwärtig. Seine Bronzebüste, die vor einer Seitenwand in der Unterkirche des Bürgersaals steht, trägt die Spuren der Verehrung. Die Brust glänzt wie von Gold, blank poliert von zahllosen Gläubigen, welche die Porträtbüste wie einen geliebten Menschen streicheln oder die Hand an sie drücken, als fänden sie dort Halt.

Und vielleicht empfinden sie es tatsächlich so, vielleicht ist er im kollektiven Gedächtnis des katholischen Münchens noch immer präsent als der "fünfzehnte Nothelfer", als welcher er bereits zu Lebzeiten galt in Anspielung an die vierzehn offiziellen Nothelfer der Christenheit.

Rupert Mayer, geboren am 23. Januar 1876 in Stuttgart, ist der zweite Sohn einer angesehenen Kaufmannsfamilie. Im späteren Rückblick spricht er von einer "wunderschönen Jugend", die er als sportlich und musisch begabter Schüler unter anderem auf dem Gymnasium in Ravensburg verbringt.

Widerstand gegen Nazi-Regime
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Er lehnte sich früh gegen das Nazi-Regime auf: Der Publizist Fritz Gerlich wandte sich als streng Konservativer gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. 1932 kämpfte er für eine unabhängige politische Zeitung - nach der Machtergreifung wurde er von SA-Horden misshandelt, eingesperrt und später in Dachau ermordet.

Von Wolfgang Görl

Freiwillig an die Front

Nach dem Abitur das Theologiestudium in Freiburg (Schweiz), München und Tübingen, er ist Mitglied diverser farbentragender katholischer Verbindungen. Reiten ist sein Lieblingssport. Gut ein Jahr nach der Priesterweihe tritt er am 1. Oktober 1900 in den Jesuitenorden ein. Als Vikar, Seelsorger und Missionsprediger erwirbt er sich einen ausgezeichneten Ruf, 1912 betraut ihn der Orden mit der Aufgabe, die katholischen Zuwanderer in München seelsorgerisch zu betreuen.

Im Ersten Weltkrieg meldet sich Pater Mayer freiwillig an die Front, um den Soldaten geistlichen Beistand zu leisten. Er stellt sich offenbar unbeirrt in den Dienst des militärischen Apparats, wie einem Eintrag im amtlichen Kriegstagebuch zu entnehmen ist: "Was der Mann bei der kämpfenden Truppe geleistet hat, geht weit über den Rahmen des Pflichtmaßes hinaus. Wie ein Wunder wirkten seine anfeuernden Worte, die den Weg zu den Herzen der Kameraden fanden, frischen Kampfesmut und neue Spannkraft schufen . . . Der Herrgott konnte einem sterbenden oder schwerverwundeten 18er keinen besseren Tröster senden als unseren Pater Mayer."

Als erster katholischer Militärgeistlicher erhält Mayer im Dezember 1915 das Eiserne Kreuz I. Klasse. Dieses sowie andere Auszeichnungen wie das Ritterkreuz und der Bayerische Militärdienstorden sind im Museum der Bürgersaalkirche ausgestellt.

Am 30. Dezember 1916 gerät Pater Mayer, der mit einem Erkundungstrupp zur Vorbereitung eines Angriffs im Sultatal in Rumänien unterwegs ist, ins Feuer der russischen Truppen. "Da spürte ich plötzlich einen heftigen Schlag gegen mein linkes Schienbein, so dass ich auf die Erde geschleudert wurde." Der Unterschenkel ist zerfetzt, das Bein muss amputiert werden.

Fortan ist er gezwungen, eine Prothese zu tragen, was ihn nicht davon abhält, nach dem Krieg auf den Straßen Münchens mit der Sammelbüchse um Spenden für die Armen zu bitten. Auch die Frühgottesdienste im Münchner Hauptbahnhof sind sein Werk, im August 1925 zelebriert er dort die erste Heilige Messe für Frühaufsteher.

Vier Jahre zuvor hatte Kardinal Faulhaber den Jesuitenpater zum Präses der Marianischen Männerkongregation am Bürgersaal berufen. Die 1610 gegründete Laienorganisation ist eine spirituelle Gemeinschaft katholischer Männer, die sich an Jungfrau Maria orientiert, um ein, so steht es in der Satzung, "vorbildliches katholisches Leben zu führen".

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Redeverbot für das gesamte Reichsgebiet

In den Jahren nach dem Krieg erlebt Pater Mayer den Aufstieg Adolf Hitlers. "Ein ausgezeichneter Volksredner, aber Hysteriker reinsten Wassers", notiert er in seinem Tagebuch. Für ihn ist schnell klar: Ein Christ darf und kann nicht Nationalsozialist sein. Als Hitler 1933 an die Macht kommt, wendet sich Mayer in Predigten und Vorträgen mit deutlichen Worten gegen die Angriffe der Nazis auf die Kirche. Sofort gerät er ins Visier der braunen Machthaber.

Im April 1937 erteilt ihm die Gestapo Redeverbot für das gesamte Reichsgebiet. Als er dessen ungeachtet weiterpredigt, wird er im Juni 1937 verhaftet und wegen "heimtückischer Angriffe auf Partei und Staat" sowie wegen "Kanzelmissbrauchs" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Noch vor dem Prozess erklärt er schriftlich, "dass ich im Falle meiner Freilassung trotz des gegen mich verhängten Redeverbotes nach wie vor, sowohl in den Kirchen Münchens als auch im übrigen Bayern, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, predigen werde".

