Am 9. März 1933, rund fünf Wochen, nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, entmachten die Nazis die reguläre bayerische Regierung, der nationalsozialistische Haudegen Franz Ritter von Epp übernimmt als "Reichskommissar" die Polizeigewalt. Ohne zu zögern machen sich SA-Horden noch am selben Tag daran, diejenigen Zeitungen, die ihnen besonders verhasst sind, zu zerstören.
Am Abend stürmt ein Kommando von 60 bis 70 Braunhemden die Redaktionsräume der Wochenzeitschrift Der gerade Weg, die sich im zweiten Stock des Hauses an der Hofstatt 5 befinden. Das Inventar wird verwüstet, Fritz Gerlich, der Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung, wird misshandelt und in die Ettstraße zur Polizeidirektion verschleppt. Noch in der Nacht dringen die SA-Leute in das nahe gelegene Verlagsgebäude der sozialdemokratischen Zeitung Münchener Post ein, wo sie alles kaputt schlagen, was ihnen in die Finger kommt.
In den folgenden Tagen geraten die Münchner Neuesten Nachrichten sowie die anderen Zeitungen des Verlags Knorr & Hirth ins Visier der Nazis. Chefredakteure, Reporter, Verlagsleiter werden ins Polizeigefängnis gesperrt, die gesamte Führungsriege des Verlags ist ausgeschaltet. Im März '33 endet auch in Bayern die Pressefreiheit der Weimarer Republik.
Fritz Gerlichs Widerstand wurzelt im katholischen Glauben
Fritz Gerlich ist ein erbitterter Gegner der Nazis, ein Mann, dessen Widerstand gegen Hitler in einer konservativen Gesinnung und vor allem im katholischen Glauben wurzelt. Als die SA-Männer die Redaktion stürmen, arbeitet er gerade an der nächsten Ausgabe seiner Zeitung.
Was dann passiert, schildert Curt Graf Strachwitz, der Österreich-Experte des Blatts, so: "Im Nu füllten zwei Dutzend Braunhemden, darunter eine Anzahl halber Kinder, die beiden Zimmer. Fast jeder hatte die Pistole in der Hand, und man hätte glauben können, sie seien auf der Suche nach verwegenen Schwerverbrechern. Dr. Gerlich stand ruhig an seinem großen Diplomatenschreibtisch, beide Hände auf die Tischplatte gestützt, in der Haltung eines Staatsmannes, der eine Deputation zudringlicher Querulanten empfängt. Seine selbstbewusste, kühl-verbindliche Haltung entwaffnete fürs erste die ,Soldaten Hitlers'."
Doch die SA-Schergen finden schnell zur gewohnten Brutalität zurück. Für Fritz Gerlich beginnt ein Leidensweg, der tödlich endet.
Gerlich, geboren am 15. Februar 1883 in Stettin, war der älteste von drei Söhnen des Fischgroßhändlers Paul Gerlich und dessen Frau Therese. Nach dem Abitur am Stettiner Marienstiftsgymnasium zieht der im Geiste eines strengen Calvinismus erzogene junge Mann 1901 nach München, wo er zuletzt Philosophie und Geschichte studierte und mit einer Arbeit über das Testament Heinrich VI. promovierte. Wenige Jahre später absolvierte er die Staatsprüfung zum Archivar und arbeitete als beamteter Kreisarchivassessor im Allgemeinen Reichsarchiv.
Der Militärdienst im Ersten Weltkrieg blieb ihm aus gesundheitlichen Gründen erspart. Politisch stand er in dieser Zeit weit rechts, er engagierte sich für die nationalistische Vaterlandspartei und war Mitbegründer des radikal national ausgerichteten Wochenblatts Die Wirklichkeit. Deutsche Zeitschrift für Ordnung und Recht. Auf die Revolution im November 1918 reagierte Gerlich mit der Gründung eines bayerischen Zweigs der "Liga zur Bekämpfung des Bolschewismus".
Nach Ausrufung der Räterepublik floh er mit falschen Pässen nach Bamberg, wohin auch die Regierung des bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann geflohen war. Als Redner vor den Freikorps rief er zum Sturm auf die Räteregierung in München auf. Nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik setzte er seine Agitation gegen die Linke in Beiträgen für die Süddeutschen Monatshefte und die Historisch-Politischen Blätter fort.
Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten
Gerlichs journalistisches Talent fiel auf. Am 1. Juli 1920 avancierte er zum Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN), der damals wichtigsten und größten Zeitung Süddeutschlands. Gerlich machte sich daran, dem Blatt, wie er selbst schrieb, "eine nationale und antimarxistische Haltung zu geben". Wohl im Frühjahr 1923 fand in Gerlichs Münchner Wohnung die erste Begegnung mit Adolf Hitler statt. Die beiden dürften einige politische Gemeinsamkeiten festgestellt haben, denn auch Gerlich plädierte für die Sammlung der nationalen Kräfte in Deutschland.
Der im völkischen Milieu beheimatete Chefredakteur schrieb auch die Rede, die der bayerische Generalstaatskommissar Gustav Ritter von Kahr am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller hielt. Hitler und seine Gefolgsleute unterbrachen Kahr und riefen die "nationale Revolution" aus, die nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle am folgenden Morgen ein blutiges Ende fand. Diese Erfahrung machte Gerlich zum Hitler-Gegner. Der Putschversuch, schrieb er in den Münchner Neuesten Nachrichten, ist "eine der größten Verrätereien an der deutschen Geschichte".