Als er die Ankündigung wahr macht, wird die Strafe vollstreckt. Mayer muss am 17. Januar 1938 ins Gefängnis in Landsberg am Lech, Anfang Mai kommt er im Zuge einer Amnestie vorzeitig frei.

Bis an den Rand des Todes

Die Gestapo behält ihn im Blickfeld. Im November 1939 wird er wieder verhaftet, weil er sich weigerte, Beichtgeheimnisse preiszugeben. Einen Tag vor Weihnachten sperrt man ihn ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Peinigungen im KZ bringen Mayer an den Rand des Todes. Den Nazis aber, so darf man vermuten, käme der Tod des noch immer populären Paters ungelegen. Man möchte keine Märtyrer schaffen.

Was daraufhin geschieht, schildert der Jurist und NS-Gegner Otto Gritschneder, der als junger Gerichtsreferendar den Münchner Prozess gegen Mayer beobachtete, im Jahr 1987 in einen Beitrag für die Bayerische Staatszeitung: "Als man seinen Tod fürchtete (. . .), traf die Gestapo mit dem Ordinariat in München ein Kompromissabkommen: Der Pater käme sofort frei, wenn das Ordinariat sich dafür verbürge, dass er von der Öffentlichkeit abgeschirmt im Kloster Ettal bleibe und nicht mehr predige. Der Kardinal wies seine Amtskirchenbehörde an, darauf einzugehen, und ordnete Predigtverbot und Verbannung des Paters an."

Strategie zwischen Anpassung und Widerstand

Kardinal Faulhaber verfolgte gegenüber den Nazis eine Strategie zwischen Anpassung und Widerstand. Als Mayer in Untersuchungshaft saß, hielt der Kardinal im Juli 1937 eine unmissverständliche Protestpredigt: "Es rauchen Flammenzeichen, und eines dieser Flammenzeichen ist die Verhaftung unseres Münchner Männerapostels."

Nach dem Ersten Weltkrieg sammelt Pater Rupert Mayer auf der Straße Geld für Arme. (Foto: privat)

Es gibt aber auch Worte Faulhabers, die sehr wohl als Anbiederung an das NS-Regime verstanden werden können, worüber Mayer tief enttäuscht ist. Die Anweisung, sich in die Abgeschiedenheit von Kloster Ettal zu begeben, wo er gleichsam kaltgestellt und zum Schweigen verurteilt ist, vergrößert den Zwiespalt, in dem er steckt.

In sein Tagebuch schreibt er: "Aufgrund meiner grundsätzlichen Einstellung gegen die kirchlichen Behörden blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu fügen (. . .) Seitdem bin ich lebend ein Toter, ja dieser Tod ist für mich, der ich noch so voll Leben bin, viel schlimmer als der wirkliche Tod, auf den ich schon so oft gefasst war. Der Gestapo und der ganzen Bewegung konnte ich und kann ich keinen größeren Gefallen erweisen, als hier ruhig abzusterben."

Zusammenbruch während der Messe

Und er fügt hinzu: "Wohin wäre auch das Christentum gekommen, wenn die Apostel sich solchen Verboten gefügt hätten. Aber ich sagte mir, hundertmal besser ist Gehorsam." Am 11. Mai 1945 kehrt Pater Rupert Mayer in das kriegszerstörte München zurück. Er hält wieder Predigten und wirkt als Seelsorger. Am Allerheiligentag bricht er während einer Messe in der Kreuzkapelle von St. Michael zusammen. Er stirbt wenige Stunden später.

Seit Mai 1948 befinden sich die sterblichen Überreste des Jesuitenpaters, der zunächst auf den Ordensfriedhof in Pullach bestattet war, in der Unterkirche des Bürgersaals. Das Grab ist eine Art Wallfahrtsstätte, auch an diesem trüben Tag Ende Oktober suchen Menschen Trost oder Hilfe beim seligen Pater Mayer. In der Oberkirche geht soeben der mittägliche Gottesdienst zu Ende, der Priester wünscht allen "einen gesegneten Tag".

Etwa zwei Dutzend Gläubige eilen sofort in die Unterkirche, wo sie auf den Kirchenbänken beten oder vor der Grabplatte niederknien. Ein paar Schritte weiter, im Kongregationsmuseum, stehen ein paar Besucher vor einem Bildschirm und betrachten einen Film. Zu sehen ist, wie Papst Johannes Paul II. am 3. Mai 1987 während einer Messe im Olympiastadion Pater Rupert Mayer selig spricht.

Gerne hätte die Marianische Männerkongregation noch einen weiteren Film: einen, der zeigt, wie der Papst den Pater heilig spricht. Aber den gibt es nicht. Noch ist Mayer nicht heilig gesprochen, obwohl man sich in München seit Jahren darum bemüht. Was muss dafür geschehen? Jesuitenpater Peter Linster, der Präses der Kongregation, sagt: "Wir warten auf ein Wunder." Das ist buchstäblich gemeint, denn zur Heiligsprechung bedarf es des Nachweises eines Wunders.

Bis jetzt aber hat Linster noch keinen Bericht über ein Mirakel, das der Prüfung in Rom standhielte. Was bleibt, ist die Hoffnung, und die will er nicht so schnell aufgeben. Doch egal, ob Heiliger oder nicht: Für den Präses der Männerkongregation ist Rupert Mayer ein Vorbild. Jetzt, da so viele Flüchtlinge ins Land kommen, werde die Zahl der Hilfsbedürftigen täglich größer: "Das, was in diesen Tagen in unserem Land geschieht, ist sicher auch ein Zeichen, mit dem Gott uns auffordert, so zu handeln, wie Pater Mayer es in seiner Zeit getan hat."

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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